US-Wahl 2024: "Kamala Harris steht jetzt vor einer großen Aufgabe"
Am 5. November wählen die USA einen neuen Präsidenten. Kamala Harris und Donald Trump liefern sich ein Kopf-an-Kopf-Rennen. Welche Probleme die Kandidaten bekommen könnten, erklärt der Politologe Thomas Jäger. Jetzt ist es offiziell: Kamala Harris hat am Donnerstag (Ortszeit) auf dem Parteitag der Demokraten ihre Präsidentschaftskandidatur angenommen. Damit tritt sie am 5. November gegen Donald Trump an. Noch sind es gut zweieinhalb Monate bis zur Wahl, und der Kampf um die Stimmen der US-Amerikaner läuft jetzt erst richtig an. Sowohl für Kamala Harris als auch für den Republikaner Donald Trump bergen die kommenden Monate diverse Fallstricke. Die Demokratin muss wichtige Wählergruppen noch für sich gewinnen, Trump hingegen scheint die Initiative im Wahlkampf derzeit verloren zu haben. Dem 78-Jährigen könnte der wohl anstehende Rückzug des umstrittenen unabhängigen Kandidaten Robert Kennedy jr. helfen, erklärt der Politologe Thomas Jäger im t-online-Interview. Harris hoffe andererseits, dass sich die Situation im Gaza-Krieg zu ihren Gunsten entwickelt. Aktuelle Entwicklungen zur US-Wahl 2024 lesen Sie im Newsblog. Herr Jäger, der Parteitag der Demokraten ist beendet, Kamala Harris ist nun offiziell Präsidentschaftskandidatin der Partei. Wie haben Sie die Stimmung auf der Veranstaltung wahrgenommen? Thomas Jäger: Der Parteitag hatte zuallererst die Funktion, den Prozess abzuschließen, der mit Joe Bidens Rückzug begann. Zunächst musste die Harris-Kampagne vor allem verhindern, dass es Gegenkandidaten gibt. Das ist gelungen. Denn Biden hat sich schnell für sie ausgesprochen, auch Parteigranden wie die Clintons kamen dazu. Dennoch hatte Harris kein großes Ansehen in der Partei, es gab weiter große Skepsis ihr gegenüber. Sie musste also die Mitte der Partei hinter sich versammeln. Und diesen Prozess hat der Parteitag abgeschlossen. Das ist jetzt auch erfolgreich gelungen. Wie geht es jetzt für Harris weiter? Kamala Harris steht jetzt vor einer großen Aufgabe, denn nun muss sie erstmals wirklich Wahlkampf machen. Das bedeutet? Sie muss nicht nur die Mitte gewinnen, sondern all diejenigen, die ohnehin demokratisch gewählt hätten. Es geht für Harris nun darum, bei Wählern am linken Rand, bei Unabhängigen und unzufriedenen Republikanern sowie auch bei denen, die unsicher sind, ob sie überhaupt wählen wollen, auf Stimmenfang zu gehen. Die Funktion des Parteitags bestand darin, eine Art Scharnier für diese Phase des Wahlkampfs zu schaffen. Analyse zur Rede von Kamala Harris in Chicago : Kein Feuerwerk Ist das der Vizepräsidentin gelungen? Das wird sich noch zeigen. Es gibt drei große Gruppen, die Harris nun von sich überzeugen muss. Das sind einmal die sogenannten Minderheiten, vor allem afroamerikanische und hispanische Männer, die in den letzten Monaten zu Trump tendierten. Biden war es zuletzt nicht mehr so gut gelungen, diese zu erreichen. Auch Harris muss da noch nachlegen. Für diese Gruppe zählen oft traditionelle Werte, ein starkes Militär, aber auch bezahlbarer Wohnraum und Lebensmittel. Das hat Harris in ihrer Rede angesprochen. Welche ist die zweite Gruppe? Die zweite große Gruppe sind Frauen. Da spielt etwa das Thema Schwangerschaftsabbrüche eine große Rolle im Wahlkampf. Während Trump das Thema weitestgehend totschweigt, sagt Harris, dass es ein allgemeines Gesetz braucht, dass Schwangerschaftsabbrüche erlaubt und den Bundesstaaten keine Möglichkeit gibt, das auszuhebeln. Da greift sie Trump auch direkt an und verweist darauf, dass seine Kampagne über das Verbot hinausgehen will und sogar ein Monitoring von Schwangerschaften plant. Hierzu gehören auch viele Wählerinnen von Nikki Haley, die auf keinen Fall Trump wählen wollen. Und die dritte Gruppe? Das sind all diejenigen, denen Biden zu moderat war und die dasselbe über Harris denken. Das sind potenzielle Nichtwähler, da sie vom linken Rand kommen und Trump für sie keine Option ist. Harris' Aufgabe besteht darin, diese Menschen davon zu überzeugen, dass Trump gefährlich ist. Zu sehr darf sie sich dem linken Rand aber nicht anbiedern, denn das birgt Fallstricke. Wie könnte Harris das gefährlich werden? Trump hat sich bereits festgelegt, wie er Harris im Wahlkampf charakterisieren will: nämlich als linksextreme Marxistin. Die Republikaner sind nicht sicher, ob das klug ist. Aber das ist Trumps Art und Weise, so macht er Wahlkampf. Der 78-Jährige hält sich an kein Drehbuch, hat aber einen Grundton