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Real Madrid und Toni Kroos: Liebe auf den ersten Kick

Nicht nur Edin Soso wird Toni Kroos aus vielerlei Hinsicht vermissen – Foto: getty images

Antonio

Es war der 10. September 2016, ein angenehmer spätsommerlicher Sonntagnachmittag in der spanischen Hauptstadt. Am dritten Spieltag der spanischen Meisterschaft empfing Real Madrid den CA Osasuna und gewann locker mit 5:2. Unter anderem trafen Cristiano Ronaldo, Sergio Ramos und Luka Modrić für die Königlichen, der Aufsteiger war chancenlos. Business as usual also, vor allem in der Saison 2016/17, in der Ronaldo und Co. national wie international phasenweise Kleinholz aus der Konkurrenz machten. Für mich persönlich war es jedoch ein besonderer Tag – zum ersten Mal sah ich Toni Kroos im weißen Trikot spielen, und das im Estadio Santiago Bernabéu.

Noch vor dem Wechsel aus München nach Madrid war ich Anhänger des Fußballers Toni Kroos, obwohl ich alles andere als Bayern- oder Leverkusen-Sympathisant bin. Mir hat schon in seinen jungen Jahren imponiert, mit welcher Eleganz und Ruhe der gebürtige Greifswalder den Ball behandelt. Insofern freute ich mich sehr, als der frischgebackene Weltmeister im Sommer 2014 in Madrid vorgestellt wurde. So war es am besagten Madrider Sonntag ein Genuss, Kroos beim Orchestrieren des weißen Ensembles zuzusehen, doch weder Kroos‘ Performance noch das Offensivfeuerwerk seiner Kollegen sollten der Haupteindruck an diesem Tag sein. Es war die offensichtliche, ehrliche Zuneigung, die Real-Fans im Stadion dem deutschen Mittelfeldregisseur entgegenbrachten, die über die zu erwartende Wertschätzung für einen außergewöhnlichen Fußballer hinausging, die mich erstaunt hatte und in bleibender Erinnerung bleiben sollte. Das oft als schwierig geltende Bernabéu-Publikum hatte offenbar ein feines Gespür, um bereits nach zwei Jahren in Kroos mehr als nur einen außerordentlich guten Fußballspieler zu sehen. In den „Antonio, Antonio“-Rufen vor jeder Eckball-Ausführung steckte echte Emotion.

Über „diese grundsätzliche Wertschätzung“, freute sich Kroos schon selbst: „So eine Wertschätzung konstant vom gesamten Stadion zu haben – unabhängig vom Ergebnis, unabhängig davon, wie viele Titel du holst, sondern einfach durch das, was du die letzten zehn Jahre gemacht hast, ist etwas, was du mit Sicherheit vermisst. Man hat es sich über Jahre aufgebaut. Es ist eine Verbindung, die es nicht einfach so wegen einen guten Spiels gibt.“

Eine perfekte Symbiose

In letzten Jahren sollte sich dieser Eindruck immer mehr verfestigen – die Beziehung zwischen Spieler auf der einen und Verein, seinem Umfeld und der Anhängerschaft auf der anderen Seite wurde immer intensiver, inniger und emotionaler. Toni Kroos mit seinen weißen Schuhen verkörpert und symbolisiert inzwischen beinahe all das, wofür der Mythos Real Madrid steht und wie der Madridismo seinen Verein sieht: Eleganz, Erhabenheit, Stolz, aber auch Leidensfähigkeit, Kampfeslust, unbedingten Siegeswillen und einen unerschütterlichen Glauben an sich selbst. In den letzten Jahren ist Kroos immer mehr auch zum Kämpfer geworden, zur Eleganz kam auch die körperliche Komponente hinzu. „Das Trikot von Real Madrid ist weiß. Es kann mit Schlamm, Schweiß und sogar Blut beschmiert werden, aber niemals mit Schande“, sagte einst Reals legendärer Präsident Santiago Bernabéu. Für all das stand und steht seit zehn Jahren Toni Kroos. Er ist längst nicht nur der Kopf des Teams auf dem Platz, er wurde auch immer mehr zu seiner Seele, auf und neben dem Platz. Natürlich haben das die Madridistas im Bernabéu, aber auch weltweit, längst erkannt und verstanden. Anders ist die Fülle und Intensität der Emotionen, die Kroos‘ Rücktrittsankündigung am vergangenen Dienstag ausgelöst hat, und die einen regelrecht erschlagen, nicht zu erklären. Aktuelle Mannschaft, ehemalige Kollegen, alte Real-Legenden, Fans in den sozialen Medien, Männer gehobenen Alters, die vor Fernsehkameras ob des Abgangs ihrer „Real-Ikone“ weinen – niemand ließ und lässt es sich nehmen, der ganzen Welt mitzuteilen, wie sehr sie ihren Toni lieben und wie sehr sie ihn vermissen werden. Ja, es ist Liebe. Liebe auf den ersten Kick – angefangen bei seinem Debüt, dem Super-Cup-2016, in dem er nicht nur direkt in der Startelf stand, sondern auch seinen ersten von bisher 22 Trophäen gewann. Und jetzt winkt Titel Nummer 23…

