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Berlinale: Hilfe, die Deutschen kommen!

Stern 

Auschwitz, Frauengefängnis, Alkoholismus und das große Sterben an Krebs, Parkinson und Suizid: Wer sich die deutschen Beiträge auf der Berlinale anschaut, macht sich ernsthaft Sorgen um das Gemüt der Nation 

Wir können auch anders und er sowieso. Vor zwei Jahren erzählte Andreas Dresen im Film "Rabiye Kurnaz gegen George W. Bush" beschwingt und mit viel Humor vom Kampf einer Bremer Hausfrau gegen den US-Präsidenten. Kurz nach den Terrorattacken vom 11. September 2001 hatte der ihren Sohn ohne Anklage in Guantánamo weggesperrt, aber nicht mit dem Löwenmut und rabiaten Beharrlichkeit seiner Mutter gerechnet. Ein relevantes Thema, unterhaltsam erzählt. 

Zwei Jahre später ist Dresen zurück im Wettbewerb des größten Filmfestivals der Welt und macht das, was Regieschaffende aus Deutschland immer noch gerne machen, wenn es bedeutsam werden soll: Er widmet sich den Nazis.

Berlinale-Stewart   18.30

Sein Berlinale-Beitrag "In Liebe, Eure Hilde" geht dafür in den Untergrund. Im Mittelpunkt steht die kommunistisch geprägte Widerstandskämpferin Hilde Coppi, in Westdeutschland bislang kaum bekannt. Als Teil der sogenannten "Roten Kapelle", einem eher lockeren Zusammenschluss junger Leute, hilft sie bei kleinen Sabotage-Aktionen gegen die Braunhemden. Eigentlich will sie aber lieber den Sommer genießen, Camping am See, und ihre frische Liebe zum blonden Hans. Da damals aber schon Kleinigkeiten mit der Todesstrafe geahndet wurden, landet Hilde wegen Hochverrat bald im Gefängnis und vor einem Schnellgericht, hochschwanger. Man ahnt, wie es ausgehen könnte.

Aus dem Untergrund gegen die Nazis    

Dresen gelingt damit ein redlicher, empathischer Film, intensiv gespielt von seiner Hauptdarstellerin Liv Lisa Fries ("Babylon Berlin") in der Titelrolle. Und doch fragt man sich am Ende, was Dresen eigentlich Neues zu erzählen hat. Nur die Liebe zählt? Nicht alle Nazis waren Monster? Bei ihrer Verhaftung und später im Gefängnis stößt Hilde immer wieder auf Spuren von Menschlichkeit. "Ich versuche immer, das Gute in jedem Menschen zu finden", sagt Dresen in Berlin. Vielleicht wirkt sein Film auch deshalb etwas unbestimmt.

Ein unbeschwerter Moment aus "In Liebe, eure Hilde": Hans (Johannes Hegemann) und Hilde (Liv Lisa Fries)
© Frédéric Batier/ Pandora Film

Knapp an der Grenze zum Holocaust-Kitsch schrammt dagegen "Treasure". Inszeniert von der deutschen Regisseurin Jutta von Heinz ("Und morgen die ganze Welt"), aber besetzt mit zwei internationalen Stars: der amerikanischen Generation Z-Heldin Lena Dunham als Musikjournalistin und dem Briten Stephen Fry als ihr polnischer Vater. Ja, richtig gelesen. Fry spielt, teils mit unfreiwillig komischem Akzent, einen New Yorker Polen, der den Holocaust überlebt hat und von seiner Tochter zu einer Reise auf den Spuren seiner Kindheit und Jugend in Lodz und Umgebung überredet wird. Dabei verschlägt es sie zur ehemaligen Fabrik der Familie und zum alten Elternhaus, in das nach ihrer Enteignung und Deportation anno 1940 rasch Einheimische eingezogen sind. Vater und Tochter fahren außerdem ins Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau, wo Fry in seiner Rolle dunkle Erinnerungen überfallen. 

