World News in German

Migration: Bund-Länder-Treffen könnte zu Streit führen

Migration: Bund-Länder-Treffen könnte zu Streit führen

Der Kanzler und die Länderchefs treffen sich in Berlin, es geht um das große Streitthema: Migration. Eigentlich will man nur Bilanz ziehen – knallen könnte es trotzdem. Olaf Scholz ist dabei – schon das zeigt an, wie die Stimmung vor der Ministerpräsidentenkonferenz (MPK) am Mittwoch steht. Eigentlich nämlich hätten die Länderchefs bei dem regulären Treffen alleine getagt. Doch es soll wieder um Migration gehen, das große Streitthema. Seit Wochen pochen die Länder hierzu auf einen Termin mit dem Kanzler. Den kriegen sie jetzt, wenigstens für zwei Stunden. Von einem "guten Signal" sprechen die einen mit Blick auf Scholz' Zwischenstopp bei der MPK. Andere sind weniger begeistert. Der Termin soll, so heißt es, schon länger in Aussicht gestellt worden sein. Immer wieder habe man Druck machen müssen. Immer wieder sei man hingehalten worden. Mittlerweile herrscht große Unzufriedenheit. Die Lage in den Kommunen ist nach wie vor angespannt, die Fronten zwischen Bund und Ländern sind verhärtet. Einig ist man sich nur bei einem Teil der Analyse: zu viele kommen, zu wenige gehen, zu langsam und zu wenig passiert, zu groß sind immer noch die Probleme. Wer aber verantwortlich ist? Da gehen die Meinungen weit auseinander. Vor allem die unionsgeführten Länder pochen auf noch nicht erfüllte Versprechen aus dem Bund. Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) kritisierte gegenüber der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" vorab eine "ellenlange" Liste "unerledigter Hausaufgaben". Laut des Papiers, das t-online vorliegt, sind lediglich sechs von 29 dem Bund zugewiesenen Aufgaben komplett erledigt. Weitere 20 sind demnach in Arbeit. Bei vier Vorhaben soll bislang noch gar nichts passiert sein. Unterdessen betont der Vize-Regierungssprecher Wolfgang Büchner auf der anderen Seite: Aus Scholz' Sicht habe der Bund alle Punkte, für die er zuständig sei, geliefert – und freue sich, wenn die Länder nun nachzögen. Mehr Uneinigkeit geht kaum. Anstelle von gegenseitiger Schuldzuweisungen sollen an diesem Mittwoch bei der Ministerpräsidentenkonferenz die Karten auf den Tisch. Gemeinsam wollen Länderchefs und Kanzler Bilanz ziehen: Wie viele der auf dem letzten Flüchtlingsgipfel vereinbarten Maßnahmen wurden umgesetzt? Was steht noch aus, wo geht es nicht voran? Einen Beschlussentwurf haben Bundeskanzleramt und die Chefs der Staats- und Senatskanzleien der Länder bereits ausgearbeitet, er liegt t-online vor. Statt neue Forderungen aufzustellen, zieht auch das neunseitige Papier vor allem Bilanz. Flickenteppich bei der Bezahlkarte droht Es wird um vieles gehen am Mittwochmittag in der Spitzenrunde. Zwei zentrale Punkte: die Asylverfahren in Drittstaaten und die Bezahlkarte, über die Asylbewerber in Zukunft staatliche Leistungen erhalten können sollen. Sie soll verhindern, dass Asylbewerber Geld an Schlepper oder an ihre Familie ins Ausland überweisen. Zuletzt stellten die Grünen sich bei dem Thema quer. Der Streit wurde in der vergangenen Woche erst beigelegt, eine bundeseinheitliche Regelung vereinbart. Problem: fast alle anderen Detailfragen sind noch ungeklärt. Dabei planen alle Bundesländer, ihren Kommunen die Einführung der Bezahlkarte zu ermöglichen. Und in einigen Kommunen laufen bereits die ersten Testversuche mit der Karte. Schon jetzt droht ein Flickenteppich. Am Mittwoch dürfte es deshalb vor allem um Abstimmung gehen – und das nicht nur zwischen den Ländern. Im Beschlusspapier heißt es: "Die Regierungschefinnen und Regierungschefs der Länder fordern den Bund auf, dafür Sorge zu tragen, dass das parlamentarische Verfahren schnell zum Abschluss gebracht und damit Rechtssicherheit hergestellt wird." Aus den Ländern ist jedoch zu hören, man sei zuversichtlich in der Sache am Mittwoch einen Schritt weiter zu kommen. Wenig Hoffnung auf rasche Drittstaaten-Lösung Weniger optimistisch sieht man auf die Drittstaaten-Lösung: Asylsuchende sollen demnach gar nicht erst nach Deutschland kommen, ihre Verfahren stattdessen in Drittstaaten abgewickelt werden – auch diese Forderung sieht die Union vor dem Gipfel als "unerledigt" auf der To-Do-Liste des Bundes. Ein Sprecher des Bundesinnenministeriums betont