Zeit, dass sich was dreht
Nach der peinlichen Pokalpleite muss die Mannschaft in Heidenheim eine Reaktion zeigen. So in etwa dürfte der typische Vereinsvertreter-Reflex lauten, wenn er auf die kommende Auswärtspartie der Borussia angesprochen wird. Dabei ist es im Grunde völlig egal, welche Reaktion die Mannschaft am kommenden Samstag zeigt. Es ist sogar (fast) egal, ob und wenn ja wie hoch sie die Partie gewinnen wird. Ok, über einen Sieg würden wir uns schon freuen. Aber es wird nichts an der allgemeinen Gemütslage ändern, wie auf die Mannschaft und diese Saison zu blicken ist. Das hat sie am vergangenen Dienstag endgültig verspielt und damit das Fass des Erträglichen zum Überlaufen gebracht.
Die einzige Reaktion, die – rein theoretisch – etwas an diesem Blick ändern könnte, wäre eine Siegesserie, die den Verein zum Saisonende noch auf Platz 7 und damit den (voraussichtlichen) Einzug in die Conference League katapultieren würde. Bei lediglich 6 Punkten Rückstand ist dies – rein theoretisch – gar nicht unmöglich.
Abwegig wird es erst in der praktischen Umsetzung für einen Verein, der in dieser Saison bislang noch keine zwei Bundesliga-Spiele in Folge gewinnen konnte. Für einen Verein, der es nicht schafft, seine sporadisch ordentlichen Leistungen in einzelnen Phasen des Spiels über mehr als maximal 45 Minuten durchzuziehen. Für einen Verein, der sich schön herausgespielte Führungen regelmäßig durch ein unfassbares Defensivverhalten einreißt, für das sich jeder Kreisklasseverteidiger schämen würde. Nein, Borussia Mönchengladbach 2024 ist so etwas wie eine Siegesserie und ein Sturmlauf vorbei an fünf weiteren Konkurrenten nicht im Ansatz zuzutrauen.
Trotz der trügerischen neun Punkte Vorsprung auf die Relegation, sollte die Mannschaft sich zumindest insoweit zusammenreißen können, um im Zuge der allgemeinen Depression nicht noch in Abstiegsgefahr zu geraten. Es wird schon noch den einen oder anderen ordentlichen Auftritt geben, wie z. B. beim letzten Aufeinandertreffen mit dem Gegner vom kommenden Samstag. Damals in der 2. Runde des Wettbewerbs, den wir hier aus Gründen der Pietät nicht namentlich erwähnen möchten. Über die Partie beim aktuellen Tabellennachbarn aus Heidenheim wollen wir aus denselben Gründen gar nicht mehr viele Worte verlieren, auch wenn es der starke Aufsteiger verdient hätte. Wir möchten uns lieber mit der weit dringlicheren Frage beschäftigen, was bei Borussia in der Zukunft passieren sollte, um die Abwärtsspirale aufzuhalten.
Über die planlose Zusammensetzung des Kaders hat Christian Spoo alles gesagt in seiner vorzüglichen Analyse, an die ich im Folgenden anknüpfen möchte. Was konkret muss sich ändern, damit die kuschelige Borussen-Familie nicht schon bald den Weg des HSV oder S04 antreten muss? Liegt die Misere etwa an
Mentalität oder Qualität?
Nein, Borussia hat primär kein Mentalitätsproblem, wie es lange Zeit vorgeschoben wurde. Dies hat sie zuletzt z. B. in Mainz und gegen Köln bewiesen, wo sie während des Spiels zurück in die Partie gefunden und sich massiv gesteigert hat. Die Mannschaft will – zumindest zu allergrößten Teilen – ihre beste Leistung abrufen und den Fans ordentlichen Fußball bieten.
Das Problem ist vielmehr: Ihr fehlt hierzu die Qualität, wie Sportdirektor Roland Virkus immerhin endlich begriffen hat. Was er dagegen immer noch nicht verstanden zu haben scheint, ist die eigene Verantwortlichkeit hierfür. Wieso sonst sollte er aus seiner zutreffenden Zustandsbeschreibung folgern, der „Staff“ und die Mannschaft müssten nun „Lösungen“ liefern. Woher sollen diese kommen, wenn es doch zuvorderst an der mangelhaften Qualität des Kaders liegt? Eines Kaders, den er als Geschäftsführer Sport hauptamtlich zu verantworten hat. Kurzfristig ist der Sturz des Fohlenkindes in den Brunnen kaum noch aufzuhalten und es kann nur noch darum gehen, die Saison halbwegs gesittet im Tabellenmittelfeld zu Ende zu bringen. Der Verein muss jetzt schon mittelfristig planen und sich auf allen Positionen hinterfragen, insbesondere in Sachen
Leistungsorientierung.
