Lindner: "Wer mehr arbeitet, soll mehr Netto in der Tasche haben"
Der Haushaltsentwurf für 2025 steht – enthält aber noch immer eine Milliardenlücke. Was passiert, wenn sich diese nicht schließen lässt, erklärt Finanzminister Lindner im Interview. In fast allen Bundesländern sind schon Schulferien, auch der Bundestag hat sich in die Parlamentspause verabschiedet. Normalerweise könnten in der Hauptstadt die meisten jetzt abschalten, könnte das nachrichtenarme "Sommerloch" beginnen. Doch die Zeiten sind nicht normal, vor allem nicht für Christian Lindner (FDP). Statt Urlaubsvorbereitungen zu treffen, hatte der Finanzminister in den vergangenen Tagen alle Hände voll zu tun. In Windeseile musste er einen Haushaltsentwurf aufstellen, den das Kabinett am morgigen Mittwoch beschließen will. Grund für den Zeitdruck: Mit den Ampelspitzen Olaf Scholz (SPD) und Robert Habeck (Grüne) hatte er sich erst auf den letzten Drücker auf einen Finanzrahmen für das kommende Jahr sowie auf ein umfassendes Paket zur Belebung der Wirtschaft geeinigt. Vor dem formellen Haushaltsbeschluss erklärt Lindner im t-online-Interview, wie die schwierigen Gespräche mit Scholz und Habeck abliefen, warum es nächstes Jahr trotz Sparvorgaben mehr Budget fürs Bürgergeld gibt und wieso hoch qualifizierte Zuwanderer Steuervorteile bekommen sollen. t-online: Herr Lindner, sind Sie ein Schaf im Wolfspelz? Christian Lindner: Als Tiervergleich höre ich öfters eher was vom Falken. Anfang des Jahres gaben Sie den strengen Zuchtmeister, sprachen mit Blick auf den Haushalt 2025 viel vom Sparen und Priorisieren. Jetzt aber bringen Sie einen Etatentwurf ins Kabinett ein, der rund 30 Milliarden größer ist, als es die Finanzplanung ursprünglich vorsieht. Das sind makroökonomische Entwicklungen, denn die Priorisierung ist erreicht. Der Haushaltsentwurf stärkt die Bildung, denn wir finanzieren zum Beispiel mit einer Milliarde Euro jährlich das Startchancenprogramm für die Schulen. Es gibt Rekordinvestitionen für Infrastruktur, inklusive Autobahnen, Schiene und digitale Netze. Wir stellen eine Sicherheitsmilliarde für Bundespolizei bis Zoll bereit. Bei der Bundeswehr liegen wir oberhalb des Zwei-Prozent-Ziels, damit weit vor Frankreich und Italien . Das alles finanzieren wir nicht mit Steuererhöhungen oder Ausnahmen von der Schuldenbremse. Stattdessen werden die Bürgerinnen und Bürger in den kommenden beiden Jahren bei der Lohn- und Einkommensteuer um rund 23 Milliarden Euro entlastet. Können Sie mir eine einzige echte Sparmaßnahme nennen? Die Aufgabe war, die Ausgabenwünsche der Ministerien auf den Finanzplan zu begrenzen. Das ist gelungen. Denn die Ausgaben dürfen nicht schneller wachsen, als die Menschen und die Wirtschaft in der Lage sind, den Wohlstand zu erwirtschaften. Alles andere wäre nicht nachhaltig. Für den Sozialetat Ihres Kollegen Hubertus Heil gilt das nicht, der wächst sogar um 3,5 Milliarden Euro an. Wollten Sie nicht eigentlich gerade dort "umschichten"? Auch dort wurden die Wünsche nach Mehrausgaben deutlich begrenzt. In einer alternden Gesellschaft, angesichts der gegenwärtigen Wachstumsschwäche und vor dem Hintergrund gesetzlicher Leistungen ist das ein wichtiges Zwischenergebnis. Wir erreichen das unter