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Rote Linien, schwarze Listen: Medien im Iran

Das iranische Regime schränkt die Freiheiten der eigenen Bevölkerung konsequent ein – auch die Medienfreiheit. Doch wie sieht die Lage der Medien im Land angesichts immer stärkerer geopolitischer sowie innenpolitischer Spannungen aus? Wie hat sich die Medienlandschaft seit den 90er Jahren verändert und wie kommt die Bevölkerung an Informationen? EJO spricht darüber mit Teseo La …

Bildquelle: Flickr; CC BY-NC 2.0

Das iranische Regime schränkt die Freiheiten der eigenen Bevölkerung konsequent ein – auch die Medienfreiheit. Doch wie sieht die Lage der Medien im Land angesichts immer stärkerer geopolitischer sowie innenpolitischer Spannungen aus? Wie hat sich die Medienlandschaft seit den 90er Jahren verändert und wie kommt die Bevölkerung an Informationen? EJO spricht darüber mit Teseo La Marca. Der freie Reporter stammt aus Südtirol und berichtet vor allem aus Iran, Italien und Südosteuropa. Seine Berichte und Reportagen sind u.a. in der NZZ, taz, Fluter, Welt am Sonntag, GEO und Datum erschienen.

EJO: Teseo, der Iran ist aktuell ständig wen könnten Sie uns kurz über die aktuelle Situation in der iranischen Medienlandschaft informieren?

Teseo la Marca: Die Pressefreiheit im Iran ist stark eingeschränkt. Laut Statistiken großer Organisationen wie Reporter ohne Grenzen rangiert der Iran weltweit seit Jahren kontinuierlich auf den hintersten Plätzen. Dies bedeutet konkret, dass strenge Grenzen für die Berichterstattung gelten. Journalisten, die diese roten Linien  überschreiten, müssen mit Verhaftungen, Entführungen, Einschüchterungen und im schlimmsten Fall der Todesstrafe rechnen.

Gab es in den letzten zehn Jahren bedeutende Änderungen in der Medienlandschaft? Gab es Zeiträume, in denen die Lage weniger angespannt war als heute

Teseo La Marcas Artikel sind unter anderem in der NZZ, taz, Fluter, Welt am Sonntag, GEO und Datum erschienen. Er ist Stipendiat des European Journalism Fellowships (EJF) an der FU Berlin. Foto: La Marca

Ja, tatsächlich gab es eine Zeit, in der die iranischen Medien vorübergehend etwas freier waren. Dies war in der zweiten Hälfte der 1990er Jahre, als Mohammad Khatami, ein Reformer, Präsident des Iran war. Im Iran gibt es zwei politische Lager: die Konservativen und die Reformer. Die Konservativen stehen dem Obersten Führer Ali Khamenei und seinen Vorschriften nahe. Die reformorientierten Politiker im Iran sind etwas moderater und haben in den 1990er Jahre versucht, das Land schrittweise zu öffnen und zu liberalisieren. Im Iran sind zwar alle Medien staatlich kontrolliert, die Medien, die dem politischen Lager der Reformer nahestehen, machen aber zumindest den Versuch, so kritisch wie möglich zu berichten.

In der zweiten Hälfte der 1990er Jahre gab es also etwas mehr Freiheiten, und die reformorientierten Medien, die damals freier berichten konnten, hatten immens hohe Auflagen. Eine Zeitung wie Salam verkaufte damals täglich mehrere Hunderttausend Exemplare. Diese Zeitung wurde jedoch im Jahr 1999 geschlossen, was zeigt, wie fragil diese Freiheiten waren. Die Schließung führte vor allem unter Studenten zu großen Protesten, gegen die das Regime mit roher Gewalt vorging. Hunderte Studenten wurden festgenommen und einige kamen ums Leben. In der Folge wurden auch andere kritische Medien verboten und die Vorschriften für Journalisten wurden viel strenger.

