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Gender-Streit um Imane Khelif: Die 46 kontroversesten Olympia-Sekunden

Der Olympia-Start von Imane Khelif spaltet die Boxwelt. Bei der WM wurde sie nach einem nicht bestandenen Geschlechtstest disqualifiziert. Nun siegte sie nach 46 Sekunden. t-online beantwortet die wichtigsten Fragen zu diesem Fall. Aus Paris berichtet Alexander Kohne Nach echter Freude sah das nicht aus. Imane Khelif wirkte nach ihrem schnellen Sieg im Ring in der olympischen Boxhalle seltsam deplatziert – so als ob ihr der Kampf wie auch das Drumherum gar nicht behagten. Nach nur 46 Sekunden hatte sie die Auseinandersetzung für sich entschieden, weil ihre Gegnerin, die Italienerin Angela Carini, aufgegeben hatte. Danach war Carini im Ring auf die Knie gesunken und hatte bitterlich geweint. TV-Bilder lassen vermuten, dass sie dabei "Es ist nicht fair" gemurmelt hat. Einen Handschlag gab es zwischen den Kontrahentinnen ebenfalls nicht. Olympia 2024: Der Medaillenspiegel in der Übersicht Debatte um Imane Khelif: Sollte die Boxerin teilnehmen dürfen? Zuvor hatte es eine Kontroverse darüber gegeben, dass Khelif überhaupt beim olympischen Boxturnier antreten darf. Vor einem Jahr bei der Weltmeisterschaft war sie nach einem nicht näher spezifizierten Geschlechtstest disqualifiziert worden, angeblich aufgrund eines erhöhten Testosteronwerts. Eine Zeitung schrieb, dass Khelif "intersexuell" sei, also nicht eindeutig männlich oder weiblich eingeordnet werden könne. Seitdem toben rund um die olympische Boxhalle im Nordosten von Paris heftige Diskussionen darüber, ob Khelif zu männlich ist, um bei den Frauen anzutreten. t-online beantwortet die wichtigsten Fragen zu dem Fall. Wer ist Imane Khelif? Die 25-Jährige stammt aus Algerien, ist 1,78 Meter groß und kämpft bei den Olympischen Spielen in der Gewichtsklasse bis 66 Kilogramm. Bereits bei Olympia 2021 in Tokio war Khelif dabei und erreichte dort den fünften Platz. Sie kämpft seit Jahren bei internationalen Turnieren und hat als Amateurboxerin laut dem Portal "Boxrec" 37 Kämpfte gewonnen und neun verloren. 2023 stand sie bei der Weltmeisterschaft im Finale, wurde vor diesem allerdings aufgrund eines nicht näher spezifizierten Geschlechtstests disqualifiziert. In zahlreichen internationalen Medien ist zu lesen, dass sie einen erhöhten Testosteronwert gehabt haben soll. Die "Gazetta dello Sport" aus Italien schrieb überdies, dass Imane "intersexuell" sei. Von ihr selbst oder dem Nationalen Olympischen Komitee Algeriens gibt es dazu keine Aussagen. Hohe Testosteronwerte bei Frauen: Es muss nicht immer Doping sein Pikant ist die Thematik, weil Imane möglicherweise einen körperlichen Vorteil haben könnte. Mit mehr Testosteron baut der Mensch leichter und schneller Muskeln auf. Wissenschaftliche Studien haben zudem ergaben, dass Männer in der Pubertät beispielsweise eine um 162 Prozent höhere Schlagkraft im Vergleich zu Frauen haben. Für Gegnerin Carini ist Khelif keine Unbekannte. "Unsere Boxerinnen haben schon vorher gegen sie gekämpft – zum Beispiel bei den Mittelmeerspielen in Algerien", sagte der italienische Trainer Renzini t-online. Insofern seien sie auf die Algerierin eingestellt gewesen. "Wir kannten sie. Sie ist physisch sehr stark", ergänzte der Coach. Was sagt Imane Khelif? Zu den eingangs beschriebenen Diskussion wenig. Nach dem Kampf sprach sie mit dem algerischen Fernsehen, ließ Fragen vieler internationaler Medien aber aus. Das algerische Olympische Komitee meldete sich allerdings zu Wort und teilte mit, es "verurteilt aufs Schärfste die bösartigen und unethischen Angriffe, die von einigen ausländischen Medien gegen unsere verdiente Athletin Imane Khelif gerichtet wurden". Etwaige Kritik an ihrem Start in Paris nannte das Komitee unbegründet. "Diese auf Lügen basierenden Diffamierungsversuche sind völlig unfair, insbesondere in einem entscheidenden Moment, in dem sie sich auf die Olympischen Spiele , den Höhepunkt ihrer Karriere, vorbereitet", hieß es in einer Stellungnahme. "Wir stehen alle hinter dir, Imane. Die ganze Nation steht hinter dir und ist stolz auf deine Leistungen." Warum darf Khelif in Paris antreten, obwohl sie bei der WM disqualifiziert wurde? Die Diskussionen um Khelifs