Ganz wesentlich ist, dass endlich wieder angefangen wird, in allen Bereichen des Vereins – vom Busfahrer bis hin zum Präsidenten – leistungsorientiert zu denken und zu handeln. Verantwortliche Posten dürfen nicht länger nur aus alter Verbundenheit und aufgrund von „Fohlen-Stallgeruch“ vergeben werden, sondern einzig aufgrund echter Qualifikationen. Wer eine Führungsposition bei Borussia Mönchengladbach bekleiden darf, der muss sich dies verdienen und vorab seine Befähigung unter Beweis stellen. Damit kommen wir zum
Sportdirektor.
Was genau hat den netten und vereinstreuen Rollo damals im Februar 2022 dazu befähigt, die Nachfolge von Borussias zweitbesten Manager aller Zeiten anzutreten, außer dass er eben nett und vereinstreu ist? Gab es tatsächlich irgendwen im Verein, der ihn für die insgeheim bestmögliche Lösung als Geschäftsführer Sport ansah, so wie es Rolf Königs bei der Vorstellungs-PK äußerte? Wenn ja wäre es interessant zu erfahren, worauf sich dieses Urteil berufen haben könnte.
Als Jugendtrainer mag er aus Zeiten des blutjungen Marc-André ter Stegen einige Erfolge vorzuweisen haben. In seiner anschließenden Rolle als Leiter des „FohlenStalls“ und des Nachwuchsleistungszentrums hatte Virkus dagegen entscheidenden Anteil daran, dass eine der vermeintlichen drei Stützen des Vereins über Jahre hinweg verkümmert ist.
Die Förderung der Jugend trug unter Nachwuchsdirektor Roland Virkus so gut wie keine Früchte. Die Jugendmannschaften spielten teilweise auf dem Niveau von Teams wie Alemannia Aachen und Rot-Weiß Essen. So gut wie kein Jugendspieler setzte sich in der Profimannschaft nachhaltig durch. Dies alles mag vielschichtige Gründe haben und nicht ausschließlich dem Hauptverantwortlichen anzulasten sein. Dennoch mutet es abenteuerlich an, wenn ausgerechnet dieser auf die wichtigste Position im Verein befördert wird. Wo ist da das Leistungsprinzip? Woher kam oder kommt die Hoffnung, dass jemand es auf der großen Bühne besser macht, nachdem er zuvor auf der deutlich kleineren Bühne weitgehend erfolglos geblieben ist?
Das bisherige Wirken von Virkus als Sportdirektor bestätigt leider die Befürchtungen, die Seitenwahl bereits bei seiner Inthronisierung geäußert hat. Wir sind weiterhin der Meinung, dass Borussia Mönchengladbach diesen Fehler schnellstmöglich korrigieren und sich auf dieser bedeutsamen Position kompetenter aufstellen sollte. Damit kommen wir gleich zum nächsten Problem, nämlich zu denjenigen, die derlei Personalentscheidungen in den letzten Jahren getroffen haben, also zum
Vorstand.
Vorab: Rolf Königs, Rainer Bonhof und Hans Meyer sind absolute Vereinslegenden und werden dies immer bleiben, unabhängig davon, wie sich der Verein in den kommenden Jahren weiterentwickeln wird. Rolf Königs, Rainer Bonhof und Hans Meyer sind aber mit Verlaub inzwischen auch eins: ziemlich alt. Alle drei befinden sich in einem Alter, in dem man sonst allerhöchstens noch als Papst oder US-Präsident arbeiten könnte.
Der Vorstand hat es leider in den vergangenen Jahren versäumt, eine Verjüngung dieses Gremiums aktiv herbeizuführen. Die Berufung des 60jährigen Dr. Stegemann war diesbezüglich ein doch sehr halbherziger Versuch. Alter ist nicht per se das zu kritisierende Kriterium. Es kann Sinn machen, verdiente Vereinsfunktionäre in Beraterfunktion weiter einzubinden, um von ihrem Erfahrungsschatz zu profitieren.
