FCAS: Deutschlands und Frankreichs Rüstungsprojekt droht totales Scheitern
Das europäische FCAS soll die "Zukunft der Kriegsführung" werden. Doch die Partner streiten sich mehr, als sie vorankommen. Nun steht das Prestigeprojekt vor dem Aus. Es ist das wohl wichtigste Projekt der europäischen Rüstungsindustrie, das Future Combat Air System, kurz FCAS. 2017 noch von Angela Merkel und Emmanuel Macron ins Leben gerufen, sollte es eigentlich das Symbol für die Wiederbelebung der deutsch-französischen Partnerschaft sein. Doch das Rüstungsprojekt droht am kleinteiligen Streit um die künftigen Machtbefugnisse der beteiligten Konzerne zu scheitern. Eine wichtige Entscheidung wurde nun erneut vertagt – diesmal auf einen unbestimmten Zeitpunkt. Ausgerechnet Deutschland und Frankreich, die beiden größten Partner, können sich offenbar nicht einig werden. "Entgegen der ursprünglichen Planung ist eine abschließende Entscheidung zum Fortgang des FCAS-Projekts zum Jahresende noch nicht gefallen", teilte ein Regierungssprecher am Dienstag mit. Was besonders verwundert: Weder werden vonseiten der Regierung bestimmte Gründe noch ein Zeitrahmen für den Fortgang des Projekts genannt. Als Grund für den neuerlichen Aufschub nannte die Bundesregierung "die umfassende deutsch-französische Agenda in außen- und sicherheitspolitischen Fragen, die eine Befassung mit dem Thema gemeinsames Kampfflugzeug auf der Ebene des Präsidenten und des Bundeskanzlers noch nicht möglich gemacht hat". Und weiter: "Ein neues Datum für eine Entscheidung können wir zu diesem Zeitpunkt nicht nennen." Insbesondere letzterer Satz dürfte Militärexperten irritieren. Denn die Zeit drängt. Der Plan ist, dass das FCAS den Eurofighter ab 2040 ablöst. Wie nie zuvor sieht sich der Kontinent in einer geopolitischen Zwangslage: die aggressiven Imperialinteressen Moskaus auf der einen und der neue Unilateralismus der Trump-Regierung auf der anderen Seite. Um in dieser heiklen weltpolitischen Lage bestehen zu können, muss Europa bei der Rüstung auf einen Nenner kommen. Ein konkurrenzfähiges Kampfflugzeug, das in Gemeinschaftsproduktion entsteht, ist dafür nach Meinung von Verteidigungspolitikern unerlässlich. FCAS soll die Zukunft der modernen Kriegsführung werden Doch genau da liegt das Problem. Denn in den vergangenen Monaten spitzte sich der Streit darüber, wer bei dem Projekt die Federführung übernimmt, immer weiter zu. Da ist zum einen die deutsche Airbus. Sie ist der größte Partner in dem Projekt, zuständig für einen von drei wesentlichen Pfeilern des Systems: die Combat Cloud. Dabei handelt es sich vereinfacht gesagt um die digitale Umgebung, in die der künftige Kampfjet eingebunden ist. Die Cloud soll die Multikompatibilität des Flugzeugs gewährleisten. Es soll im Verbund mit unbewaffneten und bewaffneten Drohnen fliegen und mit den neuesten Waffensystemen kombiniert werden können. Auch soll es mit verschiedenen anderen Systemen interagieren können, etwa mit dem Transportflugzeug Airbus A400 M, das auch als Drohnen-Mutterschiff fungiert, oder der ebenfalls von Airbus entwickelten Langstreckendrohne Eurodrone und den Eurofighter-Versionen 4 und 5. Kurz gesagt, das FCAS soll im Grunde alles können, was im Bereich der europäischen Verteidigung technisch möglich sein wird. Das Luftkampfsystem soll die "Zukunft der modernen Kriegsführung" darstellen, wie