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DHL-Paketboten im Weihnachtsstress: So läuft ein Arbeitstag ab

Kaum eine Berufsgruppe hat in der Vorweihnachtszeit so viel zu tun wie Paketzusteller. In dieser Zeit ist es einer der härtesten Jobs. Mario Zahl macht ihn seit 15 Jahren. Es ist 8 Uhr morgens. Das Thermometer zeigt vier Grad Celsius, draußen ist es ungemütlich und windig – immerhin regnet es nicht an diesem Montag, zwei Wochen vor Weihnachten . Auf den Straßen von Großbeeren, südlich von Berlin , ist kaum etwas los. Doch in der Zustellbasis der DHL herrscht schon seit Stunden reges Treiben. Rund 20 Männer und ein paar Frauen laufen durch die Halle, die meisten von ihnen tragen gelb-rote Jacken und haben mindestens ein Paket in der Hand. Mario Zahl, 58 Jahre, Halbglatze unter dem rot-gelben Käppi, rückt seine Brille zurecht und geht zu seiner Paketausgabe. "Na, dann starten wir mal", ruft er sich selbst zu. Zahl beginnt, Pakete zu scannen, große, kleine, leichte, schwere, braune und bunt beklebte. Anschließend legt er sie in einen überdimensionierten Metall-Rollwagen. Ist der voll, schiebt er ihn zum gelben DHL-Transporter, der aufgereiht neben zig anderen an der Laderampe vor der Halle steht. Wenn seine Schicht um 8 Uhr beginnt, läuft das Treiben in Europas größtem Paketzentrum in Großbeeren bei Berlin bereits seit Stunden. Ab 4 Uhr haben große Lkw die Pakete an diesem Morgen angeliefert. In der 4.500 Quadratmeter großen mechanisierten Zustellbasis werden sie anschließend den Touren zugeteilt. Kaputte Pakete werden aussortiert und an die Seite gestellt. Je nach Beschädigung werden sie entweder schnell zugeklebt oder an anderer Stelle umgepackt. Neuer Rekord nach der Cyberweek Für Mario Zahl sind dies die härtesten Wochen des Jahres. "Da muss man hochkonzentriert arbeiten", sagt er. Von November bis Dezember ist die Hochzeit der Paketzustellungen. Zum Glück wisse er, was er für wen im Auto hat. Zahl nennt das sein "Kopftraining". 8.000 Pakte sind es allein an diesem Morgen in Großbeeren schon. Vergangenen Mittwoch kamen wegen der Cyberweek sogar doppelt so viele Pakete an. Es war der bisher stärkste Tag des Jahres. Bundesweit wurden bei der DHL innerhalb von 24 Stunden erstmals über 12 Millionen Pakete sortiert – so viele wie nie zuvor. Rund 116.500 Zusteller gibt es bundesweit, hinzu kommen 40.000 Mitarbeiter in den Sortierzentren. Um die hohen Sendungsmengen in der Vorweihnachtszeit bewältigen zu können, werden die Festangestellten von rund 10.000 Aushilfskräften unterstützt. In Berlin werde der Großteil der Pakete jedoch durch eigene Zusteller ausgeliefert, betont die DHL. "Man entwickelt ein Gespür" Zahl ist einer von ihnen. Seit 15 Jahren macht er den Job. Früher hat er nachts als Lkw-Fahrer gearbeitet, war auch schon im Innendienst tätig. Seine Route kennt er in- und auswendig. Rund 200 Pakete hat er heute auszuliefern. Für einen Laien sehen die vielen Pakethaufen, die vor und im Fahrzeug aufgestapelt sind, ziemlich chaotisch aus. Doch das Gegenteil ist der Fall. "Alles eine Frage der Ordnung", sagt Zahl. "Man entwickelt mit der Zeit ein gewisses Gespür für Mengen." Der Paketbote weiß zudem ganz genau, wo jedes einzelne Paket liegt. Im Transporter hat er alles links und rechts nach Straßen aufgeteilt, wobei er die großen und schweren Pakete unten lagert. Anschließend