Wenn sich aber die Strukturen im Verein verkrusten und neue Impulse ausbleiben, um sich an die wechselnden Zeiten anzupassen, dann kann Alter kontraproduktiv sein. Selbst der beste Manager der Vereinsgeschichte musste dies Anfang der 1990er-Jahre erkennen, dass seine Rezepte aus vergangenen Tagen in der (damaligen) Moderne nicht unbedingt mehr mit gleich großem Erfolg funktionierten. Helmut Grashoff war weise genug, um im Alter von 62 Jahren von seinen Ämtern zurückzutreten und den Weg freizumachen für jüngere Kandidaten. Der aktuelle Vorstand täte gut daran, sich daran ein Beispiel zu nehmen, bevor der Gestank des Fisches eine neue „Initiative“ wie im Jahr 2011 hervorbringen wird.
Nach dem Sportdirektor und dem Vorstand führt die Spur der Verantwortlichen weiter zum
Geschäftsführer.
Auch für Stephan Schippers gilt der Disclaimer, dass er sich seit 1999 um den Verein extrem verdient gemacht hat. Es kann ihm kaum hoch genug angerechnet werden, dass der zu Beginn seiner Amtszeit nahezu zahlungsunfähige Verein seit Jahrzehnten auf wirtschaftlich soliden Beinen steht. Und dies ohne die Hilfen externer Investoren, die anderen Vereinen erhebliche Wettbewerbsvorteile bieten. Als Kaufmann kann sich Borussia auch für die Zukunft keinen besseren Geschäftsführer wünschen.
Allerdings hat Schippers am allerbesten im Zusammenspiel mit einem (gesunden) Max Eberl funktioniert. Solange die beiden harmonierten, war die Interaktion zwischen Eberls Innovationsreichtum und Schippers mahnender Hand am Geldbeutel das Beste, was dem Verein passieren konnte. Leider bröckelte diese Eintracht gegen Ende des vergangenen Jahrzehnts und wurde zur nicht mehr aufzuhaltenden Zwietracht. In Konsequenz musste schlussendlich der Abgang einer der beiden starken Männer erfolgen, der dabei noch einen Haufen verbrannter Erde für seinen Nachfolger hinterließ.
Dieser hat offenbar nicht das Profil und die Qualität, um ein angemessenes Gegengewicht zum nun übermächtig wirkenden Finanzgeschäftsführer zu bilden. Schippers scheint Borussia im Stile eines deutschen Finanzministers zu leiten. Schuldenbremse um jeden Preis. Eine Strategie, die – im Zusammenspiel mit Eberl – für lange Zeit gut funktioniert haben mag, die aber nicht zwingend auch in diesem Jahrzehnt noch immer die Antwort auf Borussias Probleme liefert. Niemand fordert einen finanziellen Harakiri-Kurs im Stile von Schalke 04. Ein wenig mehr kalkuliertes Risiko als zuletzt könnte dem Verein an der einen oder anderen Stelle aber evtl. schon guttun.
Auch Stephan Schippers muss sich daher – so wie jeder Verantwortliche im Verein – hinterfragen, inwieweit er mit seiner Finanzpolitik zum sportlichen Niedergang der letzten Jahre beigetragen hat. Das gilt ebenfalls – wie so oft – für den
Trainer.
Es ist im Fußballgeschäft leider viel zu häufig so, dass jegliche Fehlentwicklungen im Verein zuvorderst nur beim Trainer gesucht werden. Dieser steht ganz vorne an der Front, seine Entscheidungen sind für jeden sichtbar und sie sind am allerleichtesten angreifbar, da sich jeder Fußballfan per se für den allergrößten Fußballexperten hält. Uns geht das nicht anders und auch wir konnten in dieser Saison so manche Personalentscheidung von Gerardo Seoane nicht nachvollziehen. Ob z. B. der häufige Verzicht auf Borussias kampfstärksten Spieler Rocco Reitz oder die Einwechselung von Nathan Ngoumou in Saarbrücken bei einem tiefstehenden Gegner auf nahezu unbespielbarem Platz. Dies alles kann und darf hinterfragt werden. Es ist aber aufgrund der subjektiven und beschränkten Wahrnehmung von uns Fans noch nichts, was einen Trainer (allein) in Frage stellen sollte.
