FCB | Bayern-Star ist Tuchels Schlüssel und lässt Nagelsmann keine Wahl
Leon Goretzka überzeugt in neuer Rolle und ist ein Schlüssel und Sinnbild für Bayerns plötzliche Wandlung. Damit bringt er auch Bundestrainer Nagelsmann in die Bredouille. Die Zuschauerränge und der Innenraum der Allianz Arena waren nach dem 8:1-Sieg des FC Bayern gegen Mainz schon fast komplett leer. Die Spieler waren längst in den Katakomben der Arena verschwunden. Nur Harry Kane hatte nach seinem Dreierpack und seinen beiden Vorlagen noch immer nicht genug. Wie nach seinen Hattricks üblich hatte er sich auch dieses Mal den Spielball gesichert und probierte sein neustes Souvenir gleich mal aus: Gemeinsam mit Louis Harry Kane junior, seinem 2020 geborenen Sohn, spielte er auf dem Platz noch ein paar Bälle hinterher. Beide hatten sichtlich Spaß daran und werden die Passübungen mit dem Hattrick-Ball möglicherweise schon bald im Garten des neuen Zuhauses der Kanes im Münchner Nobelvorort Grünwald fortsetzen. Thomas Müller muss sich jedenfalls keine Sorgen mehr machen, dass das Hotelzimmer, in dem Kane in seinem ersten halben Jahr in München noch wohnte, zu klein werden könnte für die ganzen Spielbälle, die Kane mit nach Hause bringt, wie sein Teamkollege damals noch witzelte. Kane schlenderte nach der Bayern-Gala jedenfalls glücklich und zufrieden durch die Katakomben Richtung Ausgang der Arena. Im Schlepptau: seine Frau, alle seine vier Kinder und einige Tüten und Taschen, in denen auch der Spielball verstaut war. Schon zum vierten Mal in dieser Saison. Mit nun 30 Bundesligatreffern nimmt der 100-Millionen-Sommertransfer bei nun noch neun ausstehenden Partien langsam, aber ziemlich zielsicher nun sogar Robert Lewandowskis Fabelrekord von 41 Saisontoren ins Visier. "Es sind noch ein paar Spiele übrig, ich möchte also noch weitere Treffer nachlegen", sagte Kane, bevor er in den Abend entschwand. "Es ist ein Geschenk, ihn trainieren zu dürfen", sagte sein Trainer Tuchel und ergänzte mit Blick auf den wankenden Torrekord: "Ich traue Harry alles zu. Er tut, was er immer tut in seiner ganzen Karriere. Er trifft, er ist Vorbild, ist eine große Persönlichkeit." Er stellt sogar Kane in den Schatten Als erstem Spieler der Bundesliga-Geschichte gelangen dem englischen Fußball-Nationalspieler acht Mehrfachpacks in seiner ersten Saison. Das reichte aber trotzdem nicht, um sich den von Tuchel verteilten Titel des "Spieler des Spiels" zu verdienen. Warum? Weil Tuchel überraschte, als es darum ging, diesen zu küren und stattdessen einen anderen nannte: Leon Goretzka . Dem waren zuvor "nur" zwei Tore und zwei Assists gelungen – Goretzka ist allerdings kein Stürmer wie Kane, sondern eigentlich ein zentraler Mittelfeldspieler. Eigentlich deshalb, weil Tuchel ihn in dieser Saison unter anderem auch schon als Notbesetzung in der Innenverteidigung einsetzen musste. Und seit neuestem und konkret der zweiten Halbzeit gegen den SC Freiburg (2:2) spielt Goretzka nun sogar auf beiden Positionen. Diesen taktischen Kniff hat sich Tuchel für den 29-Jährigen überlegt. Und so spielt Goretzka eigentlich zwar wieder im defensiven Mittelfeld, rückt bei eigenem Ballbesitz aber auf die linke Seite einer Dreierkette an die Seite der beiden Abwehrspieler Matthijs de Ligt und Eric Dier zurück. Dort agiert er als Bayerns neuer Spielgestalter aus der Tiefe – mit durchschlagendem Erfolg. Schon beim 3:0-Sieg gegen Lazio war das einer der Schlüssel zum Erfolg und das Münchner Aufbauspiel auch dank Goretzka deutlich breiter und unberechenbarer als zuvor ausgelegt. Und Bayern spielt plötzlich wieder wie Bayern. Von der Verunsicherung in der Defensive und dem schwerfälligen Offensivspiel der vergangenen Wochen ist nichts mehr zu sehen. Goretzka ist der Schlüssel zur Bayern-Wandlung Stattdessen treten die Münchner auf einmal wieder hinten stabil und vorne dominant auf. Eben ganz "bayernlike", wie Goretzka bejahte. Er ist das Sinnbild der Wandlung zum Guten. "Ich versuche einfach das umzusetzen, was der Trainer mir mitgibt. Heute hat einfach sehr viel geklappt von dem, was wir versucht haben", sagte er zu t-online. Leon, der Profi eben. "Wir haben unsere Chancen sehr effizient genutzt und endlich mal wieder sehr viele Tore geschossen. Das macht so natürlich deutlich mehr Spaß." Ist Bayerns positive Wandlung also nur eine Frage des neuen Systems? "Das ist mit Sicherheit auch eine Komponente", sagte Goretzka. "Aber das ist ja das, was auch der Trainer immer wieder betont: Jedes System muss auch mit Leben gefüllt werden. Das ist aktuell der größere Faktor." Und er selbst dabei zweifellos ein ganz zentraler. Gegen Mainz toppte Goretzka seine spielbestimmende Leistung sogar noch mal. Unter anderem mit seinem Tor zum 2:0 und seinem Kopfballtreffer