anderem, indem der fordernde Charakter des Bürgergelds neu betont wird – zum Beispiel mit Sanktionen bei Verstößen gegen die Mitwirkungspflicht. Außerdem wird es eine Nullrunde beim Regelsatz geben, was ebenfalls Anreize fürs Arbeiten setzt: Anfang nächsten Jahres wird, wie gesagt, die arbeitende Bevölkerung bei der Einkommensteuer entlastet, hat also mehr Netto vom Brutto, während der Regelsatz der Grundsicherung gleich bleibt. Dadurch steigt der Lohnabstand. Das ist auch eine Stärkung der Leistungsgerechtigkeit, die viele Menschen beim Bürgergeld in Frage gestellt haben. Wie viele Bürgergeldempfänger sollen durch all das zusätzlich in Arbeit kommen? Viele tausend. Wir müssen das aber weiter im Blick behalten. Ich bin überzeugt, dass es nach der nächsten Bundestagswahl weitere Reformen geben muss, um die Treffsicherheit des Sozialstaats zu erhöhen, Einwanderung in das Sozialsystem zu unterbinden und Menschen in Arbeit zu bringen. Die Verhandlungen zwischen Ihnen, Olaf Scholz und Robert Habeck haben sehr lange gedauert und man hört, es soll teilweise auch mal recht laut zugegangen sein. Stimmt das? Nein, das stimmt nicht. Es wird eher still, wenn es kritisch wird. Dann überlegt jeder für sich, was die eigene Verantwortung ist. Standen die Gespräche irgendwann einmal kurz vor dem Abbruch? Wir haben die Grenzen der jeweiligen Kompromissfähigkeit alle respektiert, allerdings diese Grenzen auch getestet. Ganz fertig geworden sind Sie am Ende aber nicht. Im Haushalt klafft noch immer eine Lücke von 16 Milliarden Euro, die Sie in Teilen mithilfe von Haushaltstricks schließen wollen: Die Bahn und die Autobahn-GmbH etwa sollen Darlehen erhalten statt direkter Zuschüsse. Ist das nicht unseriös? Sie unterliegen einem Missverständnis. Soll ich es erklären? Gern. Anders als Sie es mit ihrer Frage unterstellen, sind solche Maßnahmen ausdrücklich noch nicht beschlossen. Diese Vorschläge aus dem Kanzleramt werden jetzt verfassungsrechtlich und hinsichtlich ihrer Wirtschaftlichkeit geprüft. Ich möchte auch mit externen Gutachtern jedes Risiko ausschließen. Bestehende Flexibilitäten der Schuldenbremse nutze ich, aber an ihrer Aushöhlung beteilige ich mich nicht. Und wenn es nicht geht, ist der Kanzler schuld? Wenn es nicht geht, werden wir andere Lösungen finden. Klar ist: Der Haushalt ist auf Kante genäht. Und selbst wenn das mit den Darlehen klappt, bleibt immer noch eine Lücke von 8 Milliarden Euro. Wie wollen Sie diese Summe im laufenden Haushaltsjahr zusammenkratzen? Diese sogenannte Globale Minderausgabe stellen Sie als Besonderheit dar, dabei ist das die ständige Praxis. Es bleiben immer Restmittel übrig. Man kann nach langjähriger Erfahrung mit gut zwei Prozent des gesamten Haushalts kalkulieren, die nicht abfließen. Also etwa acht bis neun Milliarden Euro. Für mehr Wachstum wollen Sie mit dem begleitenden Wirtschaftspaket sorgen. Ein Teil dessen ist auch die Abschaffung der Steuerklassen 3 und 5 für Eheleute, die Familienministerin Lisa Paus jetzt als "Startpunkt" zum Aus für das Ehegattensplitting bezeichnet. Wollen Sie das Ehegattensplitting beenden? Nein, die Reform der Steuerklassen hat nur indirekt mit der Wachstumsinitiative zu tun. Das kommt ja erst 2030. Da geht es um