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Dajana Hoffmann über Musik von Schnittke

Dajana Hoffmann zaubert mit dem Orchester „Nowaja Moskwa“. (Foto: Alexej Strelnikow/Nowaja Moskwa)
Wie haben Sie die Musik von Schnittke kennengelernt?

Ich habe als Chordirigentin angefangen. Anfangs war Schnittke für mich eher ein Vokalkomponist als ein Instrumentalkomponist. Meine Einführung in die Musik von Schnittke begann mit drei geistlichen Chören. Dann kam Schnittkes Requiem, das mich einfach umgehauen hat. Für mich steht es auf einer Stufe mit den Requiems von Mozart, Brahms und Britten. Ein absolut geniales Werk. Erst später wurde Schnittke für mich zu einem Instrumentalkomponisten.

Ein Ungeübter würde sagen, dass Schnittkes Musik sehr schwierig ist. Ist sie das?

Ja und nein. Man könnte sagen, dass es zwei Schnittkes gab. Den einen kannte das ganze Land. Nicht jeder akademische Komponist hat eine Fülle von Musik für das Kino geschrieben. Der zweite Schnittke ist eher professionellen Musikern und geschulten Zuhörern bekannt. In diese Musik ist eine Menge religiöser Symbolik eingeflochten.

Welche drei Werke von Schnittke sollte sich jeder anhören?

Ich würde das empfehlen, was ich in meinen Vorlesungen über Schnittke vorschlage. Etwas aus der Filmmusik, um diesen Bereich abzudecken. Zum Beispiel „Tango im Irrenhaus“. Dann Concerto Grosso Nr. 1 oder Nr. 2. Und ich würde wahrscheinlich empfehlen, die Erste Symphonie mit einzubeziehen. Sie ist schwierig, aber man muss sich schon anstrengen und sie anhören, um die Bandbreite dieses Komponisten zu verstehen. Wenn man sich nicht auf eine Liste von drei Werken beschränkt, würde ich natürlich das Juri Baschmet gewidmete Bratschenkonzert und das Requiem hinzufügen.

Erzählen Sie bitte von Ihren Vorlesungen.

Eigentlich geht es in meinem Vortrag nicht nur um Schnittke, sondern auch darum, wie man klassische Musik hören kann. Ich möchte das Publikum an etwas Herausforderndes, Avantgardistisches heranführen. Ich wollte natürlich keine Kompromisse eingehen, ich hatte keine Lust, nur über Filmmusik zu sprechen. Aber man muss die richtige Sprache wählen, um über das Schwierige zu erzählen. Beim letzten Vortrag in Barnaul wurde mir gesagt, es sei ein Stand-up über Musik. Bei meinen Vorträgen gibt es grundsätzlich kein Bildmaterial. Heute nehmen wir alles mit den Augen wahr, und unsere Ohren verkümmern. Also sage ich Ihnen gleich: Es wird keine Visualisierungen geben, keine schönen Bilder, wir werden heute Musik hören und diesen Wahrnehmungskanal nutzen.

In welchen Städten waren Sie mit Ihren Vorlesungen? Wie kam es zu diesem Projekt?

Zum Schnittke-Jubiläum dachte ich an ein Konzert, aber der Internationale Verband der deutschen Kultur lud mich ein, im Rahmen seiner Vortragsreihe über Schnittke zu sprechen. Die erste Erfahrung machte ich in Moskau. Dann ging es nach Barnaul, Tomsk, Kaliningrad, Omsk und wieder Barnaul. Es gibt Pläne für Jekaterinburg. Das ist eine ziemlich umfangreiche Geografie.

Man beginnt ein Thema wirklich zu verstehen, wenn man es selbst unterrichtet. War es so?

Auf jeden Fall. Mit jeder neuen Stadt habe ich mich mehr und mehr in die Musik vertieft. Ehrlich gesagt gibt es Komponisten, deren Werke Musiker zuerst studieren. Bach, Prokofjew, Tschaikowsky, Brahms, Wagner. Die Musik von Schnittke ist manchmal auch für viele Profis schwierig. Und der Vortrag war eine Gelegenheit, tiefer in diese Materie einzudringen. Ich reiste, um Vorträge zu halten, las Interviews, traf den Neffen des Komponisten und sprach mit seiner Witwe Irina Fjodorowna Schnittke. Parallel dazu habe ich auch ein Programm mit dem Orchester gemacht.