Airbus es in einem seiner Werbevideos nennt. Fachleute haben allerdings Zweifel daran, ob sich das System wirklich an den tatsächlichen Bedürfnissen der europäischen Luftstreitkräfte ausrichtet. Oder ob dieser Pfeiler des FCAS nicht vor allem den Wünschen und Vorstellungen der Ingenieure dient. "Wie die Produkte zusammenfinden und ob sie zu den Einsatzbedürfnissen der Armeen passen, war erst mal zweitrangig", sagte ein Insider der "WirtschaftsWoche". Schon jetzt werden die Gesamtkosten des komplexen Rüstungssystems auf einen dreistelligen Milliardenbetrag geschätzt. Doch das größte Problem sind nicht die Kosten, sondern die Kompetenzen. Da kommt ein weiterer Pfeiler des FCAS ins Spiel: das Flugzeug selbst. Dieses nennt sich "New Generation Fighter" (NGF) und soll unter Leitung des französischen Rüstungskonzern Dassault gebaut werden. Dassault will sein Know-how nicht teilen Dassault, obwohl der kleinere Partner im Vergleich zu Airbus, beansprucht die Führungsrolle für sich. Der selbstbewusste Chef des Konzerns, Eric Trappier, hat Frankreichs Präsident Macron und Verteidigungsminister Sébastien Lecornu bereits mehr als einmal klargemacht, dass er das NDF als "Herzstück" des zukünftigen Luftkampfsystems betrachte. Trappier drohte auch damit, das Projekt scheitern zu lassen, sollten sich die Partner nicht auf seine Bedingungen einlassen. Dazu gehört nicht nur die Festschreibung der Führungsrolle des französischen Rüstungskonzerns, sondern auch die Garantie, dass er sein Know-how nicht mit den anderen Partnern teilen muss. "Das Eigentum an den durchzuführenden Arbeiten wird geteilt, aber die Technologien und das Know-how, die uns gehören, werden nicht geteilt", sagte Trappier der französischen Zeitung "Le Figaro" Anfang Dezember. Gemeinsam bauen, ohne Wissen zu teilen? Das stellen sich nicht nur Experten schwierig vor. Es stecken also neben nationalen auch handfeste Geschäftsinteressen hinter dem Konflikt. Dassault baut bereits das Kampfflugzeug Rafale, während Airbus den Eurofighter produziert. Die beiden Konzerne sind Konkurrenten, nun sollen sie beim FCAS vertrauensvoll zusammenarbeiten. Und noch ein weiterer Partner kommt hinzu: Spanien. Das Land arbeitet ebenfalls mit Airbus zusammen. Allerdings haben die Spanier ebenso ihre eigenen Vorstellungen von dem Projekt wie Deutsche und Franzosen. Der Streit drohte vollends zu eskalieren, nachdem Trappier angekündigt hatte, man könne den NGF notfalls auch im Alleingang bauen – ohne die deutschen Partner. Darauf polterte Thomas Pretzl, Betriebsratsvorsitzender des Airbus-Werks im bayerischen Manching, es gebe ohnehin "wesentlich attraktivere und geeignetere Partner als Dassault". Auch er forderte eine klare Entscheidung der Bundesregierung – und zwar für eine Führungsrolle von Airbus beim FCAS. Pistorius: "Können alle Hürden überwinden" Die Politik steht angesichts der Kompetenzstreitereien zwischen den Konzernen etwas ratlos da. Es wird verhandelt, aber bislang, ohne einen Durchbruch zu erzielen. Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) versuchte den Streit auf kleiner Flamme zu halten, als er im Juli in einem Statement mitteilte, dass die aktuellen Differenzen "keine Überraschung bei solchen Großprojekten" seien. Er appellierte an die Beteiligten, dass es nicht um "nationale Egoismen" gehen dürfe. "Wir wollen den gemeinsamen Fähigkeitsaufbau", so Pistorius, nachdem er mit seinem französischen Kollegen Lecornu den Rheinmetall-Standort Unterlüß besucht hatte. Pistorius bemühte sich redlich, den Konflikt zu entschärfen. "Wenn es Hürden gibt, und die gibt es gelegentlich, dann sind da keine dabei, über die wir nicht hinüberkämen." Tatsächlich sah es Anfang Dezember dann so aus, als habe man sich im Kompetenzstreit der Konzerne geeinigt. Da hieß es, man werde in die nächste Phase des Projekts starten. Diese sieht vor, einen ersten Prototyp des FCAS-Fighters zu entwickeln. Dassault solle dabei 80 Prozent der Kontrolle über das Projekt bekommen. Dies würde zugleich bedeuten, dass der französische Konzern, wenngleich nur Juniorpartner, den größten Teil der zu verteilenden Mittel von geschätzt mehr als 100 Milliarden Euro erhalten würde. Also, ein enormes Stück vom Kuchen. Französische Medien schrieben bereits von einem "Triumph" für die eigene Industrie und einer "Kapitulation" der Deutschen. Doch gegen die vermeintliche Einigung regte sich Widerstand, insbesondere von deutschen Arbeitnehmern. "Dassault hat sich als verlässlicher Partner innerhalb Europas in Zeiten akuter Bedrohung komplett disqualifiziert", schrieb die IG Metall. SPD-Vertreter plädierten plötzlich wieder für eine nationale Lösung. Die "Zwei-Kampfflugzeuge-Lösung" sei ein "gangbarer Weg", ließ auch Airbus-Gewerkschafter Pretzl verlauten. FCAS: Insider hält Einigung für extrem unwahrscheinlich Die Aussage ließ weitere, grundsätzliche Differenzen zwischen den europäischen Partnern erkennen. So sieht Dassault das eigentliche Kampfflugzeug NFG als zentralen Bestandteil des Rüstungsvorhabens, während Airbus offenbar die Combat Cloud, also die digitale Vernetzung verschiedener bemannter und unbemannter Kampfsysteme, als das eigentliche Zukunftsprojekt ausgemacht hat. Im Streit um FCAS liegen also nicht nur Konzerne im Clinch, es geht auch um eine ideologische Auseinandersetzung. Um die Frage, wie der Luftkrieg der Zukunft geführt werden wird. Das Projekt sei ein äußerst wichtiges Zeichen für die europäische Souveränität, hatte SPD-Politiker Pistorius noch im Juli angemahnt. Wie brüchig diese Souveränität jedoch ist, wenn es wirklich darauf ankommt, zeigte sich schon beim EU-Gipfel in Brüssel in der vergangenen Woche. Da schafften es die europäischen Partner nicht, sich auf die Beschlagnahmung der russischen Vermögen in der EU zu einigen. Ähnlich sieht es inzwischen bei FCAS aus. Dass das Vorhaben überhaupt noch zustande kommt, sei "sehr unwahrscheinlich", sagte ein Insider der Nachrichtenagentur Reuters Mitte Dezember. Denn selbst die von den Deutschen ins Spiel gebrachte "Zwei-Fighter"-Lösung droht am Veto der Franzosen zu scheitern. Diese hätte zwar nationale Lösungen beim Bau der Kampfflugzeuge vorgesehen, bei der Entwicklung der Combat Cloud hätten die europäischen Partner aber zusammengearbeitet. Doch auch dieser Minimalkompromiss scheint derzeit vom Tisch zu sein. Nun erfolgte also die Verschiebung der weiteren Gespräche auf unbestimmte Zeit, wie die Bundesregierung mitteilt. Es droht ein komplettes Scheitern. Das FCAS gilt als Realitätscheck dafür, ob Europa in der Lage ist, ein hochkomplexes Kampfsystem zu entwerfen und zu bauen, wie das französische Fachmagazin "Aeromorning" schrieb. Es ist fraglich, ob der Kontinent diesen Realitätscheck besteht.