Berlinale: Was ich nicht verstehe17.43

Heinz erzählt aus der Perspektive der Opfer und deren Nachkommen, was in einer Zeit neuer antisemitischer Wellen eine eigene Bedeutsamkeit entfalten könnte. Trotzdem bleibt "Treasure" oft erstaunlich mild und erzählerisch holprig, um wirklich zu berühren. Die Auschwitz-Szenen wurden angeblich vor einer Green Screen gedreht, also im Nachhinein künstlich eingefügt. Man merkt es dem Film an. 

Spielt mit in der britisch-deutschen Koproduktion "The Outrun": Die mehrfach Oscar-nomminierte US-Schauspielerin Saoirse Ronan
© Studiocanal

Nora Fingscheidt hat seit ihrem Durchbruch mit "Systemsprenger" zum zweiten Mal mit einem internationalen Star gedreht. Erst war es Sandra Bullock in "The Unforgiveable", nun die bereits vierfach Oscar nominierte Saoirse Ronan ("Abbitte", Lady Bird") in "The Outrun". Wieder geht es um eine Außenseiterin, eine junge Alkoholikerin, die in ihre schottische Heimat flieht, passenderweise die rauen, Sturm umtosten Orkney-Inseln im äußersten Norden, um endlich trocken zu werden. Es passiert nicht wirklich viel in dieser Seelen- und Leberwäsche durch die Kraft der Natur. Dafür spielt Ronan erneut Oscar-verdächtig, die Bilder der ursprünglichen Landschaft, die Schroffheit und doch Herzenswärme der Einheimischen entfalten tatsächlich eine Heilkraft, die das bitterernste Thema dringend nötig hat. Gibt es am Ende doch noch Hoffnung im Kino der Deutschen? 

Zu früh gefreut. Der Wettbewerbsbeitrag von Matthias Glasner ("Der freie Wille") heißt einfach nur "Sterben". Um genau darum geht es dann gut drei Stunden lang und eingebettet in eine dysfunktionale Familie aus einer herzenskalten Mutter (hat Vaginalkrebs), einem schusseligen Vater (hat Parkinson), einer chaotischen Tochter (ist Alkoholikerin) und einem Sohn, der als Dirigent mit einem Komponisten zusammenarbeitet, der sich umbringen will. Titel seines aktuellen Orchesterwerks: "Sterben". War irgendwie klar, oder? 

Zusammen bei der Berlinale (v.l.n.r.): Ronald Zehrfeld, Lilith Stangenberg, Matthias Glasner, Corinna Harfouch, Lars Eidinger und Robert Gwisdek
© Monika Skolimowska

Beleben den Film "Sterben": Lars Eidinger, Lilith Stangenberg & Co.

Weil das ganz große Drama gespielt wird von Lars Eidinger und Corinna Harfouch, Lilith Stangenberg, Robert Gwisdek und Ronald Zehrfeld, gibt es viel außerordentliche Schauspielkunst zu bewundern. Sein sehr persönlicher Film sei erst entstanden, als seine Eltern starben, erzählt Glasner bei der Berlinale. Auch deswegen sei er so ehrlich und schonungslos. In der ersten Szene sitzt die Figur von Harfouch verwirrt in ihren eigenen Exkrementen. Doch nach der eindringlichen und oft schwarzhumorigen ersten Hälfte, verliert Glasner im zweiten Teil den Faden und weiß nicht mehr, was er eigentlich sagen will. Da wird dann statt origineller Handlungsstränge ohne Betäubung ein Zahn gezogen oder während eines Konzerts über die anderen Zuhörer gekotzt. 

Am Ende bleibt dennoch Hoffnung übrig für die eigene Laune, die Lust aufs Weiterleben. Denn was die Deutschen trotzdem noch gut beherrschen, zumindest auf ihrem wichtigsten Filmfestival, ist das Feiern nach der Premiere. So trafen sich Cast, Crew und Freunde von "Sterben" in einem Abbruchhaus in der Friedrichstraße und prosteten sich Mut zu. Lars Eidinger gab gut gelaunt den DJ. Techno und Hip Hop, Underworld und Duran Duran. Irgendwann geht immer wieder die Sonne auf. 

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