Bundestagswahlen: Gewerkschaft der Polizei (GdP) besorgt wegen Wahlkampf
Wie sicher wird der Bundestagswahlkampf? Der GdP-Chef Jochen Kopelke mahnt im t-online-Interview: "Das wird anders als alles, was wir bisher erlebt haben." Der Winterwahlkampf beginnt langsam und damit zahlreiche Herausforderungen, nicht nur für die Politiker. Insbesondere die Polizei ist durch die vorgezogenen Wahlen enorm gefordert. Denn die Gewalt gegen Politiker ist in den vergangenen Jahren deutlich gestiegen, durch das Internet ergeben sich neue Bedrohungen. Die Sicherheitsbehörden sollen diese Taten verhindern und die Politiker schützen. Jochen Kopelke, Vorsitzender der Gewerkschaft der Polizei (GdP), erwartet daher in diesem Jahr einen anderen Wahlkampf; einen, der die Polizei stark fordern wird. Neben der wachsenden Bedrohung besorgt ihn auch der Termin am 23. Februar. t-online: Herr Kopelke, wie sicher sind Politikerinnen und Politiker im Wahlkampf? Jochen Kopelke: Wahlkampf und politisches Engagement sind zunehmend gefährlicher geworden. Deswegen stellen wir im Moment fest, dass fast alle politisch Aktiven nach mehr Sicherheit und mehr Schutz fragen, auch wenn viele von ihnen bereits besonders von der Polizei geschützt werden. Welche Aufgabe kommt dabei auf die Polizei im anstehenden Bundestagswahlkampf zu? Wir wissen aus den Erfahrungen der Wahlkämpfe in diesem Jahr, dass die Polizei mittlerweile viel intensiver eingespannt ist. Unser Schutz war zuletzt bei vielen Szenarien gefragt: bei Unruhen an Wahlkampfständen, bei Angriffen auf Politikerinnen und Politiker, bei Farbanschlägen, Einschüchterungen und Bedrohungen der Parteizentralen. Der Sicherheitsbedarf wie auch die Taten sind da. Das heißt, dass wir zusätzlich zum Schutz der Verfassungsorgane Parteizentralen und Politik sichern müssen. Und das ist zweifellos eine Mammutaufgabe. Wie genau sieht dieser Schutz aus? Es ist wichtig, dass Parteien die Polizei frühzeitig informieren, damit wir wissen, wo eine Veranstaltung stattfindet und was dort passieren soll. Dann können wir erkennen, was unsere Aufgabe erfordert. Wir sorgen dafür, dass niemand unerlaubt reinstürmt, wir schützen Proteste rund um die Veranstaltung, und wir schützen Menschen, die bei diesen Veranstaltungen sprechen. Allein der Schutz der Kandidatinnen und Kandidaten ist eine Riesenaufgabe. Und dazu kommen dann noch Cyberattacken, Desinformationsabwehr und sehr vieles mehr. Nun gab es in diesem Jahr bereits unzählige Angriffe auf Politiker. Besonders die Attacke auf den SPD-Kandidaten Matthias Ecke im Europawahlkampf bleibt im Gedächtnis. Innenministerin Nancy Faeser hat nach dem Angriff "sichtbare Polizeipräsenz" im Wahlkampf versprochen. Wie sieht die aus? Angekommen ist der politische Wunsch nach mehr Schutz durch die Polizei. Aber: Mehr Personal haben wir unterdessen nicht bekommen, zumindest jedoch einen klaren Auftrag. Nach dem widerlichen Angriff auf Matthias Ecke hat die Polizei sofort reagiert. Wir haben Konzepte entwickelt, wie man die Vielzahl an Veranstaltungen schützen kann. Und so haben wir mehr Kräfte dorthin gebracht und die Veranstaltungen genauer geprüft. Wo kommen die Ressourcen her? Dadurch wurde der Arbeitsalltag in den Polizeien sofort dominiert von der Priorität, Wahlkampfstände und Kandidatinnen wie Kandidaten zu beschützen. Das bedeutet: Wir haben Ressourcen umgeschaufelt und andere Dinge liegen gelassen. Und das wird