Hat das Orchester „Nowaja Moskwa“ begonnen, mehr Schnittke aufzuführen?

Ja, wir hatten vorher kein Mono-Programm mit Schnittkes Musik. Wir haben einige einzelne Stücke aufgeführt, aber es gab kein komplettes Programm. Davor haben wir Programme mit Musik von Schostakowitsch und Mozart gemacht. Aber die Hauptsache ist, womit man zu den Musikern geht. Aber dies war ein besonderer Fall. Nicht über jeden Komponisten hält man vier Vorträge, bevor man an das Dirigentenpult geht.

Schnittke bezeichnete sich als einen deutschen Komponisten in Russland. Ist sein Deutschtum in seiner Musik sichtbar?

Es ist sicherlich in der Musik sichtbar. Am Beispiel des Concerto Grosso Nr. 1 kann man sehen, dass es eine Stilisierung nicht des italienischen, sondern des deutschen Concerto Grosso ist. Ein anderes Thema ist die Frage, wo Schnittke sich selbst definierte und wo die Menschen in seinem Umfeld ihn sahen. Seine Mutter war eine Wolgadeutsche und sein Vater ein deutscher Jude. Schnittke sagte, dass er in Russland als Jude oder Deutscher angesehen wurde, aber in Deutschland begann er sofort zu spüren, was ihn von den Deutschen trennte.

Bei Tschaikowsky oder Mussorgsky ist die Hauptfigur in der Musik eine russische Person. Die Figur in Schnittkes Musik ist definitiv kein russischer Mensch. Jeder Komponist hat seine eigene Bildsprache und seine eigenen Bezugspunkte. Das einfachste Beispiel: Rachmaninoff ist der Nachfolger von Tschaikowsky, und Tschaikowsky ist zum Teil Nachfolger von Mozart. Schnittke hat immer gesagt, dass alles auf Bach zurückgeht, und von ihm gehen alle deutschen und österreichischen Komponisten aus. Zum Beispiel Mahler, von dem Schnittke viel übernommen hat. Zu seinen weiteren Lieblingskomponisten aus Deutschland und Österreich gehören Schubert, Mozart und Berg. Schnittke wandte sich im Allgemeinen oft alten Stilen zu. Hier ist zu sagen, dass er eine ganze Stilrichtung namens „Poly­stilistik“ geschaffen hat.

Wir kommen zum Wesentlichen.

Ja, es ist wichtig. Polystilistik ist die Kombination verschiedener Stile, Zitate aus verschiedenen Epochen in einem Musikstück. Hier ist ein Zitat aus Tschaikowskys Violinkonzert, dort ein Lied aus dem 20. Jahrhundert, ein altes Weihnachtslied und so weiter. Wie Irina Fjodorowna, die Witwe des Komponisten, in einem ihrer Interviews brillant sagte, denken viele Leute, dass Schnittkes Stilisierung nur eine Technik ist. In Wirklichkeit ist alles viel tiefer als das. Es sind Räume und Welten, die immer parallel in ihm gelebt haben.

Warum ist Schnittke überhaupt ein Genie? Es gibt begabte Komponisten. Zum Beispiel Swiridow. Und es gibt Genies. Wir sind uns alle sicher, dass Bach und Mozart Genies sind. Wir sind sicher, dass Tschaikowsky ein Genie ist. Aber wenn wir diese Reihe fortsetzen, dann wird es offensichtlich, dass Schnittke ein Genie ist. Er hat sich bemüht, weit mehr Probleme in der Musik zu lösen, als es in der Musik überhaupt zu lösen gilt.

Das Gespräch führte Igor Beresin.

Запись Dajana Hoffmann über Musik von Schnittke впервые появилась Moskauer Deutsche Zeitung.

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