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Sicherheitspaket: Wackelt der Ampelplan?

Nach dem Solinger Terrorattentat hat die Ampel im Eilverfahren ein "Sicherheitspaket" beschlossen. Doch die Kritik daran reißt nicht ab – auch nicht aus den eigenen Reihen. Doch die Regierung kann auch Erfolge vorweisen. Diesmal wollte die Ampel alles richtig machen: schlagkräftig auftreten, nichts zerreden, beweisen, dass auch eine Dreierkoalition zu schnellen Beschlüssen fähig ist. Der islamistische Terroranschlag von Solingen mit drei Toten – das hatten sich die Ampelchefs fest vorgenommen – sollte nicht folgenlos bleiben. Innerhalb von zwei Wochen schnürte und beschloss die Ampel ein "Sicherheitspaket", das eine ganze Reihe von Gesetzesverschärfungen vorsieht: mehr Polizeibefugnisse, eine Ausweitung von Messerverbotszonen und eine Leistungskürzung für sogenannte Dublin-Flüchtlinge. Doch nun droht die Regierung, Opfer ihres eigenen Tempos zu werden. Denn das Sicherheitspaket steckt weiterhin im parlamentarischen Prozess fest. Die Ampelpartner sehen noch große Mängel in den aktuellen Gesetzentwürfen. Am Dienstag berieten die Koalitionäre nach t-online-Informationen über zwei Stunden – ohne zu einem vorzeigbaren Ergebnis zu kommen. Damit wackelt der einst avisierte Zeitplan. Ursprünglich war die Idee, das Sicherheitspaket in der nächsten Woche im Bundestag zu beschließen, damit es rechtzeitig am 18. Oktober den Bundesrat erreicht und bald in Kraft treten kann. Dass das klappt, bezweifeln mittlerweile auch führende Ampelpolitiker. "Das wird sportlich", sagt einer zu t-online. Kritik von allen Seiten Das Problem: Der Kabinettsentwurf zum Sicherheitspaket ist an kritischen Stellen vage – und möglicherweise rechtswidrig. Entsprechend hart fiel das Urteil mehrerer Experten in einer Anhörung des Innenausschusses Ende September aus. Teils zerpflückten sie die Ampelpläne regelrecht. Von einem "sicherheitsbehördlichen Daten-Supergau" sprach etwa der Rechtsexperte Dennis-Kenji Kipker von der Uni Bremen . Andere warfen der Ampel fachliche Fehler vor oder zweifelten an der Vollzugsfähigkeit. Doch auch regierungsintern rumort es: FDP und Grüne stören sich vor allem an der umfangreichen Datenspeicherung, die Ermittler im Zuge des biometrischen Abgleichs mit öffentlichen Daten im Netz erstellen könnten. Im linken SPD-Flügel teilt man die Bedenken, kritisiert aber auch einen weiteren Punkt: die Leistungskürzung für sogenannte Dublin-Flüchtlinge. Den Ampelplänen zufolge soll ein Teil der Asylbewerber, für die ein anderer EU-Staat zuständig ist, künftig nur noch Lebensmittel, einen Schlafplatz und Drogerieartikel erhalten. Widerstand in der Kanzlerpartei Wie heftig der Gegenwind in der Sozialdemokratie ist, zeigte kürzlich ein offener Brief, unterschrieben von Tausenden SPD-Mitgliedern. Die Unterzeichner warfen führenden Sozialdemokraten vor, mit der Debatte über Leistungskürzungen rechte Diskurse zu befeuern. Der Aufruf traf auch in der SPD-Fraktion auf breite Unterstützung. "Wir teilen Eure Trauer, Eure Wut und Eure Zweifel", heißt es in einer Antwort von 35 Bundestagsabgeordneten. Einer der 35 ist der Co-Sprecher der Parlamentarischen Linken (PL) der SPD-Fraktion, Tim Klüssendorf. Er sagt t-online: "Dass wir mit dem Leistungsausschluss Menschen womöglich in die Obdachlosigkeit treiben, löst für niemanden ein Problem, sondern schafft vielmehr neue. Hier müssen wir unserer humanitären Verantwortung gerecht werden." Hoffen auf die Verhandler In der SPD hofft man nun auf die beiden Verhandler, die für die Sozialdemokraten das Paket mit den anderen Ampelpartnern ausklamüsern: Fraktionsvize Dirk Wiese und der innenpolitische Sprecher der SPD, Sebastian Hartmann. Dass die Leistungskürzung bei Dublin-Flüchtlingen zurückgenommen wird, erwartet allerdings kaum jemand. "Ich gehe davon aus, dass es an diesem Punkt ein symbolisches Entgegenkommen geben wird, aber keine substanzielle Änderung", so ein Genosse zu t-online. Entsprechend lässt sich auch eine Aussage von Dirk Wiese deuten, die er vor Kurzem im Interview mit t-online machte . Er nehme die Kritik der Parteikollegen ernst, aber halte die Leistungskürzung unter Wahrung des Existenzminimums für "durchaus vertretbar". Wiese verwies zudem darauf, dass die Kürzung nur einen Teil der Dublin-Flüchtlinge betreffe: Es gehe "um Personen, die ausreisepflichtig sind, keine Rechtsmittel mehr haben und bei denen ein EU-Land sich zur Rücknahme bereiterklärt hat". Suche nach rechtssicherer Grundlage Änderungen könnte es hingegen beim zweiten Punkt geben: dem biometrischen Abgleich von öffentlich zugänglichen Fotos und Stimmen bei der Verdächtigensuche. In der Expertenanhörung wurde der Ampel aufgetragen, "grundrechtsschonender" vorzugehen und eine verfassungsrechtlich saubere Lösung zu finden. Vor allem