Tim Walz wird zu Trumps härtestem Gegner: Tränen, Familie und Football
Tim Walz musste in Chicago die wohl wichtigste politische Rede seines Lebens halten. Ausgerechnet mit Tränen und Emotionen präsentierte er sich als harter Gegner von Donald Trump und J. D. Vance. Bastian Brauns berichtet aus Chicago Vom Parteitag der Demokraten in Chicago gibt es eine Szene, die viele Republikaner für ziemlich irritierend halten. Da sitzt Tim Walz, der Vize-Kandidat von Kamala Harris , auf der Tribüne im United Center neben seiner Frau Gwen. Ein Fernsehreporter hält ihm ein Mikrofon entgegen. Walz sagt, das alles hier sei "ein großes Privileg". Während er das sagt, machen sich zwei junge Menschen hinter ihm lustig. Sie halten ihm mit ihren Fingern Hasenohren an den Kopf und lachen sich schlapp. Es sind Walz' Kinder Gus (17) and Hope (23). Dass sich Donald Trumps Kinder Barron, Ivanka, Eric oder Donald Jr. solche Faxen erlauben würden, während die amerikanische Fernsehnation zusieht, ist einigermaßen unvorstellbar. Für einige mag das Verhalten der Walz-Kinder ungehörig, unreif und absolut unpassend wirken. Es sind wohl die gleichen Menschen, die sich auch über die ausgelassene Stimmung beim Parteitag der Demokraten beschweren, weil es dort zu wenig ernsthaft zugehe. Tim Walz: Mit "Dad Energy" auf dem Weg ins Weiße Haus Dabei ist es wohl aber ebendiese Lockerheit, die eine Stärke des Vize-Präsidentschaftskandidaten von Kamala Harris ist. In den sozialen Netzwerken, wo diese Hasenohren-Szene längst die Runde macht, kommentierte Tim Walz das Verhalten mit den Worten: "Meine Kinder erinnern mich daran, demütig zu sein", also auf dem Boden zu bleiben. Doch ausgerechnet Gus und Gwen Walz sollten am Mittwoch, dem dritten Abend des Demokraten-Parteitags, diejenigen sein, die ihren Vater so richtig abheben ließen. Tränen als Waffe gegen Trump Als Tim Walz auf der Parteitagsbühne die wichtigste Rede seines bisherigen politischen Lebens hielt, erzählte er eine persönliche Geschichte. Seine Frau und er hätten über Jahre hinweg vergeblich darum gekämpft, Kinder zu bekommen, sagte er. Dank einer ärztlichen Fruchtbarkeitsbehandlung sei es aber schließlich gelungen. Das erste Kind, ihre Tochter, nannten sie darum Hope (zu Deutsch: Hoffnung). Tim Walz stand auf der Bühne und atmete tief durch. Dann sagte er: "Hope, Gus und Gwen, ihr seid mein Ein und Alles und ich liebe euch." Ein Gegenmodell zum Hass Das Publikum brach in Jubel aus und sein Sohn Gus in Tränen. Er zeigte in Richtung Bühne und rief: "Das ist mein Vater!" Es war eine menschliche Szene, die Amerika in weiten Teilen berühren dürfte. Im United Center jedenfalls weinte nicht nur Familie Walz. Denn die Geschichte war authentisch. Und sie war zugleich hochpolitisch. Denn ausgerechnet Tim Walz' Kontrahent im Wahlkampf, der republikanische Vize-Kandidat J. D. Vance, muss seit Wochen mit Aussagen kämpfen, die er getätigt hat. Trumps Stellvertreter wetterte gegen kinderlose Amerikaner. Unter anderem sprach Vance dabei etwa von sogenannten "Cat Ladies" – ein Schimpfwort für alleinstehende, kinderlose Frauen. Solche Leute, so Vance, sollten steuerlich nicht nur stärker belastet werden. Er sinnierte sogar darüber, dass Eltern mehr Stimmrechte bei Wahlen eingeräumt werden sollten. Die Biografie der Walz-Familie wirkt da wie eine Antwort aus der harten Wirklichkeit von Millionen von amerikanischen Familien. Denn selbst wer sich aus freien Stücken für Kinder entscheiden will, steht in den USA wie überall sonst auch oft vor dem Problem, schlicht keine bekommen zu können. Und die Menschen müssen sich eine mögliche medizinische Unterstützung überhaupt erst leisten können. Schon dieser kurze, emotionale Teil der Rede von Tim Walz machte in Chicago darum deutlich, dass er keinen einfachen Gegner für die Republikaner um Donald Trump und J. D. Vance abgeben wird. Am 1. Oktober treten sie in einer TV-Debatte gegeneinander an. Der Einpeitscher der Nation Tim Walz, ein Mann, der Tränen offensichtlich zulassen kann, präsentierte sich darüber hinaus als das Gegenteil dessen, was Spötter ein Weichei nennen könnten. Der ehemalige Football-Coach und Sozialkundelehrer musste bislang keine solch großen Reden halten. An diesem Abend durfte er nicht abfallen gegen die großen Auftritte, die direkt vor ihm stattfanden – darunter der ehemalige US-Präsident Bill Clinton, der beliebte und rhetorisch versierte