Zu den bekannten reformorientierten Tageszeitungen gehören heute Hammihan und Shargh. Ihre Journalistinnen und Journalisten versuchen nach wie vor, so kritisch wie möglich zu berichten und gehen dabei oft an die Grenzen des Erlaubten. Im Gegensatz dazu gibt es auch Medien, die vollständig linientreu und praktisch Propagandaorgane des Regimes sind.

Und wie reagiert die Regierung auf die internationale Berichterstattung über den Iran?

Die iranische Regierung und die Behörden bezeichnen die Kritik an ihrer Führung in der internationale Berichterstattung als Fake News und westliche Propaganda.

Würden Sie sagen, dass im Iran keine Pressefreiheit existiert?

Interessanterweise ist die Pressefreiheit im Iran in der Verfassung als eines der wichtigsten Rechte der Iranerinnen und Iraner verankert. Dennoch gibt es viele zusätzliche Gesetze, die ebenfalls in der Verfassung festgehalten sind und diese Pressefreiheit wiederum einschränken. Dazu gehören beispielsweise Gesetze gegen die Bedrohung der nationalen Sicherheit, gegen das Beleidigen der Religion oder Gesetze gegen das Verbreiten von sogenannten Falschinformationen. Was als Falschinformation gilt, entscheiden letztendlich aber die staatlichen Behörden. Der Staat beruft sich auf diese Gesetze, um die Pressefreiheit einzuschränken und iranische Journalistinnen und Journalisten zu verfolgen, anzuklagen und zu verurteilen.

Welche Themen dürfen iranische Journalisten nicht kritisch hinterfragen, um Probleme zu vermeiden?

Zu den roten Liniengehört Kritik am Obersten Führer Ali Khameneiden Revolutionsgarden an religiösen Regeln und Gesetzen. Diese Grenzen, an die sich Journalisten halten müssen, verschieben sich jedoch ständig. Insbesondere in Zeiten des Protests sind die Grenzen enger als sonst.

Während der Proteste 2022, als Mahsa Amini (auch bekannt als Jina Amini) im Gewahrsam der iranischen Sittenpolizei ums Leben kam, wurden fast 100 iranische Journalisten wegen ihrer Berichterstattung über die Proteste verhaftet. Auffällig ist, dass ein großer Teil der verhafteten Journalisten Frauen waren. Ein Beispiel ist Elahe Mohammadi, die zur Beerdigung von Mahsa Amini fuhr und darüber berichtete. Sie beschrieb, wie die Angehörigen von Mahsa Amini trauerten und wie einige auf der Beerdigung “Frau, Leben, Freiheit” riefen, den großen Slogan dieser Proteste. Sie interviewte auch verschiedene reformorientierte Politiker und Experten, die die Ereignisse einordneten und erklärten. Obwohl sie sich in ihrem Artikel nicht selbst kritisch äußerte, sondern lediglich kritische Stimmen wiedergab, wurde sie dennoch wegen diesem Text zu mehreren Jahren Gefängnis verurteilt.

Welche Bedeutung haben neben der Gesetzgebung  kulturelle und religiöse Einflüsse auf die Medien?

Im Iran ist jedes religiöse Thema auch ein politisches Thema. Man darf nur so über Religion sprechen, wie es die Mullahs verlangen. Das bedeutet, dass die religiösen Grenzen der Berichterstattung im Iran zugleich die politischen Grenzen sind.

Solange es sich nicht um kritische Berichte gegen die Regierung handelt, ist die Berichterstattung über andere religiöse Gemeinschaftenwie Christen, Juden und Zoroastrier erlaubt. Über die Baha’i jedoch darf man im Iran überhaupt nicht sprechen. Diese relativ junge religiöse Gemeinschaft, die in den letzten 150 Jahren entstanden ist, wird stark verfolgt. Angehörige der Baha’i werden verhaftet, ihre Häuser zerstört und ihre Geschäfte geschlossen. Diese Verfolgung betrifft auch Journalisten, die über die Baha’i berichten.

