Einigung beim Wehrdienst: Warum sie ein Erfolg mit Abstrichen ist
Union und SPD haben lange gerungen. Jetzt – endlich – steht eine Einigung zum Wehrdienst. Sie ist ein Erfolg, mit Abstrichen. Es ist ein Hoffnungsschimmer, und er war bitter nötig. Nach monatelangem Streit einigten sich Union und SPD am Mittwochabend auf die Grundzüge einer Wehrdienst-Reform. Die wichtigsten Ergebnisse: Der Wehrdienst setzt weitgehend auf Freiwilligkeit, die flächendeckende Musterung kommt 2027, bei der verpflichtenden Einziehung könnte ein Losverfahren als "Ultima Ratio" zur Anwendung kommen – aber erst nach einem neuen Gesetz. Damit kann das Gesetz nun die letzten parlamentarischen Hürden nehmen und – hoffentlich – von der schwarz-roten Mehrheit im Bundestag im Dezember beschlossen werden. Das ursprüngliche Ziel, den neuen Wehrdienst am 1. Januar 2026 in Kraft treten zu lassen, kann so gehalten werden. Na, geht doch! Das zähe Ringen um den Wehrdienst und um die Frage, wie viel Freiwilligkeit sein muss und wie viel Pflicht sein darf, ist damit endlich vorüber. Vorausgesetzt natürlich, die Abgeordneten von Union und SPD folgen ihrer Führung. Wonach es derzeit aussieht. Das ist die positive Nachricht an diesem Donnerstag: Die schwarz-rote Koalition kann, wenn sie will. Auch wenn sie manchmal wochenlang ziellos umherzustolpern scheint oder sich gegenseitig bekriegt, kann am Ende ein gutes Ergebnis stehen. Der epische K(r)ampf um die Wehrpflicht Man sollte zugleich nicht blauäugig werden. Der jetzige Kompromiss war ein gewaltiger Kraftakt. Ihm voraus ging ein monatelanger koalitions- und parteiinterner Streit. Unrühmlicher Höhepunkt war eine kurzfristig abgesagte Pressekonferenz Mitte Oktober, als SPD-Verteidigungsminister Boris Pistorius die erste Version eines Kompromisses in einer Fraktionssitzung zerriss. Am Ende aber war der politische, mediale und öffentliche Druck einfach zu groß: Ein Scheitern war keine Option mehr. Lehren aus der Wehrdienst-Debatte Aus all dem lassen sich ein paar Lehren ziehen: Erstens : Hart bleiben in ausgewählten Punkten, die sachlich begründet sind, zahlt sich aus. Boris Pistorius warf sein gesamtes politisches Kapital in die Waagschale, um die flächendeckende Musterung zu bekommen – er bekam sie. Warum? Weil seine Botschaft konsistent, klar kommuniziert und inhaltlich nachvollziehbar war. Dass ein Verteidigungsminister wissen will, wer im Kriegsfall das Land verteidigen kann, ist unmittelbar einleuchtend. Und dass die Bundeswehr dazu nun mal einen kompletten Jahrgang mustern muss, um zu erfahren, wer überhaupt wehrfähig ist, ebenso. Angesichts dessen, worum es letztlich geht – Russland abschrecken, Frieden und Freiheit erhalten – ist es auch nicht zu viel verlangt, zu einer Musterung zu gehen. Mit vermeintlicher Generationenungerechtigkeit hat das wenig zu tun. Pistorius hat hoch gepokert und wurde von der Union dafür öffentlich gerupft. Aber es hat sich gelohnt, der Punktsieg geht mit ihm nach Hause. Nur den "Grumpy Boris", also den miesepetrigen Boris, sollte er vielleicht etwas weniger heraushängen lassen. Zweitens : Wichtige Gesetze sollte man nur unter enger Einbindung der Spitzenleute verhandeln. Auch wenn die Fachpolitiker von Union und SPD sicher ihr Möglichstes getan haben, um in der aufgeheizten Gemengelage eine ausgewogene Lösung zu finden: Sie haben ihre Rolle zwischenzeitlich überschätzt. Der Eklat um die geplatzte Pressekonferenz Mitte Oktober illustrierte das deutlich. Die Lehre daraus: Eine Einigung unter Parlamentariern sollte erst ankündigen, wer den Segen des zuständigen Ministers hat. Die Wehrdienstreform ist ein Kernprojekt von Pistorius und wird vermutlich sein politisches Erbe. Er ist verantwortlich für die Umsetzung, er wird daran gemessen. Das muss man zur Kenntnis nehmen. Selbstbewusste Abgeordnete sind gut, enge Absprachen mit dem zuständigen Minister besser. Rhetorisch abrüsten, bitte Drittens : Gesetze verlassen den Bundestag nie so, wie sie hineingingen. So weit, so bekannt. Aber muss man einen Gesetzentwurf schon verbal zertrümmern, bevor die parlamentarische Veredelung überhaupt begonnen hat? Markus Söder tat sich hier in unangenehmer Weise hervor. Sein Gezeter über eine "Wischiwaschi-Wehrpflicht" und eine "Fragebogen-Armee" hat sicher nicht zur Akzeptanz des neuen Wehrdienstes gesorgt. Aber auch andere Akteure sind unnötig hart in die Konfrontation gegangen. War es das wert? Hat es was gebracht? Nein. Der Vorwurf an die Medien, sie würden Meinungsverschiedenheiten zu Großkonflikten aufblasen, wird in dieser Koalition häufig erhoben. Hier wurden die rhetorischen Brandsätze von den eigenen Leuten geworfen. Viertens : Diese Koalition kann Erfolge produzieren, wenn auch unter enormer Anstrengung. Leider allzu oft nur mit Abstrichen. Denn tatsächlich geeinigt haben sich Union und SPD zwar bei der Musterung, dem Aufwuchsplan sowie der Frage, welchen Status die Wehrdienstleistenden haben sollen. Konflikt in die Zukunft verschoben Einen anderen strittigen Punkt haben sie aber einfach weggezaubert: Nach welchem Verfahren junge Männer künftig eingezogen werden sollen, sollte der Freiwilligenansatz nicht ausreichen, ist weiter unklar. Nun soll ein Losverfahren ins Spiel kommen, aber nur als "Ultima Ratio", also wenn alle Stricke reißen. Und auch nur dann, wenn der Bundestag ein neues Gesetz beschließt. SPD-Fraktionschef Matthias Miersch betonte bei der Pressekonferenz, dass es sich um ein ganz neues Gesetzgebungsverfahren handele, begleitet von "gesellschaftspolitischen Debatten". "Ungelesene Blätter" seien das, so Miersch. Mit anderen Worten: Hier endete die Kraft zur Einigung. Der eigentliche Knackpunkt, was passiert, wenn der Freiwilligenansatz scheitert, wird in die Zukunft verschoben, weil er in der Gegenwart nicht gelöst werden konnte. Sollten sich also wirklich nicht genügend Freiwillige finden lassen, droht ein weiterer chaotischer Gesetzgebungsprozess. Es ist das Prinzip Hoffnung, das Pistorius ursprünglich unbedingt verhindern wollte, dem er sich aber nun fügen muss. Die Wehrdienst-Einigung ist somit nur ein Teilerfolg. Aber in diesen Zeiten, und beim aktuellen Zustand der Koalition, muss man auch darüber froh sein.