sortiert er alles nach Hausnummern vor und dann geht es auch schon los. Klatsch und Tratsch aus der Nachbarschaft Von der Zustellbasis sind es rund 15 Minuten Fahrzeit zu den Liefergebieten Lichtenrade, Lichterfelde und Marienfelde, drei Stadtteile im Berliner Süden. Der erste Halt auf der Tour: eine kleine Straße mit Einfamilienhäusern. Eine Sackgasse, in deren Wendekreis der Transporter problemlos wenden und kurz anhalten kann. Hier kennt man sich und kommt mit dem Paketboten gern über die anderen Nachbarn ins Gespräch. Zahl weiß stets genau, was in seinem Liefergebiet vor sich geht. Eine junge Frau kommt dem Zusteller bereits am Gartentor entgegen, Mario Zahl übergibt ihr ein großes Paket eines Sportartikelherstellers, grüßt freundlich – und wünscht anschließend noch einen schönen Tag. "Wenn man freundlich zum Kunden ist, kommt das auch meistens als Echo zurück", so der 58-Jährige. Sind die Bewohner nicht zu Hause, kennt er die Alternativen in jedem Haus. "Hier zum Beispiel ist im ersten OG links eigentlich immer jemand da, wo ich die Pakete abgeben kann." Im Schnitt 20 Pakete pro Stunde Im Schnitt muss er ungefähr 20 Pakete pro Stunde ausliefern – auch wenn dieser Wert stark variieren kann. Heute sind es eher 25. "Ich denke positiv, das schaffe ich schon", sagt Zahl. Theoretisch wäre heute um 16:22 Uhr Feierabend, doch dafür sind es einfach zu viele Lieferungen. "Die große Unbekannte ist immer der Kunde", sagt Zahl. Denn ist der Kunde nicht zu Hause, könnte er am Ende weniger Pakete schaffen. "Die Wartezeit kann mich in die roten Zahlen bringen." Trotzdem sagt Zahl, dass er seinen Job gerne mache. Weil er an der frischen Luft ist und eigenständig arbeiten kann. Das heißt, für die Tour und die Zustellung ist nur er verantwortlich. Er allein trifft unterwegs die Entscheidungen. Eine Pause macht er zwischendurch auch, allerdings isst er dabei nichts. Seine Hauptmahlzeit nimmt er lieber abends zu sich. Und wenn zwischendurch mal die Blase drückt? Für den Fall hält er an einem Fitnessstudio, das auf seiner Tour liegt. "Mit denen habe ich eine Abmachung, dass ich dort auf die Toilette gehen kann." Freizeit ist wichtiger als das Geld Zahl wird nach Tarif bezahlt, damit ist er zufrieden. Der Durchschnittslohn für Bestandskräfte liegt bei rund 19,50 Euro pro Stunde, zuzüglich Urlaubs- und Weihnachtsgeld – auf Basis des geltenden Tarifvertrags der Deutschen Post AG. Das Einstiegsgehalt liegt nach Angaben der DHL bei 17 Euro pro Stunde plus Urlaubsgeld sowie einer Regionalzulage in ausgewählten Gebieten. Mario Zahl lässt sich seine Überstunden nicht auszahlen, er nimmt stattdessen lieber Ausgleichstage – für ihn sei "Freizeit wichtiger als das Geld". Doch solche Vertragsbedingungen sind bei Weitem nicht üblich in der Branche. Andere Anbieter arbeiten immer öfter mit externen Zeitarbeitskräften oder Subunternehmern. Die Zusteller bekommen dort zum Teil nicht einmal den Mindestlohn. Auch mit gesetzlichen Regelungen und Arbeitszeiten nehmen es viele Subunternehmen nicht so genau, ist aus Branchenkreisen zu hören. So kam es beispielsweise beim Onlinehändler Amazon in der Vergangenheit immer wieder zu Beschwerden aufgrund von ungenügenden Arbeitsbedingungen . Auch die DHL setzt in der Vorweihnachtszeit auf externe Aushilfen, um die deutlich höheren Sendungsmengen zu bearbeiten. Für