Fairness, indem wir zur Steuerklasse 4 mit Faktorverfahren wechseln. Die Aussage der Kollegin Paus ist rätselhaft, denn das Ehegattensplitting wird auf keinen Fall abgeschafft. Im Gegenteil ist die Reform der Steuerklasse die Alternative zur Abschaffung des Ehegattensplittings. Wir sorgen dafür, dass die Steuer fair zwischen den Ehegatten verteilt wird und Steuernachzahlungen vermieden werden. Leider sind es bisher oft Frauen, die optisch eine überproportionale Steuerlast tragen. Eine Abschaffung des Splittingvorteils wäre dagegen eine Steuererhöhung ausgerechnet für Menschen, die füreinander Verantwortung übernehmen. Die Aussagen von Frau Paus sind deshalb eine Vorahnung, was die Grünen mit der arbeitenden Bevölkerung planen. Das werde ich als Finanzminister verhindern. Ein weiterer Punkt sind die Steuervorteile für Überstunden . Kritiker sagen: Die müssten erst einmal erfasst werden. Wollen Sie parallel auch das überfällige Arbeitszeiterfassungsgesetz angehen? Die Maßnahmen unserer Wirtschaftsinitiative stehen insgesamt unter der Überschrift: Arbeit muss sich lohnen. Und wer mehr arbeitet, soll mehr Netto in der Tasche haben. Mehr Bürokratie wollen wir freilich nicht. Ich setze darauf, dass sie steuerlichen Möglichkeiten in der betrieblichen Praxis genutzt werden, um auf den Mangel an Arbeitskräften zu reagieren. Der Erfolg der steuerfreien Inflationsausgleichsprämie, die wir ermöglicht hatten, hat ja gezeigt, dass Eigenverantwortung eine Chance verdient. Skeptisch ist mancher auch bei der Idee, dass Rentner, die weiter arbeiten, den Arbeitgeberbeitrag für die Sozialkassen ausgezahlt bekommen sollen. Werden dadurch Jüngere gegenüber Älteren nicht diskriminiert? Nein, das Gegenteil ist der Fall. Bislang werden für Rentner, die arbeiten, weiter Beiträge für die Arbeitslosenversicherung gezahlt – obwohl die ihnen bei Verlust des Jobs niemals mehr etwas zahlen wird. Schließlich sind sie ja schon Rentner. Das schaffen wir ab. Ältere, die länger arbeiten wollen, haben dadurch deutlich mehr Netto in der Tasche. Das ist ein Anreiz, länger im Beruf zu verbleiben. Wie sehr haben Sie sich darüber geärgert, dass viele die Steuervorteile für hochqualifizierte Zuwanderer – eine Idee der FDP – so kategorisch ablehnen? Debatten gehören zur Demokratie. Wir brauchen mehr davon. Wenn unser Land vorankommen will, müssen wir innovativer und manchmal experimenteller werden. Dazu gehört der Blick über den Tellerrand. Eine steuerliche Anwerbeprämie, um es mal so zu nennen, haben viele unserer europäischen Partner. Das wurde in einen Topf geworden mit der starken Einwanderung nach 2015 und mit Bürgergeld. Dabei geht es um Top-Leute, die bei uns als Spezialisten und Führungskräfte Arbeitsplätze schaffen und sichern sollen. Wenn jemand kommt, der hier Steuern zahlt und Wachstum schafft, was wir ohne ihn nicht hätten, dann gewinnen unter dem Strich wir alle. Dann ist das eine Investition, die sich auch für Einheimische rechnet. Ich nehme aber zur Kenntnis, dass die Arbeitgeber mit Ausnahme der Start-ups bisher wenig Interesse gezeigt haben. Da werden wir das Gespräch suchen. Wenn der Etat final steht, wird sich das Parlament mit dem Entwurf befassen. Wo erwarten Sie die größten Diskussionen mit SPD