AfD: Weidel fordert "Dexit" – Das würde er für Deutschland bedeuten
Die Idee eines deutschen EU-Austritts von AfD-Chefin Alice Weidel hätte fatale Folgen für Deutschlands Wirtschaft, warnen Ökonomen. Der Brexit lässt vieles bereits erahnen.In der Vergangenheit hatte sich AfD-Chefin Alice Weidel noch deutlich dagegen positioniert, dass Deutschland aus der Europäischen Union austritt und einen sogenannten "Dexit" vollzieht. Nun hat sie in einem Interview mit der britischen "Financial Times" ihre Meinung drastisch geändert.Darin erklärt sie, ein Referendum über einen Austritt Deutschlands aus der Europäischen Union für richtig zu halten, falls sich die EU nicht nach den Vorstellungen ihrer Partei verändern sollte. Als Vorbild sieht sie den Brexit. Mehr zu Weidels Idee lesen Sie hier.Doch was würde ein EU-Austritt des einstigen Exportweltmeisters Deutschland bedeuten? Wirtschaftswissenschaftler sind sich einig: Ein solcher Schritt wäre fatal.Michael Hüther, Direktor des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW), meint, ohne die EU stünde das deutsche Exportmodell unmittelbar vor dem Kollaps. Zudem sieht er ein Problem in der wegfallenden Migration: "Wie wir angesichts unseres demografischen Problems ohne Zuwanderung auskommen, wird für immer Rätsel der AfD bleiben", schreibt Hüther auf der Karriereplattform LinkedIn.Brexit kostet Großbritannien jährlich 163 Milliarden EuroDer Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), Marcel Fratzscher, erklärte am Montag im "Handelsblatt", ein "Dexit" sei ein Ende für das deutsche Wirtschaftsmodell und würde Millionen gute Arbeitsplätze in Deutschland kosten. Ein starker Anstieg der Arbeitslosigkeit, "weit über das Maß hinaus, das Deutschland vor 20 Jahren als kranker Mann Europas erlebt hat", wäre dann die Folge, so Fratzscher.Ein Beispiel dafür, dass ein "Dexit" Deutschland schaden könnte, ist der Brexit. Britische Hoffnungen auf eine erstarkende Wirtschaft durch den Austritt haben sich bisher nicht erfüllt. Bislang habe der Brexit die Wirtschaftsleistung um sechs Prozent verringert, sagte der Londoner Bürgermeister Sadiq Khan vor wenigen Wochen. Das entspreche einem jährlichen Betrag von 140 Milliarden Pfund (rund 163 Milliarden Euro). Großbritannien hat die EU Ende Januar 2020 verlassen und ist seit Januar 2021 auch nicht mehr Mitglied der EU-Zollunion und des EU-Binnenmarkts.Der Rückgang der Wirtschaftsleistung hat einen zentralen Grund: Der Handel zwischen der EU und Großbritannien ist seit dem Brexit um schätzungsweise 10 bis 15 Prozent eingebrochen, berichtete die Deutsche Presse-Agentur im Dezember. Auch die Bedeutung Großbritanniens als Handelspartner für Deutschland sinkt immer weiter: 2015, vor dem Brexit-Referendum, lag das Königreich noch auf Platz drei der wichtigsten Außenhandelspartner, nach den aktuellsten Ergebnissen von 2022 belegt es nicht mal mehr einen Platz unter den ersten zehn.Verschärfte Einwanderungsregeln hätten Einfluss auf ArbeitsmarktDer EU-Ausstieg hat in Großbritannien außerdem ab 2021 zu signifikant höheren Kosten unter anderem für Verwaltung, Logistik und Zöllen geführt, während die Umsätze zur gleichen Zeit sanken. Das Gesundheitswesen, das Transportgewerbe, die Gastronomie und die Landwirtschaft zählen zu den Geschädigten des Brexits. Ihnen fehlen beispielsweise aufgrund der verschärften Einwanderungsregeln Arbeitskräfte.Auch dieses Problem könnte Deutschland bei einem EU-Austritt treffen. Das Recht, sich frei innerhalb der EU bewegen, leben, arbeiten und studieren zu können, würde wegfallen. Dann könnten komplexe Visaprozesse für Ein- und Ausreise anstehen. Das hätte Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt – ganz konkret etwa, wenn im Frühjahr Tausende Erntehelfer überwiegend aus Polen und Rumänien für die Spargelernte nach Deutschland kommen. Und auch die akademische Landschaft könnte sich verändern, wenn Deutschland nicht mehr Teil des europäischen Austauschprogramms Erasmus wäre.Deutschland würde "zum Spielball beider Supermächte"Neben diesen Problemen, die im Falle eines "Dexit" ebenfalls auf Deutschland zukommen könnten, müsste sich auch Deutschland aus dem EU-Binnenmarkt verabschieden. Der Handel mit wichtigen Partnern würde dadurch erschwert und verteuert werden, denn unter den zehn wichtigsten deutschen Partnerländern im Außenhandel lagen 2022 sieben EU-Mitglieder, auf Platz eins und zwei lagen China und die USA.Deutschlands Abhängigkeit von den beiden Nicht-EU-Staaten würde sich im Falle eines "Dexit" weiter vergrößern und Deutschland "zum Spielball der beiden Supermächte" machen, meint Fratzscher im "Handelsblatt". Ein möglicher US-Präsident Donald Trump oder Chinas Präsident Xi Jinping "hätten leichtes Spiel, ihre Handelskonflikte gegen Deutschland durchzusetzen, da die Bundesrepublik keinen Schutz und keine Unterstützung mehr durch die Europäische Union erfahren würde", so der DIW-Chef. Kurz gesagt: Die EU kann gegenüber Supermächten selbstbewusst auftreten, Deutschland alleine könnte das nicht mehr. Und auch Russlands Präsident Wladimir Putin dürfte Interesse an einer instabilen EU haben. SPD-Europapolitikerin Katarina Barley erklärte am Montag: "Nichts wünscht sich Putin mehr als eine EU, die zerbricht." Laut Fratzscher würde ein deutscher EU-Austritt Putin weiter stärken "und ihn ermutigen, seine Großmachtfantasien auf die Länder der Europäischen Union auszuweiten".