im Bundestagswahlkampf erneut auf uns zukommen. Wie sehr beansprucht der kommende Bundestagswahlkampf denn die Arbeit der Polizei? Als Gewerkschaft der Polizei können wir nur die Hände über dem Kopf zusammenschlagen, dass diese vorgezogenen Wahlen den Januar, Februar und teils bereits die Weihnachtszeit betreffen. Die Einbruchsbekämpfung im Winter nimmt uns in Anspruch, und wir sichern die Weihnachtsmärkte. Bald steht Silvester vor der Tür. Und jetzt gehen wir unmittelbar mit massiven Kräften in den Schutz der Bundestagswahl. Wir haben eine hohe Belastung und durchgehend keine Ruhezeiten mehr. Das ist ein Graus für uns als Gewerkschaft, weil die Personalstärken nicht hochgefahren wurden. Könnte durch diese Überlastung also auch die Sicherheit der Wahlkämpfer leiden? Wir können nicht jeden Wahlkampfstand und jede Einzelperson beschützen. Dafür haben wir nicht ausreichend Polizistinnen und Polizisten in Deutschland. Die Parteien bereiten sich seit den Erfahrungen im Europawahlkampf besser vor und sind empfänglicher für Tipps, wie man sich auch selbst schützt und wie man in Kontakt mit der Polizei kommt. Nur so erfahren wir, ob sich bedrohliche Situationen anbahnen und können agieren. Ich bin mir aber nicht sicher, ob das schon alle Parteien für sich umgesetzt haben. Das heißt, es ist ein anderer Wahlkampf zu erwarten als in der Vergangenheit? Ich gehe fest davon aus. Die Parteien werden mehr Geld aufbringen müssen, um eigene Sicherheitsdienste für bestimmte Veranstaltungen zu organisieren. Wird es noch das klassische Bad in der Menge von Politikerinnen und Politikern mit Selfies oder Autogrammen geben? Das braucht es weiterhin, sonst wirkt Politik abgehoben und nicht nahbar. Ich glaube nicht, dass Menschen, die gewählt werden wollen, das zulassen. Dazu braucht es aber mehr Absicherung. Wer viel Sicherheit braucht, muss auch in die Polizei investieren: in mehr Personal, bessere Bezahlung, andere Zulagen. Im vergangenen Jahr gab es 2.790 Angriffe auf Repräsentanten der im Bundestag vertretenen Parteien. Der Wert ist in den vergangenen Jahren immer weiter gestiegen. Wie erklären Sie sich diesen Anstieg der Gewalt? Der Anstieg wundert mich nicht. Dafür gibt es drei Gründe. Erst einmal zeigen Wahlkämpfer mittlerweile viel mehr Taten an, das sogenannte Dunkelfeld wird also heller. Außerdem haben wir eine aufgeheizte Diskussionskultur in Deutschland. Im Internet ist der Ton oft hetzerisch und menschenverachtend, und das bietet den Nährboden für Gewalt auf der Straße. Politische Diskussionen werden auch immer ruppiger, es geht weniger um Kompromisse als um harte Auseinandersetzungen. Dadurch lassen sich frustrierte Menschen hinreißen, Beschimpfungen auszusprechen oder sogar handgreiflich zu werden. Sehen Sie einen bestimmten politischen Akteur, der das Klima und die Sicherheitslage für Politikerinnen und Politiker jetzt verschärft hat? Das empfinde ich nicht so. Man sieht eine Veränderung. Früher waren vorwiegend AfD-Politikerinnen und -Politiker Opfer von Gewalt, mittlerweile sind alle Parteien vertreten. Das liegt am veränderten Klima auf der Straße. Nicht nur im Wahlkampf, auch bei Versammlungen ereignen sich mehr Prügeleien. Es gibt eine ganz andere gesellschaftliche Verrohung, die wir täglich auf der Straße spüren. Diese schlägt sich auch insbesondere in dem politischen Raum in Wahlkämpfen nieder. Das bedeutet, auch wenn die AfD vom Verfassungsschutz