Ein perfekter Abgang

Auf dem absoluten Höhepunkt seiner Schaffenskraft und im Moment des größtmöglichen Erfolgs aufzuhören, schaffen ganz wenige Spitzensportler. Selbst einer der größten Athleten aller Zeiten, Michael Jorden, verpasste seinerzeit diesen perfekten Zeitpunkt. Toni Kroos hat den perfekten Zeitpunkt gelungen. Er verlässt die größtmögliche Fußballbühne als die prägende Figur der erfolgreichsten Vereinsmannschaft der modernen Fußballgeschichte. Ohne die Glanzpunkte, die Cristiano Ronaldo, Sergio Ramos, Luka Modrić, Karim Benzema, Gareth Bale und viele andere setzten, wären potenzielle sechs Champions-League-Titel innerhalb von elf Jahren zweifellos nicht möglich gewesen, doch die Hauptprotagonisten wechselten sich im Laufe dieser Dekade immer wieder ab, nur der Dirigent des Orchesters blieb derselbe – es war immer und ist bis heute die Mannschaft von Toni Kroos. Sein Rhythmusgefühl und sein Blick für das große Ganze waren die entscheidende Würze, die aus einem Team voller individueller Brillanz ein perfekt abgestimmtes Ensemble und eine Titelmaschine kreiert haben. „Wenn Toni Kroos will, dass wir langsam spielen, spielen wir langsam. Wenn er will, dass wir schnell spielen, spielen wir schnell. Toni Kroos entscheidet, wie wir spielen“, beschrieb sein ehemaliger Mittelfeldkollege Casemiro die Rolle und die Bedeutung des deutschen Dirigenten wohl am besten.

Wenn ich irgendwann in zehn oder zwanzig Jahren an die wohl erfolgreichste Epoche des erfolgreichsten Vereins der Welt zurückdenke, wird es für mich immer die Toni-Kroos-Ära sein. Und ich bin unendlich dankbar dafür, dass ich diese Ära als Fan, Autor und Fußball-Liebhaber bewusst und hautnah miterleben durfte. Real Madrid wird auch ohne Toni Kroos erfolgreich sein, und doch wird nach dem 1. Juni alles anders sein – vielleicht sogar besser und noch erfolgreicher, denn es ist Real Madrid, aber eben ganz anders als in den letzten zehn Jahren. Anders und ungewohnt. Denn es wird nie wieder einen zweiten Toni Kroos geben, so einzigartig ist er als Fußballer und als Persönlichkeit. Und so einzigartig war die Verbindung zwischen dem Spieler und seinem Verein.

 

Lieber Toni,

bald bist Du dann einer von uns. Ich wünsche Dir, dass Du das Leben nach der Karriere, vor allem die Zeit mit Deiner geliebten Familie, mindestens genauso genießt, wie Du die Zeit auf dem Rasen des Bernabéus genossen hast. Dieser Samstag wird für Dich und uns alle emotional, schön und traurig zugleich werden. Wir dürfen weinen und lachen, jeder für sich, wie er sich eben fühlt. Ich für meinen Teil werde es mit Gabriel García Márquez halten: „Weine nicht, weil es vorbei ist, lache, weil es überhaupt passiert ist.“ Doch dann haben wir alle noch ein letztes gemeinsames Ziel, damit die Ära ein wahrhaft perfektes Ende hat: ¡A por la Decimoquinta!

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