auf Anfrage von t-online: Man befinde sich noch in der Prüfphase, "ob die Feststellung des Schutzstatus von Geflüchteten unter Achtung der Genfer Flüchtlingskonvention und der Europäischen Menschenrechtskonvention zukünftig auch in Transit- oder Drittstaaten erfolgen kann". Diese Prüfung aber sei komplex. Eine erste Expertenanhörung habe Ende Februar stattgefunden, die Auswertung der Ergebnisse dauere an. "Die nächste Sachverständigenanhörung soll am 11. März 2024 erfolgen." Laut Beschlussentwurf für die Ministerpräsidentenkonferenz sollen die Ergebnisse bis Sommer 2024 vorliegen. Dabei dürfte es am Ende nicht allein um die rechtliche, sondern vor allem um die politische Durchsetzbarkeit gehen. Arbeitspflicht und schnellere Asylverfahren Noch nicht im Papier, aber laut Teilnehmern außerdem sicher auf der Liste der Diskussionspunkte für die Spitzenrunde: die Arbeitspflicht für Asylbewerber, mit deren Einführung der Thüringer CDU-Landrat Christian Herrgott gerade eine bundesweite Debatte ausgelöst hat (mehr dazu lesen Sie hier). Hier könnte es ebenso knallen wie bei der Bezahlkarte, denn die Vorstellungen bei beiden Themen gehen in den so wichtigen Details zwischen CDU- und SPD- sowie von Linken geführten Ländern weit auseinander. Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke) kritisierte bereits vor dem Treffen scharf einen "Überbietungswettbewerb um die krassesten Formulierungen" von Seiten der Union. Nicht nur Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer legte aus Reihen der CDU gerade nach, er forderte im Gespräch mit der "Bild" eine Obergrenze von maximal 60.000 Asylbewerbern pro Jahr und mehr sichere Herkunftsländer. Man müsse "einfach die Beweislastumkehr umkehren, damit die Menschen, die aus diesen Ländern kommen, merken: Es hat keinen Wert, nach Deutschland zu kommen". Im Beschlussentwurf von Bund und Ländern ist davon nicht die Rede. Stattdessen wird betont: Maßnahmen seien ergriffen worden, um "Asylverfahren von Personen aus Staaten mit Anerkennungsquoten unter fünf Prozent (insbesondere Albanien , Bosnien-Herzegowina, Georgien, Kosovo , Republik Moldau, Montenegro , Nordmazedonien und Serbien) weiter zu beschleunigen". So würden im Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) 1.100 zusätzliche Kräfte eingestellt, um Anhörungen rascher und direkt in der Erstaufnahmeeinrichtung durchzuführen. Es läuft schleppend mit den Migrationsabkommen Bund wie Länder wollen abgelehnte Asylbewerber rascher abschieben – hier herrscht ausnahmsweise Einigkeit zwischen SPD und CDU, Bund wie Ländern. Doch in der Praxis ist das denkbar schwer zu erreichen. Am häufigsten nämlich scheitern Abschiebungen daran, dass die Heimatländer Menschen schlicht nicht zurücknehmen wollen. Als wichtigstes Mittel, um das zu ändern, gelten Migrationsabkommen. Die Verträge sollen meist auf der einen Seiten legale Arbeitsmigration nach Deutschland fördern, also einen Anreiz für die Herkunftsländer setzen – und sie auf der anderen dazu verpflichten, Menschen ohne Bleiberecht in Deutschland wieder zurückzunehmen. Doch es läuft schon lange schleppend mit den Migrationsabkommen, für die die Bundesregierung mit Joachim Stamp (FDP) eigens einen Sonderbeauftragten eingesetzt hat. Bilanz aus dem Beschlussentwurf: Seit der letzten Zusammenkunft von Bund und Ländern sei ein Abkommen mit Georgien sowie eine "Migrationspartnerschaft" mit Marokko vereinbart worden. Derzeit verhandele die Bundesregierung außerdem mit der Republik Moldau, Kolumbien , Usbekistan, Kirgisistan, den Philippinen und Kenia . Auf Anfrage von t-online teilt ein Sprecher aus dem zuständigen Bundesinnenministerium mit: Mit Moldau solle "noch im ersten Halbjahr 2024 eine Migrationsvereinbarung abgeschlossen werden". Das wird die Fronten nicht versöhnen Der Union wird das nicht genügen, bei der Bund-Länder-Runde wird sie weiter Druck machen. Allerdings ist die Zeit knapp bemessen, die Beratungen für das Spitzentreffen sind kürzer angesetzt als üblich. Um 16 Uhr will Scholz für eine kurze Pressekonferenz mit Hessens Ministerpräsident Boris Rhein (CDU) und Niedersachsens Stephan Weil (SPD) vor die Kameras treten. Schon jetzt ist absehbar: Dieses Treffen wird die Fronten kaum versöhnen. Der Streit wird wohl eher weitergeführt – und zwar auf offener Bühne.

Читайте на 123ru.net