zum Endstand, aber vor allem auch mit seinen beiden langen Traumpässen, die zum 3:1 und 6:1 führten. "So etwas habe ich noch nicht erlebt" "So etwas habe ich noch nicht erlebt", sagte er bei Sky und verriet gleich auch das Geheimnis dahinter. Er hätte am Samstag speziellen Besuch von Bekannten und Freunden, die er lange nicht gesehen habe, gehabt, erzählte Goretzka. Die hätten zu ihm gesagt: Wenn sie jetzt schon mal hier seien, dann müsse er auch ein Tor machen. "Ich habe dann gesagt, dass das auf der Position, die ich mittlerweile spiele, eigentlich gar nicht mehr geht", sagte er und lachte. "Dass es dann mit vier Scorerpunkten geklappt hat, ist natürlich eine schöne Geschichte." Nach einer äußerst komplizierten Saison scheint Goretzka darin nun doch wieder auf ein Happy End zuzusteuern. In der Saisonvorbereitung hatte Tuchel ihm noch das Vertrauen entzogen und sogar einen möglichen Abschied von Goretzka in den Raum gestellt. Stattdessen wünschte sich Tuchel immer wieder öffentlich lieber einen ballsicheren und defensivausgerichteten Mittelfeldspieler, eine im Fachjargon sogenannte "Holding Six". Der gewünschte Sommertransfer von João Palhinha platzte allerdings buchstäblich in letzter Sekunde dann doch noch. Nachdem Goretzka zwischenzeitlich als Aushilfsinnenverteidiger gefragt war und dabei durchaus gefallen hatte, fand er sich zu Jahresbeginn dann erneut zunächst auf der Ersatzbank wieder. Bei den Kandidaten, die den FC Bayern im Sommer möglicherweise verlassen könnten oder sollten, wurde immer häufiger auch sein Name genannt. Entsprechenden Gerüchten trat Goretzka bislang stets entschieden entgegen, verwies auf seinen noch bis Sommer 2026 laufenden Vertrag und sagte: "Ich liebe den Verein, ich liebe die Stadt, ich liebe die Fans." Mit dem feststehenden Abschied von Tuchel haben sich die Vorzeichen nun ohnehin wieder grundlegend geändert. So lässt er auch Nagelsmann gar keine Wahl Aber auch sein Kaderplatz für die anstehende Heim-EM schien zwischenzeitlich längst keine Selbstverständlichkeit mehr zu sein, ein Startelf-Platz schon gar nicht. Nach dem feststehenden Nationalelf-Comeback von Toni Kroos ist das Gedränge unter anderem mit Kapitän İlkay Gündoğan im zentralen Mittelfeld der deutschen Mannschaft schließlich noch größer als ohnehin schon. Auch, wenn Joshua Kimmich auch dort nun definitiv wieder aus dem Zentrum auf die Rechtsverteidigerposition rücken wird. Auf Goretzka in dieser Form kann aber auch Bundestrainer Julian Nagelsmann ganz sicher nicht verzichten. So lässt er ihm gar keine andere Wahl. Ob und wo er einen Platz in seinem Team für ihn finden wird, bleibt dennoch weiterhin eine spannende Frage. Eine erste Antwort wird es darauf am kommenden Donnerstag geben, wenn Nagelsmann seinen Kader für die im März anstehenden Testspiele für die EM nominieren wird. Goretzka mit Plädoyer für Pavlović Möglicherweise wird er mit dem 19 Jahre alten Aleksandar Pavlović einen weiteren zentralen Mittelfeldspieler berufen. Und damit nicht nur den momentanen Mittelfeldpartner von Goretzka beim FC Bayern, der das Mainz-Spiel wegen seiner fünften gelben Karte verpasste, sondern eben auch einen weiteren Konkurrenten für ihn. Goretzka gönnt dem Jungstar seinen kometenhaften Aufstieg trotzdem aus ganzem Herzen. "Ich bin ein großer Fan von Aleks. Er spielt einfach im Moment total befreit auf", sagte Goretzka zu t-online: "Ich muss ganz ehrlich sagen: Es tut mir persönlich sogar auch richtig gut, dass er sich da einfach keine Platte macht. Es macht einfach riesig Spaß, ihn zu sehen, wie er ins Training kommt, wie er ins Spiel kommt. Er genießt jede Sekunde und das soll er auch weiter so machen." Die Wahl der Nationalmannschaft des gebürtigen Münchners, der auch für Serbien spielen könnte, steht für Goretzka außer Frage. "Das ist eine Entscheidung, die jeder für sich selbst treffen muss", sagte Goretzka und ergänzte: "Wenn ich ihm eine Empfehlung aussprechen darf, dann würde ich mich schon für den DFB entscheiden." ( Mehr dazu lesen Sie hier ) Pavlović selbst hatte bereits zuletzt über die mögliche Teilnahme mit der deutschen Nationalmannschaft an der Heim-EM zu t-online gesagt: "Das wäre schon ein Traum von mir. Das wäre sehr schön." Sich dafür in den nächsten Wochen mit weiteren starken Leistungen bei Bayern empfehlen zu können, sei "auf jeden Fall eine große Extra-Motivation", so Pavlović weiter. Am Samstag in Darmstadt wird er in die Bayern-Startelf zurückkehren und weiter darauf hinarbeiten. Und zwar an der Seite von Goretzka. "Wenn etwas gut funktioniert", sagte der abschließend noch, "dann macht man es erst mal so weiter." Und besser als Goretzka gegen Mainz und zuletzt auch im Zusammenspiel mit Pavlović spielte, geht's fast nicht. Das bekam sogar Harry Kane zu spüren.