Mario Zahl haben diese Kollegen vor allem in einem Punkt das Nachsehen: "In diesem Job braucht man Erfahrung", sagt er. Auch bei ihm sei damals gerade der Anfang schwierig gewesen. Nach einem halben Jahr hatte er den Dreh aber raus. Sein Tipp: konzentriert arbeiten und Ruhe bewahren. "Berlin hat ja auch kriminelle Energie" Im Verlauf der Tour ändert sich das Straßenbild. Die nachbarschaftliche Idylle weicht Mehrfamilienhäusern mit vier oder fünf Stockwerken – teilweise ohne Fahrstuhl. In einem Hausflur steht ein alter Monitor mitten im Gang, in einem anderen Aufgang liegt im Treppenhaus eine Tüte Süßigkeiten verschüttet. Auch der Umgang ist ein anderer, hier beschränkt sich der Austausch in der Regel auf ein "Danke" und "Tschüss" – immerhin. "Berlin hat ja auch kriminelle Energie", sagt Zahl und spielt damit auf verschiedene Betrugsmaschen an, bei denen auf die Nachlässigkeit der Zusteller spekuliert wird. Manche schreiben Namen bei der Bestellung bewusst falsch, um nach Erhalt der Ware gegenüber dem Händler zu behaupten, diese nie bekommen zu haben. In der Eile kann dann etwa die falsche Schreibweise "Schmitt" statt "Schmidt" übersehen werden. Außerdem haben Paketboten oft keine Möglichkeit, direkt die Identität des Empfängers zu prüfen. An Ärger auf seiner Tour kann oder will sich der Zusteller nicht erinnern. Trotzdem gebe es natürlich auch Kunden, die grundlos unfreundlich seien, sagt Zahl und zuckt mit den Schultern. "Da muss man deeskalieren." Auch Hunde sind kein Problem für ihn. Er habe selbst zwei Huskys und keine Angst vor Tieren, sagt Zahl. Und das, obwohl er bereits zweimal gebissen wurde. "Man läuft sich warm" Auch schlechtes Wetter macht Zahl wenig aus. "Man läuft sich warm", sagt er dazu. Natürlich müsse man seine Kleidung witterungsbedingt anpassen, Handschuhe kommen für ihn allerdings erst ab minus zehn Grad infrage. Anders sieht es bei Nässe aus. Regen sei beim Ausfahren das Schlimmste. "Alles wird nass und klebt zusammen. Das hält auf und kostet Zeit." Die größte Herausforderung sieht er ansonsten im Straßenverkehr und der schwierigen Parkplatzsituation. Dass manche Paketboten ihre Ladung einfach irgendwo hinterlegen, obwohl die Kunden zu Hause sind, will Mario Zahl nicht kommentieren. Er selbst habe bisher noch bei jedem Kunden geklingelt, sagt er stolz. "Ist mir egal, ob er im Keller wohnt oder ganz oben." Schwierig wird es jedoch, wenn der Empfänger nicht zu Hause ist. Dann muss Zahl sehen, wo er das Paket loswird. Laut den offiziellen Geschäftsbedingungen muss er es zunächst bei zwei Ersatzempfängern probieren – erst danach darf er einen Zettel über den erfolglosen Zustellversuch im Briefkasten des Empfängers hinterlegen. "So machen wir das und so bringe ich das auch meinen Azubis bei." Die Vorweihnachtszeit verlangt den Zustellern einiges ab Als die Sonne an diesem Tag um 15.52 Uhr untergeht, ist Mario Zahl noch immer unterwegs und liefert die letzten Pakete aus. In der Zustellbasis Großbeeren trudeln bald schon die nächsten Ladungen für den kommenden Tag ein. Für den 58-Jährigen bedeutet das: am nächsten Morgen wieder um 5.30 Uhr aufstehen, zur Arbeit fahren, im Lager die Sendungen sortieren und dann die seit zehn Jahren gleiche Tour beginnen. Und auch morgen soll es laut Wetterbericht trocken bleiben.

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