und Grünen? Es ist öffentlich bekannt, dass unsere Koalitionspartner bei der Schuldenbremse Redebedarf angemeldet haben. Davon rate ich ab, denn wir zahlen hohe Zinsen. Wir haben auch kein Einnahmeproblem, sondern schlicht zu hohe Erwartungen an den Staat. Wir sollten die Gedanken von Eigenverantwortung und Leistungsbereitschaft stärken. Nervt Sie SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich eigentlich sehr? Nein. Herr Mützenich vergisst nur manchmal, dass es links der FDP keine Mehrheit gibt. Man sagt, Sie und Oppositionschef Friedrich Merz kennen sich gut. Wie findet er es wohl, dass Sie ihm – dem potenziellen nächsten Kanzler – per Finanzplan diktieren, dass er bis 2028 mal eben 30 Milliarden Euro für die Bundeswehr auftreiben soll? Das diktiere nicht ich, sondern es ist das gemeinsame Ziel, dauerhaft das Zwei-Prozent-Ziel zu erreichen. Bis 2028 nutzen wir dafür das von mir initiierte und von der CDU unterstützte Sonderprogramm von hundert Milliarden Euro, danach muss es aus dem Bundeshaushalt gelingen. Bis 2028 können wir uns diese Mittel erarbeiten. Einerseits durch Disziplin bei den Staatsausgaben, andererseits durch mehr Wirtschaftswachstum. Deshalb ist die Wirtschaftswende so wichtig. Denn ohne Wachstum werden uns die Mittel für unseren Lebensstandard, den Sozialstaat, den Klimaschutz und die Bundeswehr fehlen. Schließen Sie aus, sich an einer solchen nächsten Regierung zu beteiligen, wenn die sich eine Reform der Schuldenbremse vornimmt oder ein neues Bundeswehr-Sondervermögen? Für mehr fiskalischen Spielraum habe ich selbst Vorschläge gemacht. Dann, wenn die Staatschuldenquote wieder beim Vor-Corona-Niveau von etwa 60 Prozent liegt, können wir den Tilgungszeitraum für die Pandemie-Kredite und für das Bundeswehr-Sondervermögen neu organisieren. Dadurch ergibt sich ein zusätzlicher Spielraum von 10 Milliarden Euro pro Jahr. Viel mehr erlauben die europäischen Fiskalregeln gar nicht. Selbst wenn man Christian Lindner wegbeamt und die CDU bei der Schuldenbremse umfällt, gelten die europäischen Fiskalregeln ja weiter. Und die sollten wir auf keinen Fall brechen, denn wir haben als Stabilitätsanker eine Führungsverantwortung in Europa. Blicken wir abschließend noch nach Amerika. Nach dem Attentat auf Donald Trump sagten Sie, Ihre Sorge um die Demokratie in den USA wachse. Wovor genau haben Sie Angst? Die USA sind ein unglaublich polarisiertes Land. Wenn es keine Verständigung über demokratische Gemeinsamkeiten mehr gibt, auf deren Grundlage dann der Wettbewerb ausgefochten wird, dann ist das eine Gefahr für ein demokratisches System. Ich hoffe deshalb sehr, dass in der gesellschaftlichen Mitte Amerikas nun ein Umdenken einsetzt und die Menschen erkennen, dass sie mehr verbindet als trennt. Befürchten Sie auch konkrete Auswirkungen auf Deutschland? Ein gespaltenes Land, das mit sich selbst beschäftigt ist, kann sich weniger um andere Dinge kümmern. Insofern ist diese Entwicklung natürlich auch eine Gefahr für die geopolitische Stabilität. Wir brauchen die USA als Partner im Handel, wir brauchen sie für unsere Sicherheit in Europa. Niemand außer Putin kann darum ein Interesse an einem geschwächten Amerika haben. Herr Lindner, vielen Dank für dieses Gespräch.