gefunden. Welche Angriffe sind von Trumps Lager noch zu erwarten? Sie werden versuchen, Harris' Vergangenheit auszuschlachten. Es wird bereits das Narrativ verbreitet, sie sei als Staatsanwältin zu nachsichtig mit Gewalttätern gewesen. Die Republikaner werden dafür nach Menschen suchen, die diese Erzählung mit eigenen Anekdoten füllen, ihr sozusagen Legitimität verleihen. Die wichtigste Voraussetzung für einen erfolgreichen Wahlkampf erfüllt Trump derzeit aber nicht. Lesen Sie auch: Sie war Trumps Sprecherin – jetzt wendet sie sich gegen ihn Welche Voraussetzung ist das? Trump kommt derzeit nicht in die Initiative. Seit er die politische Bühne betrat und bis zur Übernahme der Kandidatur von Harris hat Trump die Schlagzeilen bestimmt. Er stand im Mittelpunkt – egal, ob er vor Gericht musste oder andere Skandale ihn heimsuchten. Der ehemalige Präsident hat das stets ausgeschlachtet. Er ist aber inzwischen nicht mehr Mittelpunkt der Show, die Leute schauen vor allem auf Harris. Und die Republikaner finden derzeit kein Mittel, das wieder zu drehen. Ein Mittel könnte Robert Kennedy sein. Der Neffe des ermordeten Ex-Präsidenten verkündet wohl bald seinen Rückzug aus dem Wahlkampf und könnte seine Anhänger zur Wahl Trumps aufrufen. Für die Demokraten ist das tatsächlich eine gefährliche Aussicht. Er hat wohl sowohl mit Harris' als auch mit Trumps Lager das Gespräch gesucht, um auszuloten, was sie ihm für die Unterstützung bieten würden. Die Demokraten scheinen das Gesprächsangebot ausgeschlagen zu haben. Was Trump ihm möglicherweise bietet, ist bisher nicht bekannt. Kennedy steht in Umfragen derzeit zwar nur noch bei vier bis fünf Prozent, für Trump ist das dennoch vielversprechend. Warum ist das so? Die Wählerstimmen, die Kennedy bietet, kommen eher aus dem republikanischen Lager. Das sind Menschen, die zwar auch Verschwörungserzählungen – etwa zur Corona-Pandemie – anhängen, aber Trump nicht so richtig wählen wollten. Für die Demokraten wäre das eine Chance gewesen, republikanische Stimmen für sich zu gewinnen. Doch das wollte man in diesem Fall wohl nicht. Vier bis fünf Prozent der Stimmen sind sehr viel, denn bei dieser Wahl können vor allem in den Swing States wenige Tausend Stimmen den Unterschied machen. Es bleibt aber abzuwarten, ob sich das in den Umfragen der kommenden Wochen niederschlägt. Die Demokraten werden Probleme haben, ihr Wählerpotenzial voll auszuschöpfen. In einigen inhaltlichen Fragen ist die Partei gespalten. Zum Beispiel im Nahostkonflikt. Richtig, bei diesem Thema hat Kamala Harris aber bereits einen anderen Zungenschlag als Joe Biden . Sie bekennt sich zur Unterstützung Israels, fordert aber eine Zweistaatenlösung. Und sie sagt auch: Das, was in Gaza geschieht, kann so nicht hingenommen werden. Das sagt Biden ebenfalls seit Monaten, wenn auch hinter verschlossenen Türen. Harris zielt damit auf all diejenigen, die am linken Rand der Demokraten pro-palästinensische Positionen einnehmen. Ihre Hoffnung ist, dass man jetzt irgendwann mit einem Waffenstillstands- beziehungsweise Geiseldeal an die Öffentlichkeit gehen und dann sagen kann: Wir tun etwas. Sie haben zudem bereits die Swing States angesprochen. Wie ist die Lage dort aktuell? Da zeichnet sich ein recht ausgeglichenes Bild ab. Je nach Umfrage liegt Trump in drei bis fünf der sieben Swing States vorn. Allerdings liegt sein Vorsprung mancherorts bei unter einem Prozent, die Fehlerquote der Umfragen aber bei rund drei Prozent. Das sind also bisher wenig aussagekräftige Zahlen. Auf welcher Seite sehen Sie mit Blick auf die Wahl derzeit das Momentum? Man muss mit solchen Einschätzungen sehr vorsichtig sein. Wenn man die mediale Berichterstattung verfolgt, bekam man nach dem Attentat Mitte Juli – als Biden noch demokratischer Kandidat war – das Gefühl, Trump sei schon gewählt worden. Dabei hatte Biden sogar noch gute Zahlen. Jetzt tut man so, als wäre Harris bereits gewählt, weil die Begeisterung über ihre Kandidatur groß ist. Doch bisher hat sie gerade mal rund anderthalb Prozent dazugewonnen, auch hier liegt die Fehlerquote bei drei Prozent. Wie geht es nun also weiter? Das ist eine ganz enge Kiste, um es salopp zu formulieren. Weder ist es Trump nach dem Attentat noch Harris mit ihrer Welle des Enthusiasmus gelungen, das Ruder endgültig in ihre Richtung zu reißen. Es bleibt ein Kopf-an-Kopf-Rennen, solange keiner der Kandidaten einen Vorsprung bei seiner festen Wählerschaft ausbauen kann. Darum geht es jetzt. Herr Jäger, vielen Dank für dieses Gespräch.