Verkehrsminister Pete Buttigieg und die berühmte US-Moderatorin Oprah Winfrey . "Schlafen könnt ihr, wenn ihr tot seid", rief Tim Walz den Demokraten in Chicago kämpferisch entgegen. Im Stil eines Trainers vor einem entscheidenden Spiel peitschte er ihnen für die verbleibenden 76 Tage Wahlkampf ein. Um seine Coach-Qualitäten zu untermauern, half ihm auch eine Reihe von heute erwachsenen Männern seines ehemaligen Jugend-Football-Teams, das extra gemeinsam angereist war, um ihren Ex-Trainer zu unterstützen. Unzählige Telefon-Anrufe, Spenden und Türklingeln müssen getätigt und betätigt werden, wenn die Demokraten gegen Donald Trump und die Republikaner erfolgreich sein wollen. Diese millionenfache Motivation auf dem Parteitag zu erzeugen und fortzuführen, war eine der wichtigsten Aufgaben seiner Rede – sie scheint ihm vorerst gelungen zu sein. Der Unbekannte muss überzeugen Für Walz aber ging es auch darum, sich selbst erstmals einem gesamtamerikanischen Publikum vorzustellen. Zwar gilt der Gouverneur von Minnesota bislang als richtige Entscheidung von Kamala Harris. Doch bis zur Bekanntgabe seiner Kandidatur als ihr "Running Mate" war Tim Walz kaum jemandem über Minnesota hinaus in den USA bekannt. Der langjährige Kongressabgeordnete wird von den Demokraten zwar wegen seiner Vergangenheit gerne als Mann aus dem normalen Volk präsentiert. Aber die meisten im Volk kannten ihn eben bislang noch immer nicht. Walz wählte einfache Sätze, um zu erklären, was er tut. "Während andere Bundesstaaten Bücher aus den Schulen verbannten, haben wir den Hunger bekämpft", sagte er über seine Amtszeit als Gouverneur von Minnesota. Walz hat dort kostenloses Schulessen eingeführt, was insbesondere bedürftigen Kinder zugutekommt. Trump und die Republikaner zeichnen Walz längst als einen Lügner und Kommunisten, der aus politischer Korrektheit heraus in Minnesotas Schulen Tampons auf Jungenklos eingeführt hätte. Es ist eine der vielen Lügen und Halbwahrheiten Donald Trumps. Die Demokraten müssen daher ihre eigene Erzählung für ihn finden. Ernsthafte Alternative für das ländliche Amerika Zwar gilt laut US-Wahlforschern die Rolle des Vize-Präsidenten im Wahlkampf seit jeher als wenig entscheidend für das Endergebnis. Doch der "Running Mate" und seine Präsidentschaftskandidatin werden dennoch als Team wahrgenommen. Das muss funktionieren – und bislang tut es das auch. Harris und Walz wirken in ihren Kampagnen-Videos und Auftritten wie ein seit Jahren eingespieltes Team. Egal, ob sie sich über die richtige Füllung für mexikanische Tacos unterhalten oder über Trumps politische Agenda. Beide lachen viel. Auch auf der Bühne in Chicago lachte Tim Walz. Aber er machte auch Ernst. Denn die wichtigste gemeinsame Aufgabe ist es, nicht nur die sicheren, eigenen Wähler zu überzeugen. Er und Harris müssen es schaffen, die Wechselwähler auf ihre Seite zu ziehen. Gerichtet an ärmere Familien sagte er: "Kamala Harris wird Ihre Steuern senken und wenn Sie durch die Preise für verschreibungspflichtige Medikamente unter Druck geraten, wird Kamala Harris es mit der Pharmaindustrie aufnehmen." Auch den Hauskauf würde Harris erschwinglicher machen, versprach Walz. Er zielte buchstäblich ins Herz der amerikanischen Nation, dem "Heartland" – also in jenen ländlichen Teil Amerikas, der an den liberalen Küsten gerne übersehen wird. "Ich bin Veteran, ich bin Jäger und ich war ein besserer Schütze als die meisten Republikaner im Kongress, und ich habe die Trophäen, um das zu beweisen", sagte der leidenschaftliche Gewehrbesitzer Tim Walz. Er sei aber auch Vater. Er glaube zwar an den zweiten Verfassungszusatz, also das explizite Waffenrecht der USA. "Aber", so Walz, "ich glaube auch daran, dass unsere erste Verantwortung darin besteht, unsere Kinder zu schützen." Da war Tim Walz wieder der Familienmensch, der die Gefühle und Realitäten jeder amerikanischen Familie – auch auf dem Land – ansprechen kann. Womöglich hat Walz deshalb direkte und persönliche Angriffe gegen Trump weitgehend vermieden. Der Gouverneur aus Minnesota wollte beweisen, dass er eine demokratische Alternative auch für republikanische Wählerinnen und Wähler sein kann. Ob ihm das gelingen wird, muss sich erst zeigen. Entscheidend ist, dass dies auch in den wahlentscheidenden Swing States ankommt. Dann könnte Walz es schaffen, auch jene zu überzeugen, die Kamala Harris eher argwöhnisch gegenüberstehen.