Bundesliga | Experte über Proteste: "Dann wird das Ganze eskalieren"
Die Fußballspiele im deutschen Ober- und Unterhaus werden derzeit von unschönen Szenen überschattet. Doch wie lange soll das noch so weitergehen? t-online hat mit einem Fanforscher gesprochen. Ob Tennisbälle, Münzen, Murmeln oder sogar Zitronen: In der Bundesliga und 2. Bundesliga geht die Angst vor den nächsten Fanprotesten und den möglicherweise darauffolgenden langen Unterbrechungen um. Stehen am kommenden Spieltag oder sogar in den letzten beiden Viertelfinalspielen des DFB-Pokals die nächsten unschönen Szenen bevor? Fan-Proteste gegen die DFL: Was steckt dahinter? Zuletzt bekundeten Fans vieler Vereine wie von Union Berlin , dem VfB Stuttgart , Köln oder Hertha BSC ihren Unmut gegen den geplanten Investoreneinstieg bei der DFL . In Berlin kam es am Samstagabend im Zweitliga-Topspiel gegen den HSV sogar zu einer 32-minütigen Unterbrechung. Selbst ein Spielabbruch, eine Steigerung der derzeitigen Eskalation, scheint in dem verfahrenen Streit inzwischen möglich. Wie könnte es weitergehen? Geht die DFL noch einmal auf die Fans zu? t-online fragte beim Fan-Forscher und Sportsoziologen Gunter A. Pilz nach. t-online: Herr Pilz, wie beurteilen Sie den derzeitigen Unmut der Fans? Gunter A. Pilz: Die Aktionen selbst sind im Kontext der Ultras und ihrer Einstellungen zu verstehen, die strikt für die Einhaltung des 50+1-Prinzips und gegen eine überbordende Kommerzialisierung des Fußballs sind. Das heißt am Ende, dass die Klubs 51 Prozent der Mehrheit haben müssen. So sollen die Traditionen und die soziale Verantwortung des Vereins sichergestellt werden. Mit dem Sponsorenvertrag, den die DFL nun anstrebt, ist die große Sorge der Fans, dass der Fußball seine Seele verkauft. Durch den Protest wollen sie also verhindern, dass genau das passiert. Wie finden Sie die Form der Proteste? Ist das angemessen? Die Art des Protestes ist grundsätzlich sehr sympathisch. Es wird keine Gewalt angewendet, es werden Bälle aufs Spielfeld geworfen. Die Proteste sind für mich nachvollziehbar. Streikrecht und Proteste sind legitim, insofern muss und wird der deutsche Fußball damit auskommen. Mir fordern die aktuellen, kreativen Proteste und die Art, wie die Fans ihrem Unmut Ausdruck geben, Respekt ab. Die Fans wissen, dass sie durch die Proteste eine große Macht ausüben. Wenn die Anhänger nicht ernst genommen werden, wird das Ganze eskalieren – und das kann nicht im Interesse der DFL sein. Der Verband hat spätestens seit der Corona-Pandemie erkannt, wie wichtig Fans im Stadion sind. Was muss jetzt als Nächstes passieren? Es ist zu befürchten, dass die Proteste weitergehen, wenn sich nicht schnell etwas ändert. Doch die Proteste können nur dann enden, wenn sich die Verantwortlichen der DFL und die Vertreter der Fans an einen Tisch setzen und versuchen, einen vernünftigen Kompromiss zu finden. Es bleibt ihnen nichts anderes übrig. Die DFL muss den Fans dabei die derzeitige Situation und ihre Beweggründe verständlich machen. Und sie muss sich darum bemühen, die berechtigten Sorgen der Fans anzunehmen, zu respektieren und nach gemeinsamen Lösungen zu suchen. Wie kann das gelingen? Eins ist klar: Man kann auf der einen Seite nicht die Haltung haben, dass die Bundesligisten international mithalten sollen und auf der anderen Seite wichtige Geldmittel durch Regelungen verhindern wollen. Es braucht Geld. Es braucht aber auch ein Gespräch darüber, ob es Alternativen gibt. Schon im ersten Entwurf über einen Investoreneinstieg wurden die Fans "ignoriert". Jetzt kommt es darauf an, sich an einen Tisch zu setzen. Das wurde offensichtlich beim ersten Durchgang versäumt, wo bereits vonseiten der Fans klar geäußert wurde, dass es massive Proteste geben wird, wenn die Anhänger nicht zur Kenntnis genommen und einbezogen werden. Vor der Abstimmung über den zweiten Entwurf hätte man sich intensiver bemühen müssen, auch die Fans in den Prozess einzubinden. Ihre berechtigten Einwände hätten berücksichtigt werden sollen. Die andauernden Proteste sollten Anlass sein, die jeweiligen Befürchtungen und Begründungen für das Handeln auszutauschen und nach einem für alle Seiten tragfähigen Kompromiss zu suchen. In wenigen Monaten beginnt die Heim-EM. Glauben Sie, dass sich die Fanszenen Europas für einen gemeinsamen Protest zusammenschließen? Nein, das glaube ich nicht. Sie wissen, wer dafür verantwortlich ist, das ist nicht der DFB , sondern die DFL. Ultras haben, was die Nationalmannschaft anbelangt, wenig Interesse, die meiden also solche Spiele. Von daher ist dort nichts zu erwarten. Die EM hat ein anderes Publikum, auch in der Zusammensetzung, in den Kurven – da wird kaum eine Gruppe auftreten und Tennisbälle auf den Platz werfen. Der entscheidende Punkt ist: Die Fans wissen, wer dafür verantwortlich ist, und das ist nicht der DFB.