Olympia-Start sind das Ergebnis wirrer Jahre, die der Boxsport zuletzt erlebte. Das liegt vor allem am Weltboxverband IBA. Dort gab es zahlreiche Korruptions- und Manipulationsskandale, sodass das Internationale Olympische Komitee (IOC) dem Verband 2023 die Anerkennung entzog. "Wir haben kein Problem mit der Sportart Boxen, den Boxern oder ihren Werten. Wir schätzen die Werte des Boxens sehr", erklärte IOC-Präsident Thomas Bach im vergangenen Jahr: "Aber wir haben ein extrem ernstes Problem mit der IBA. Die Boxer verdienen es, von einem Verband vertreten zu werden, der Integrität und Transparenz lebt." Deshalb organisierte das IOC die Zulassung der Sportlerinnen und Sportler für die Spiele 2024. Dazu legte es dieselben Kriterien an wie bei der vorherigen Ausgabe in Tokio, als ebenfalls nicht die IBA, sondern eine vom IOC eingesetzte Taskforce diese Aufgabe übernahm. Wie auch diesmal war Khelif damals dabei und belegte in der Klasse bis 66 Kilogramm am Ende Platz fünf. Im Vergleich zu den Olympia-Turnieren wurde die Zulassung zur Weltmeisterschaft 2023 von der IBA geregelt – ebenso wie Khelifs Disqualifikation vor dem Finale. Was hat es mit dem nicht bestandenen Geschlechtstest bei der WM auf sich? Spätestens hier wird es nebulös. IBA-Präsident Umar Nasarowitsch Kremlew teilte der russischen Nachrichtenagentur Tass mit, ein DNA-Test habe bewiesen, dass Khelif sowie wie Taiwanerin Lin Yu-ting über XY-Chromosomen verfüge und beide damit versucht hätten, "ihre Kollegen zu täuschen und sich als Frau auszugeben". Unter Kremlews Ägide hatte sich die IBA mit dem IOC endgültig überworfen. Der Vertraute des russischen Präsidenten Putin rief noch vor wenigen Tagen zur Absetzung von IOC-Präsident Bach auf. Dieser hatte Kremlew als "korrupt und korrumpierend" bezeichnet. Auf Anfrage der britischen Zeitung "Guardian" teilte die IBA mit, sie habe die Entscheidung über Khelifs Disqualifikation "nach einer umfassenden Überprüfung getroffen, um die Fairness und Integrität des Wettkampfs zu wahren." Was das genau heißt, ist unklar. Am Mittwoch gab der Verband zudem eine Erklärung ab, laut der es sich nicht um eine "Testosteronuntersuchung" gehandelt habe, sondern um einen "separaten und anerkannten Test". Einzelheiten seien aber "vertraulich". Was sagt Angela Carini? Deutlich mehr als ihre Kontrahentin. Mit direkter Kritik an dieser hält sie sich aber zurück. "Ich bin kein Mensch, der über andere urteilt. Ich verurteile auch sie nicht", erklärte die Italienerin. Carinis Trainer Emanuele Renzini sprach direkt nach den Geschehnissen im Ring von einem unfairen Kampf. Im Einzelgespräch mit t-online ruderte er allerdings etwas zurück und sagte auf die Frage, ob Khelifs Olympia-Teilnahme rechtmäßig sei: "Das ist schwer zu sagen, eine schwere Frage. Es ist nicht an mir, diese zu beantworten." Wichtig zu Carinis Reaktion nach dem Kampf ist, dass Ihr Vater in der Nacht vor ihrem Erstrundenkampf bei den Spielen in Tokio vor drei Jahren verstorben ist. In den Ring stieg sie danach nicht mehr und legte eine zweijährige Boxpause ein. Vor acht Monaten hatte sie Renzini um ein Comeback gebeten. "Sie kam zu mir und sagte: Boxen ist mein Leben, ich will es noch mal probieren." Aufgrund der kurzen Vorbereitungszeit war der Coach davon zuerst alles andere als begeistert. Doch die Boxerin habe immer wieder um ihre Chance gebeten – bis er nachgegeben habe ( hier lesen Sie alle Hintergründe dazu ). "Mein Vater hat mir beigebracht, eine Kämpferin zu sein, wenn ich in den Ring steige", sagte Carini über den ehemaligen Polizisten, der nach einem Dienstunfall bis zu seinem Tod im Rollstuhl gesessen hatte. Wie geht es jetzt weiter? Khelif wird weiter im olympischen Boxturnier bleiben. Das IOC verteidigte die Entscheidung über ihren Start. Sprecher Mark Adams sagte: "Wer in der Frauenkategorie antritt, erfüllt die Teilnahmebedingungen." Am Samstagnachmittag wird Khelif zum zweiten Mal in den Ring steigen. Dann geht es gegen die Ungarin Anna Luca Hamori. Ob sich im Nachgang eine Diskussion wie bei Doppelolympiasiegerin Caster Semenya, deren Fall sogar bis zum Internationalen Sportgerichtshof CAS ging , anschließt, wird sich wohl erst viel später zeigen.

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