die Tatsache, dass die KI-unterstützte Software, mit der ein Abgleich stattfinden soll, noch nicht existiert und daher nur vage geregelt werden kann, stieß den Experten auf. Auch Fraktionschef Rolf Mützenich deutete an, dass dies noch ein springender Punkt sei. "Wir brauchen keine Kompromisse, sondern rechtlich sichere Grundlagen", so Mützenich vor der Fraktionssitzung der SPD am Dienstag. Die Hinweise aus der Expertenanhörung wolle man jetzt einarbeiten. Nach großem Änderungsbedarf beim Thema Leistungskürzung klang das nicht. "Das geht so nicht" Der stellvertretende Vorsitzende des Innenausschusses, Lars Castellucci (SPD), macht derweil Tempo. "Der Kanzler hat es klargestellt: Das Sicherheitspaket soll schnell umgesetzt werden. Ich erwarte eine zügige Einigung in der Ampel mit wenigen oder keinen Abstrichen." Der Sozialdemokrat verweist auf die aus seiner Sicht weiterhin zu hohe irreguläre Migration nach Deutschland. "Wir hatten bis Ende September dieses Jahr 65.000 unerlaubte Einreisen. Das geht so nicht", so Castellucci. Wenn ein System nicht funktioniere, stehe man in der Verantwortung, das zu ändern. "Das tun wir jetzt." Zugleich kritisiert der Innenpolitiker das Vorgehen der FDP, die kürzlich in einem "Neun-Punkte-Plan" weitere Asylverschärfungen forderte. Das sei eine "Irreführung der Bevölkerung". Man könne gerne über weitere Maßnahmen diskutieren, aber regierungsintern, nicht in aller Öffentlichkeit. "Wir schimpfen viel über die AfD , aber als Regierung haben wir die besten Möglichkeiten, vernünftige Politik zu machen und diese auch zu erklären." Doch stattdessen distanziere sich die FDP von einem vereinbarten Gesetz, obwohl man noch mitten in der Beratung sei, nur um einen draufzulegen und parteitaktisch davon zu profitieren. "Da muss man sich nicht wundern über den wachsenden Ampel-Frust im Land." Erste Ampelmaßnahmen scheinen zu wirken Immerhin: Inzwischen kann die Ampel darauf verweisen, dass ihre bisher getroffenen Maßnahmen – etwa die Abschiebereform vom Februar – langsam zu wirken scheinen. Das Bundesinnenministerium nannte in der Sitzung des Innenausschusses am Mittwoch neue Zahlen zu Abschiebungen: Demnach wurden zwischen Januar und Ende September 2024 rund 21.000 Menschen abgeschoben, während 28.000 Abschiebungen scheiterten, berichten Teilnehmer t-online. Das entspricht einem Verhältnis von drei vollzogenen zu vier gescheiterten Abschiebungen. 2023 scheiterten im Verhältnis demnach deutlich mehr: Damals kamen auf rund 16.000 vollzogene Abschiebungen 31.000 gescheiterte Abschiebungen, also ein Verhältnis von eins zu zwei. Das entspricht einer Steigerung der Rückführungsquote von 20 Prozent im bisherigen Jahr. Rückgang bei unerlaubten Einreisen und Asylanträgen Auch bei den Grenzkontrollen lieferte das Haus von Innenministerin Nancy Faeser (SPD) neue Erkenntnisse: Demnach wurden in den ersten 23 Tagen nach Ausweitung der Kontrollen an deutschen Grenzen insgesamt 3.800 unerlaubte Einreisen festgestellt. Zudem gingen der Bundespolizei 78 Schleuser ins Netz. Faeser hatte als Reaktion auf das Solinger Attentat Grenzkontrollen zu Dänemark, Niederlande , Belgien, Luxemburg und Frankreich verhängt. Zu Polen, Tschechien , Österreich und der Schweiz bestanden solche Kontrollen bereits. Darüber hinaus konnten im selben Zeitraum 531 offene Haftbefehle an den Landgrenzen vollstreckt werden. Die Zahl der unerlaubten Einreisen sank zwischen Januar und Anfang Oktober 2024 im Vergleich zu 2023 um 31 Prozent (65.700), die Zahl der Asylanträge 22 Prozent. Migration als Chefsache Trotz dieser aus Ampelsicht erfreulichen Zahlen ist der Druck, der auf den Verhandlern des Sicherheitspakets liegt, enorm hoch. Die Bundesregierung hat es zu einer ihrer wichtigsten Lehren auf das Solinger Attentat hochgejazzt. FDP-Chef Christian Lindner etwa sieht das Paket als Schritt in einen "neuen Realismus" in der Migrationspolitik, auch Kanzler Scholz hatte die Latte nach Solingen hoch gehängt. Bei der Gedenkfeier in Solingen nach dem Attentat versprach er: "Alles, was in unserer Macht liegt, muss auch getan werden." Wie ernst es dem Kanzler mit der Migrationswende ist, illustriert ein Gerücht, das gerade im politischen Berlin kursiert. Demnach soll Scholz eine Excel-Liste führen, auf der präzise aufgeführt ist, welche sicherheits- und migrationspolitischen Vorhaben die Ampel geplant hat und welche wie schnell umgesetzt werden. So behalte er persönlich den Überblick und könne bei Verzögerungen den Druck erhöhen, heißt es. Ein Kanzler als Migrations-Micromanager – ob das hilft? Das muss sich erst erweisen. Denn das Sicherheitspaket ist jetzt im Bundestag, und der tickt nach seiner eigenen Uhr. Viel kann Scholz derzeit nicht tun, außer vielleicht auf seine Excel-Tabelle schauen.

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