Warum die Trainerdiskussion leider trotzdem berechtigt ist, hat andere Gründe. Weit problematischer als einzelne Personalentscheidungen ist das Gesamtbild, das Borussia unter Seoane abgibt. Welche nachhaltige Spielidee vertritt der Trainer? Wie genau möchte er die Mannschaft perspektivisch weiterentwickeln? Wie will er die chaotische Defensive stabilisieren? Dies alles lässt sich nach 25 Bundesligaspieltagen nicht im Ansatz erkennen und es besteht kaum noch Hoffnung, dass sich dies in den verbleibenden neun Partien ändert. Einzelne Spieler, wie Reitz, Nicolas oder Hack haben sich zwar in dieser Saison stark entwickelt, was man wohlwollend dem Trainer zurechnen kann. In der Gesamtheit wirkt die Mannschaft aber weiterhin schwächer als die Summe ihrer Einzelteile.
Das alles sind Punkte, die leider gegen den Trainer sprechen. Für ihn spricht dagegen fast nur noch, dass ein erneuter Trainerwechsel ein weiteres Armutszeugnis für den Verein wäre und ein nächster Schritt in Richtung Schalkeisierung. Der Verschleiß an zuvor anderswo erfolgreichen Trainern in den letzten Jahren lässt sehr stark darauf schließen, dass die Probleme ganz bestimmt nicht primär beim Trainer liegen. Dennoch haben wir bei Lucien Favre gesehen, was ein Trainer im Positiven bewirken kann. Auch Hans Meyer sei hier als Beispiel genannt, der den Verein 1999 vor einem damals drohenden Schicksal der Marke Düsseldorf oder Aachen bewahrt hat.
Doch wie groß ist die Wahrscheinlichkeit, erneut einen solchen Glücksgriff auf dem Trainermarkt zu landen? Wie groß ist dagegen die Gefahr, dass Borussia seinen Nimbus als seriöser Verein verliert und irgendwann ebenfalls jährlich auf die Resterampe des Trainerkarussells zurückgreifen wird? Die Frage nach dem Trainer ist daher die vielleicht am schwierigsten zu beantwortende. Denn das Hauptproblem ist und bleibt nicht der Trainer, sondern die Qualität der
Mannschaft.
Wäre der Verein konsequent, so müsste er sich im Sommer von Koné, Neuhaus, Elvedi, Weigl, Friedrich, Netz, Scally, Ngoumou, Kramer, Jantschke und Herrmann allesamt trennen. Von den hoffentlich noch zu erzielenden Ablösen könnte ein wirkungsvoller Sportdirektor mit professionellem Scouting einen echten Umbruch einleiten. Mit Nicolas/Omlin – Itakura – Reitz – Honorat, Hack – Plea, Jordan/Cvancara verfügt Borussia über eine Handvoll Stammspieler, denen eine ordentliche Perspektive auf Borussias Weg zurück zu einer harmonisch(er) abgestimmten Mannschaft zuzutrauen ist. Um sie herum sollte durch gezielte Verstärkungen sowie Ergänzungen in der Breite ein neues Team aufgebaut werden, das mehr Qualität und Ausgewogenheit mitbringt als das aktuelle.
Es ist selbstverständlich nicht damit zu rechnen, dass der Verein all dies in Gänze aufgreifen wird. Wahrscheinlich wäre es in dieser Absolutheit und Radikalität auch nicht einmal der richtige Weg. Ein erster Schritt wäre es aber, die Erkenntnisse dieser missratenen Saison aufrichtig aufzuarbeiten und dabei ein paar der genannten Punkte zumindest zu erwägen. Noch ist es nicht zu spät, den vielbeschworenen Borussen-Weg neu zu justieren und die dringend erforderliche Kehrtwende zu vollziehen. Viel Zeit verbleibt allerdings nicht mehr, da einmal eingeleitete Negativprozesse irgendwann unumkehrbar in eine unaufhaltsame Spirale münden können.
Mögliche Aufstellungen
Heidenheim: Müller – Traore, Mainka, Siersleben, Föhrenach – Dinkci, Schöppner, Sessa, Dovedan, Beste - Kleindienst
Borussia: Nicolas – Scally, Elvedi, Itakura, Netz – Honorat, Weigl, Koné, Neuhaus, Hack - Jordan
SEITENWAHL-Tipps
Michael Heinen: An der Brenz wird es zwar für Borussia einige Male brenzlig. Am Ende reicht es aber zu einem 1:1, was anschließend als Sieg der Moral verkauft wird.
Christian Spoo: Saarbrücken war der Tiefpunkt? Borussia: „Hold my beer“. Heidenheim gewinnt ungefährdet mit 2:0.
Kevin Schulte: Es würde irgendwie zu dieser Borussia passen, wenn sie ausgerechnet das egalste Spiel der Woche gewinnt. Passiert zumindest fast: am Ende nehmen wir ein 2:2 von der Ostalb mit.