Welche Hauptthemen dominieren heutzutage die iranische Medienlandschaft? Was prägt die Berichterstattung im Land am meisten?

Während es in der internationalen Berichterstattung über den Iran häufig um Themen wie Frauenrechte, die politische Unterdrückung und die geopolitische Rolle des Landes geht, interessiert sich der Großteil der Bevölkerung vor allem fürwirtschaftliche Themen. Dazu gehören staatliche Misswirtschaft und Korruption.

Auch Umweltthemen sind sehr stark gefragt, weil sie im Iran keine abstrakten politischen Themen sind, sondern das Leben der Menschen direkt betreffen. Insbesondere die große Wasserknappheit ist ein Problem. Die Grundwasserressourcen wurden in den letzten Jahrzehnten wegen staatlicher Misswirtschaft und dem Klimawandel stark ausgebeutet. Ganze Flüsse sind heute ausgetrocknet und viele Bauern wissen nicht mehr, wie sie ihre Felder bewirtschaften sollen. Das könnte in den nächsten Jahrzehnten zum größten politischen Sprengstoff im Land werden.

Ansonsten schauen die Iranerinnen und Iraner aber vor allem nach Amerika. Vor allem junge Menschen interessieren sich kaum noch für iranische Politik. Sie wissen, dass das politische System so starr ist, dass sich nichts verändern wird, egal, ob der nächste Präsident ein sogenannter Reformer oder ein Konservativer ist. Was sie aber genau verfolgen, sind die US-Präsidentschaftswahlen. Ob es zu weiteren Sanktionen kommt, die USA einen Militärschlag Israels gegen den Iran unterstützen oder ob die USA vielleicht wieder stärker mit den Revolutionsgarden ins Gespräch kommen, sind alles mögliche Ereignisse, die enorme Auswirkungen auf das Leben der Menschen im Iran hätten.

Welche Wege findet die iranische Bevölkerung, sich trotz der stark eingeschränkten Pressefreiheit zu informieren?

Um sich unabhängig von der staatlichen Zensur zu informieren, nutzen die Iranerinnen und Iraner soziale Medien und folgen bestimmten Aktivisten sowie ausländisch finanzierten persischsprachigen Medien. Diese Medien betreiben eigene TV-Sender, Onlinezeitungen und Homepages mit Newslettern und werden von ausländischen Akteuren unterstützt. Beispielsweise wird Iran International aus Saudi-Arabien und BBC Persian aus Großbritannien finanziert.

Die Auftraggeber dieser Medien verfolgen sicherlich ihre eigenen Interessen, dennoch halten diese Medien höhere journalistische Standards ein als die meisten iranischen Medien, da sie freier in ihrer Berichterstattung sind.

Wie ist die Lebenssituation der Journalisten im Iran?

Der Iran ist kein Hochverdienerland; der  Mindestlohn liegt bei etwa 200 Dollar pro Monat, und viele Menschen müssen zwei oder drei Jobs annehmen, um ihre Familie zu ernähren. Das betrifft auch Journalisten. Zu diesen Nebenjobs gehören Tätigkeiten als Taxifahrer oder der Betrieb eines kleinen Onlineshops, wo sie zum Beispiel Kleidung oder handgemachte Vasen verkaufen.

Wie lautet Ihre Prognose, wie sich die Situation der Medien in den die kommenden Jahren entwickeln könnte?

In absehbarer Zeit wird sich kaum etwas ändern. Auch mit Mahmoud Pezeshkian als Präsident, der sich als moderat gibt. In Wirklichkeit hat er keine Möglichkeit, konkret etwas für die Pressefreiheit zu verbessern, selbst wenn er den Willen dazu hätte.

Es gibt keine Möglichkeit für einen Präsidenten im Iran, ein Gesetz zu erlassen, das dem Obersten Führer Ali Khamenei nicht gefällt. Das bedeutet, dass es für Journalistinnen und Journalisten im Iran keine größeren Freiheiten geben wird, solange Khamenei an der Macht ist.

Danke für das Interview.

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