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100 Jahre russische Automobilindustrie im WDNCh

Opel Kapitän von 1939? Nein, GAZ-M20 „Pobeda“ von 1946. (Foto: Igor Beresin)

Die Worte „Automobildesign“ und „Russland“ kommen nicht oft nebeneinander in einem Satz vor. Es wäre auch seltsam, wenn es anders wäre: Jahrzehntelang produzierte die sowjetische und dann russische Automobilindustrie das 1966 entworfene Modell Fiat 124 unter der Marke Lada. Diese Autos weckten eher Assoziationen mit Insekten in Bernstein, die vor Millionen von Jahren in das Harz gelangten. Wenn man sich die russische Autoindustrie ansieht, kann man kaum glauben, dass es in Russland talentierte Designer gibt. Doch es gibt sie.

Die Ausstellung, die 100 Jahre Verkehrsdesign in Russland umfasst, geht über die Automobilgeschichte hinaus. Sie zeigt auch die wichtigsten Meilensteine in der Entwicklung des Wassertransports. In diesem Bereich haben russische Ingenieure und Designer durchaus etwas vorzuweisen. Das Interessanteste, Unerwartetste und Aufschlussreichste an den Exponaten ist jedoch das, was einst auf zwei oder vier Rädern auf dem Festland unterwegs war. 

Der Roadster auf der Basis des ZIS-101 wurde als Geschenk zum 20-jährigen Bestehen des Komsomol entwickelt. (Foto: Igor Beresin)

Kopieren und selber machen

Schon vor der sozialistischen Revolution von 1917 wurden in Russland Autos und andere Fahrzeuge gebaut. Dennoch entstand die Automobilkonstruktion als Disziplin erst 1918 mit der Gründung des Wissenschaftlichen Automobillabors (später Wissenschaftliches Automobilinstitut, NAMI). Zur gleichen Zeit entstand auch ein Ausbildungsberuf. Er wurde jedoch nicht als Designer, sondern als „Künstlerischer Konstrukteur“ bezeichnet.

Zu dieser Zeit beschäftigte sich die Automobilindustrie des Landes hauptsächlich mit der Montage, Reparatur und Modifikation ausländischer Modelle. Dazu gehörten der italienische Fiat 15 Ter und die amerikanischen Autocar Dispatch SA und Ford A. Das erste sowjetische Serienmotorrad L-300 basierte auf der Luxus 300 der deutschen Firma DKW.

Das Motorrad L-300 basierte auf Luxus 300 der deutschen Firma DKW. (Foto: Igor Beresin)

Der erste sowjetische Kleinwagen wurde 1927 im NAMI-Institut entwickelt. Die Industrie war noch nicht bereit für die Serienproduktion: Die Autos liefen langsam vom Band und waren von geringer Qualität. Sie kosteten jedoch doppelt so viel wie der in der Sowjetunion hergestellte Ford A. Infolgedessen wurden nur 400 Fahrzeuge produziert.

Vom Krieg zum Festival

Gleich nach Kriegsende gab es in der Sowjetunion nicht nur Bedarf an funktionierenden, sondern auch an schönen Fahrzeugen. Im Jahr 1946 wurde der GAZ-M20 „Pobeda“ präsentiert, das erste sowjetische Flaggschiff der Autoindustrie, das nicht vollkommen nach dem Vorbild ausländischer Modelle gebaut wurde. Bei der Gestaltung einzelner Bauteile orientierten sich die Konstrukteure jedoch an bekannten westlichen Autos, wie dem Opel Kapitän von 1939. Während der Tauwetterperiode, als sich die Sowjetunion für kurze Zeit der Welt und allem Neuen öffnete, erhielt das Automobildesign einen starken Entwicklungsimpuls. 1957, während der Weltfestspiele der Jugend und Studenten, hörte die sowjetische, wie man heute sagen würde, „kreative“ Klasse westliche Musik und lernte die moderne Kunst kennen. Und 1959 brachten die Organisatoren der Nationalen Amerikanischen Ausstellung in Sokolniki Autos mit.

Moskwitsch 408 Tourist Cabrio, Baujahr 1963 (Foto: Igor Beresin)

Die sowjetischen Verkehrsmittel-Designer fungierten in diesen Jahren nicht nur als Beobachter. Während des Studentenfestivals erschienen der stromlinienförmige Bus LAZ-695 und der Kleinbus RAF-10 auf den Straßen. Bei der Brüsseler Industrieausstellung 1959 gewann der Wagen GAZ-13 „Tschaika“ den Grand Prix.

Schäbige Produktion, fantastische Konzepte

Seit den 1970er Jahren scheint die sowjetische Automobilindustrie darauf bedacht zu sein, die visuelle Verkörperung des Begriffs der Stagnation zu demonstrieren. Das bedeutet jedoch nicht, dass die Design- und Konstruktionsbüros ihre Arbeit eingestellt hätten.

1986 erhielten die Autofabriken in der Sowjetunion den Auftrag, das vielversprechende Projekt „Auto des Jahres 2000“ zu entwickeln. Das Konzept AZLK-2144 sagte ziemlich genau voraus, womit ein Standardauto der Zukunft ausgestattet sein würde. Nur nicht im Jahr 2000, sondern im Jahr 2020. Dieses Modell hatte ein Automatikgetriebe, ABS und Airbags, einen sparsamen Turbodieselmotor, der mit Biokraftstoffen arbeitete, und eine elektronische Fehlerdiagnose. Außerdem hatte AZLK-2144 ein Armaturenbrett mit Bildprojektion anstelle von Pfeilen, nach oben öffnende Türen wie beim Tesla Model X und sogar ein Nachtsichtgerät.

Von außen ein Roadster, innen ein Niva: Cardi, 1995 (Foto: Igor Beresin)

Die Geschichte wiederholt sich

Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion befand sich die Automobilindustrie in der Situation, mit der alles einmal begann. Ausländische Hersteller setzten wieder den Akzent auf den russischen Automarkt. Auf die Lieferung von Autos aus dem Ausland folgte der Bau von Werken für deren Produktion in Russland. Wo sind die westlichen Hersteller jetzt? Wann werden sie zurückkehren, um die russischen Verbraucher zufriedenzustellen? Bis dahin haben die russischen Autodesigner die Möglichkeit, zu zeigen, was sie können. Es sei denn, die russische Autoindustrie wird endgültig den Chinesen überlassen.

Igor Beresin

Запись 100 Jahre russische Automobilindustrie im WDNCh впервые появилась Moskauer Deutsche Zeitung.

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