VW-Krise: Niedersachsens Wirtschaftsminister warnt vor "Kettenreaktion"
Niedersachsens Wirtschaftsminister Olaf Lies und Regionspräsident Steffen Krach (beide SPD) schlagen Alarm: Nach der Kündigung des VW-Tarifvertrags drohe ein massiver Einbruch der deutschen Wirtschaft. Nur eine Woche nachdem der größte deutsche Autobauer Werksschließungen, betriebsbedingte Kündigungen und das Ende der Beschäftigungssicherung zur Debatte gestellt hat, kündigt der Vorstand Tarifverträge auf. Ein Tabubruch. Das könnte drastische Folgen für die Industrieregionen in Niedersachsen haben: In der Automobilwirtschaft in der Region Hannover arbeiten über 24.000 Menschen, in Wolfsburg über 70.000, in ganz Niedersachsen 250.000. Die Autoindustrie bietet gute Arbeitsplätze, beste Ausbildungen, Tarifverträge und Löhne, von denen die Mitarbeitenden gut leben können. Die Beschäftigten tragen mit ihren Steuern zu einer starken Wirtschaft und einem funktionierenden Sozialsystem bei. Es geht um die Zukunft der deutschen Industrie Ein Stellenabbau oder Standortschließungen wirken sich weit über die Werkstore von Volkswagen hinaus aus, sie werden eine Kettenreaktion auslösen bei allen Unternehmen, die der Autobranche zuliefern oder von ihr profitieren. Es geht nicht nur um VW, es geht um die gesamte Automobilwirtschaft, die Zukunft weiter Teile der deutschen Industrie und damit um den zukünftigen Wohlstand unseres Landes. Wir stehen vor einem langen Transformationsweg, auf dem wir die Wettbewerbsfähigkeit sichern müssen. Demografischer Wandel, Digitalisierung, Klimaschutz – all diese Themen sind von höchster Bedeutung. Sie verändern unsere Art zu leben und zu arbeiten. Wir dürfen nicht den Fehler machen, sie gegeneinander auszuspielen oder aufzuwiegen. Weder schließt das Auto Klimaschutz aus, noch ist die Digitalisierung ein Motor für Arbeitslosigkeit. Wer diese Debatten führt, wird verlieren. Niedersachsen muss sich als Industriestandort verändern, aber Niedersachsen muss Industriestandort bleiben. Die Unternehmen und ihre Beschäftigten sind bereit, diese Veränderungen mitzugehen. Nun kommt es auf politische Tatkraft an – auf allen Ebenen. Ohne Industriepolitik kein Wohlstand für unser Land Ja, der Bund ist mehr denn je gefordert, bessere Wettbewerbsbedingungen zu schaffen. Olaf Scholz muss die deutsche Industrie zur Chefsache machen. In erster Linie braucht es wettbewerbsfähige Energiepreise. Wenn die Netzentgelte gesenkt und über Steuern finanziert werden, hilft es der Industrie und Privatpersonen. Mit Kaufanreizen für E-Autos muss zudem die Nachfrage gesteigert werden. Konsumenten agieren ebenso wie Unternehmen aus Verunsicherung zurückhaltend. "Situation ist dramatisch" : Hannovers OB Onay warnt vor drastischen VW-Maßnahmen Aber: Die Bundesregierung allein kann die Industrie nicht retten. Auch Länder und Kommunen müssen alle Möglichkeiten nutzen, die Industrie zu stärken. Und das sind mehr, als es zunächst scheint. Wer Fachkräfte will, muss die Demokratie schützen Fachkräfte meiden Orte, wo Rechtsextreme stark sind. Kommunen müssen für gute Rahmenbedingungen zum Leben sorgen und die Demokratie schützen. Gemeinsam mit ihren Tochterunternehmen hat sich die Region Hannover auf Maßnahmen verständigt, demokratische Bildung im Arbeitskontext zu stärken. Unternehmen müssen Farbe bekennen und ihren Mitarbeitenden unmissverständlich deutlich machen, wie wichtig demokratische Strukturen für die Wirtschaft sind. Welcome Center für schnellere Fachkräfteeinwanderung Der Fachkräftemangel ist die größte Wachstumsbremse für die Wirtschaft. Viele notwendige Investitionen können nicht getätigt werden, weil Fachkräfte fehlen. Vor allem für kleine Unternehmen sind Ausbildung und Beschäftigung von Zugewanderten eine Herausforderung. Mit dem Welcome Center von Region und Landeshauptstadt Hannover, IHK und HWK wird die Fachkräfteeinwanderung beschleunigt. Es werden bürokratische Prozesse vereinfacht und Unternehmen bei der Fachkräftegewinnung aus Drittstaaten unterstützt. Der Abbau von Bürokratie wird auch insgesamt vom Land Niedersachsen vorangetrieben. Die Transformation der Wirtschaft braucht einfachere und schnellere Prozesse. Der Bund kann dieses Vorgehen stärken: Die Anerkennung heimischer Berufsabschlüsse muss für Menschen mit Migrationshintergrund leichter und zügiger erfolgen. Berufsorientierung und Ausbildungen stärken Ausbildungen sind der beste Weg in die Fachkräftesicherung. Es müssen mehr junge Menschen für eine Ausbildung begeistert werden. Die Region Hannover unterstützt hier zusammen mit der Agentur für Arbeit mit Ausbildungslotsen 27 Schulen, indem sie junge Menschen auf dem Weg in den Beruf individuell berät. Die Ausbildungen müssen stärker auf zukünftig geforderte Kompetenzen im Bereich KI und Industrie 4.0 ausgerichtet werden. Bereits vor dem Abschluss sollten zudem Angebote zum Thema Gründung gemacht werden. Aus- und Weiterbildung verbessern, Transferoptionen schaffen Die berufliche Weiterbildung gewinnt mit der wirtschaftlichen Transformation immer mehr Bedeutung, um Fachkräfte für neue und veränderte Anforderungen zu schulen. Mit dem Projekt regioLab Plus berät die Region Unternehmen bei der Entwicklung ihrer Weiterbildungsangebote. Ziel müssen kommunale "Arbeitsmarktdrehscheiben" sein, die potenziell von einem Stellenabbau bedrohten Beschäftigten den direkten Zugang zu neuen Arbeitgebern erleichtern. Mobilitätswende vorantreiben Je besser die Rahmenbedingungen für nachhaltige Mobilität durch die Ladeinfrastruktur sind, desto attraktiver ist es, ein E-Auto zu kaufen. Hier können Land und Kommunen an einem Strang ziehen, damit sich mögliche Kaufanreize und eine verbesserte Struktur gegenseitig bestärken. Kreative Lösungen wie Lade-Bordsteine oder Laternen-Ladepunkte helfen, die Akzeptanz der E-Mobilität weiter zu erhöhen und den Umstieg zu vereinfachen. Das Land fördert zudem Projekte zu autonomem Fahren und fördert so Innovationen bei kleinen wie großen Unternehmen. Gemeinsam agieren Wir sind eine stolze Industrienation und das wollen wir bleiben. Aber wir müssen unsere Maßnahmen stärker als je zuvor koordinieren, an jeder Stellschraube drehen und Hand in Hand arbeiten. Die in Gastbeiträgen geäußerten Ansichten geben die Meinung der Autorinnen und Autoren wieder und entsprechen nicht notwendigerweise denen der t-online-Redaktion.