Verhaltener Jubel
Die zentrale Geschichte dieses Spieltages war schon seit Wochen klar. Es gibt wohl wenige Fans, die bei einem noch so flüchtigen Blick auf den Spielplan nicht zumindest kurz daran gedacht haben: Da spielt Tim Kleindienst gegen seinen alten Verein. So romantische Dinge wie Trauzeugen und “beste Freunde”, die kommen selten vor in Spielberichten bei SEITENWAHL, aber heute, da kann man sie alle abfeuern, also springen wir doch gleich rein in die Feelgoodstory. Kevin Müller, eben jener Trauzeuge bei der kleindienstschen Hochzeit, der einen beim Betreten des Platzes übrigens unwillkürlich an den späten Tim Wiese denken ließ, und der frisch gebackene Nationalspieler lieferten sich dann auch pflichtschuldigst ein heißes Privatduell, bei dem beide mit erhobenem Kopf vom Platz gehen konnten. Tim Kleindienst, weil der den ehemaligen Kollegen gleich zwei eingeschenkt hatte, und Müller, weil es halt nicht fünf gewesen waren. Was etwas Freude bereitete, war die Tatsache, dass Kleindienst selbstverständlich demonstrativ den Jubel verweigerte, aber dann im Sichtschutz der sich um ihn bildenden Jubeltraube dann doch kurz die Beherrschung verlor und verstohlen beckerfaustete.
Was da und anderorts also etwas verhalten bejubelt wurde, war zwar kein Befreiungsschlag, aber ein solider, verdienter Heimsieg einer spielerisch überlegenen Mannschaft gegen eine Mannschaft mit klarer Struktur gegen den Ball. Wie man allerdings mit der Herangehensweise schon zwei Spiele in der Fremde gewinnen konnte, ist nicht so ganz ersichtlich. Dass es am gestrigen Samstag für zwei (!) Tore des Gastes reichte, das war mal wieder einer Abwehrleistung geschuldet, wie sie sich weiterhin und unablässig durch die ganze Saison beobachten lässt. Durchaus solide Phasen paaren sich mit unerklärlichen kollektiven Aussetzern und einzelnen Fehlleistungen. Das änderte sich auch durch die Umstellungen, zu denen Seoane durch die fehlende Einsatzfähigkeit von Netz und Elevdi gezwungen wurde (Lainer und Friedrich ersetzten, Scally rückte nach links). Das erneuerte Personal in der Abwehr zeigte ohne Anlaufzeit die bisherigen Verhaltensmuster. Gestern sah Moritz Nicolas binnen vier Sekunden zweimal ganz schlecht aus, auch wenn beide Bälle abgefälscht wurden und die Abwehrspieler ohne Handspielrecht mal wieder im Gegensatz zum Gegner zu langsam reagierten. Apropos fehlendes Handspielrecht: Das zweite Gegentor hatte etwas damit zu tun, aber vor allem damit, dass bei diesem Spiel (und beileibe nicht nur in dieser Szene) der VAR mal wieder im Detektivmodus unterwegs war und mit poirotscher Präzision versuchte, die bestmögliche Entscheidung aufzudecken. Das kann man in Köln immer schön nach dem Bedarfsfall für Rechtfertigungen drehen und wenden wie man möchte: Wenn man wie in München oder Leverkusen nicht eingegriffen hat, dann halt, weil man ja nur krasse Fehlentscheidungen korrigieren wollte. Im anderen Falle gab es halt einen Kontakt oder der Arm war zu hoch. Da kann man nichts machen. Beziehungsweise: Da kann man als VAR halt nichts falsch machen.
Personelle Änderungen gab es auch vor der Abwehr, alleine auf dem Weg vom Bus zum Block war ungefähr 14 Mal der Name “Stöger” zu hören, denn eben jener fiel der Rückkehr von Hack und Honorat etwas überraschend zum Opfer. Das gereichte dem für die Aufstellung Verantwortlichen in den Stimmen auf dem Stadionweg eher nicht zur Zier, auf jenen kommen wir aber gleich noch kurz. Ergebnistechnisch war es erfolgreich, wenn auch zum Ende hin in beide Richtungen eher wackelig. Heidenheim hatte durchaus gute Gelegenheiten zum Ausgleich. Borussia allerdings auch mehr als nur gute, das Ergebnis deutlicher zu gestalten. Und sind wir mal ehrlich, wir können uns an nicht so ferne Spielzeiten erinnern, wo der Ausgleich in der Situation mit nahezu tödlicher Sicherheit noch gefallen wäre. Das will man mit verhaltenem Optimismus durchaus anerkennen. Dennoch: Borussia verharrt auch nach diesem Sieg im Limbo der Tabelle mit unklarer Tendenz.
Wohin der Weg des Trainers unmittelbar führen sollte, das soll zumindest vor Spielbeginn ebenfalls nicht klar gewesen sein. Der Boulevard hatte den Trainer unter der Woche so weit angezählt, dass er die Kabine verloren habe und bei einer Niederlage gegen einen – vermutet wird ein eid- und landesgenössischer - Kollegen ausgetauscht würde. Bei der Aufstellung waren erstmals seit Jahren bei der Nennung eines Trainers gellende Pfiffe zu hören gewesen, die durchaus nicht nur von einem kleinen Teil der Zuschauer abgegeben wurden. Nun sind derlei Ultimaten natürlich hanebüchener Unfug. Was man am Fußball liebt, ist, dass sich durch die geringe Anzahl von Toren Freakergebnisse mit schöner Regelmäßigkeit einstellen. Und zwar in einer Häufigkeit, die Entscheidungen auf Grundlage eines einzelnen Ergebnisses in die Nähe eines Münzwurfes rücken. Wenn man der Ansicht ist, der Trainer sei Teil des Problems und nicht der Lösung, dann muss man sofort handeln, und nicht noch abwarten, ob er sich nicht noch zufällig eine kurze Glückssträhne anlacht. Dann ist er an deren Ende nämlich immer noch Teil des Problems.
Wir wollen also hoffen, dass es dieses Ultimatum und die Umstände in der Kabine nie gegeben hat. Denn sonst befinden wir uns schon nach einer ja nun nicht unbedingt unrealistisch zu nennenden Niederlage in Mainz am kommenden Wochenende in einer nicht enden wollenden Dauerschleife. Ein Heimsieg gegen Heidenheim bedeutet schließlich nicht, dass Seoane die Kabine wiedergefunden hat, weil sie ihm versehentlich kurz unter den Teppich gerutscht war. Er klang nach Spielschluss übrigens auch überhaupt nicht so: “Borussia befindet sich seit ein bis zwei Jahren in einer Umbruchsituation”, befand der Übungsleiter im Interview mit der ARD, und wir können nicht umhin, so genau hinzuhören, dass uns schon auffällt, dass sich da jemand in der Ausdrucksweise zumindest nicht als Teil des Ganzen begreift. Begeisterung über einen überzeugenden Heimsieg sieht wohl anders aus. Erleichterung trifft es schon eher. Und eine vorläufige Entspannung. Zumindest bis Freitag.