beobachtet wird, geht von ihren Anhängern nicht mehr Gewalt aus? Da nehmen sich die Ränder nicht viel. Wir wissen, dass die größte Gefahr der Demokratie vom Rechtsextremismus und Rechtsterrorismus ausgeht. Aber im Wahlkampf wird von links genauso geprügelt wie von rechts, und es geht mittlerweile auch gegen die demokratische Mitte. Welche Rolle spielt die Bedrohung im Internet? In den sozialen Netzwerken gelten fast keine Regeln. Dieser rechtsfreie Raum Internet wird genutzt, um Hass und Hetze zu verbreiten, aber auch um Wahlkampf zu machen – auch mit Fake News. Das ist eine Herausforderung, die die Sicherheitsbehörden kaum bewältigen können. Wir sind weder technisch noch rechtlich oder personell dazu in der Lage. Wir schauen leider noch zu oft zu. Welche Folgen kann das haben? Die Bundestagswahl wird durch Einflüsse von Dritten, also anderen Staaten, die uns nicht wohlgesonnen sind, die uns hassen, die im hybriden Krieg mit uns stehen, beeinflusst. Es wird die Kernaufgabe der Sicherheitsbehörden, Einflussnahme zu verhindern. Deswegen ist diese Bundestagswahl für die Polizeien einzigartig. Das ist anders als alles, was wir jemals erlebt haben. Was bräuchten die Sicherheitsbehörden denn, um effektiver zu arbeiten? Wir brauchen ganz dringend eine IP-Adressenspeicherung, um endlich mit den Kriminellen, die sich im Internet verstecken, mitzuhalten. Denn damit können wir sie sofort identifizieren und festnehmen. Das könnte der Deutsche Bundestag aktuell noch entscheiden. Sonst hat es gravierende Folgen. Was können Sie denn aktuell überhaupt machen, um gerade Politikerinnen und Politiker im Internet zu schützen? Im Moment können wir ihnen nur Verhaltenstipps geben. Wenn Politikerinnen oder Politiker beleidigt oder bedroht werden, können wir ihnen noch raten, dass sie zur Polizei gehen, damit wir dann in diesen Verfahren ermitteln. Aber das ist an vielen Stellen kompliziert, teilweise erfolgt alles noch in Papier. Wir haben eine unfassbar hohe Aktenlast. Aber wir dürfen immer noch nicht mit technischer Hilfe Aktenberge durchsuchen. Einige der Projekte wollte die Ampel angehen. Was hat das vorzeitige Aus für Folgen? Das Ampel-Aus ist für die deutsche Polizei ein erhebliches Problem. Wir werden bestimmte verbesserte Rechtsgrundlagen und neue moderne Polizeigesetze nicht mehr bekommen. Das Bundespolizeigesetz ist 20 Jahre alt. Wir können da keine Drohnentechnik einsetzen. Das ist äußerst deprimierend, weswegen wir uns als Gewerkschaft der Polizei noch einmal an die Abgeordneten selbst gewendet und an deren Gewissen appelliert haben. Der Deutsche Bundestag übernimmt keine Verantwortung mehr und lässt uns verhungern. Außerdem geht uns wahnsinnig viel Geld verloren, das uns bereits zugesichert wurde. Wir bräuchten dringend neue Anschaffungen. Aktuell fressen uns die Betriebskosten bereits auf. Welche Erwartungen haben Sie an eine neue Bundesregierung ? Wir brauchen schnell eine stabile Bundesregierung. Und diese muss sowohl die Innere wie die Äußere Sicherheit als Top-Prioritäten setzen. Das gilt für den Haushalt 2025 ebenso wie für ein Paket an Gesetzesverbesserungen mit neuen Befugnissen. Und die Bundesregierung muss Stabilität in Deutschland schaffen, die nicht zu Massenarbeitslosigkeit führt, sondern in Arbeit und Bildung investiert. Das sind entscheidende Aspekte, die sehr wirkungsvoll vor Gewalt und Kriminalität in unserer Gesellschaft schützen.