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So gierig wie 2016/17? Reals Kader strotzt vor Siegeshunger

Die aktuellen Blancos erinnern an die von 2016/17, der ersten Double-Saison seit 1958 – Fotos: getty images

Eine herausragende Saison mit oder ohne Champions League

Dass Real Madrid spanischer Meister wird und die Supercopa de España gewinnt, war vor der Saison 2023/24 keine allzu gewagte Prognose und ist sicherlich keine Sensation. Die Art und Weise, wie die Königlichen die nationale Konkurrenz teilweise deklassiert haben, ist jedoch absolut außergewöhnlich, auch und vor allem unter Berücksichtigung der Begleitumstände seit dem ersten Tag der Saison. Trotz Kreuzbandrissen bei drei Säulen des Teams und ständiger weiterer Verletzungsausfälle (teilweise mit bis zu acht Ausfällen an einem Spieltag), trotz des Abgangs des besten Torjägers der letzten Jahre lassen Fakten und Zahlen nur einen Schluss zu: Real Madrid spielt eine der besten Saisons der gesamten Vereinsgeschichte. Die Merengues sind in LaLiga seit September, also seit 29 Spieltagen ungeschlagen – Rekord. Man stellt die beste Abwehr, den besten Angriff, das beste Heim- und das beste Auswärtsteam in der Primera División, außerdem blieb die Real-Abwehr bereits 19 Mal ohne Gegentor, womit der eigene Rekord eingestellt wurde und bei noch drei ausstehenden Partien mit hoher Wahrscheinlichkeit übertroffen wird. Auch wenn der Liga-Titel erst am vergangenen Wochenende auch mathematisch gesichert wurde, gab es seit dem 11. Februar und dem Kantersieg gegen den bis dato ersten Verfolger Girona (4:0) kaum Zweifel an der 36. spanischen Meisterschaft. Ganz nebenbei schenkte die Ancelotti-Truppe beim Supercopa-Turnier im Januar den beiden größten Rivalen neun Tore in zwei Spielen ein. Doch wie haben es die Mannschaft und das Trainerteam trotz aller Widrigkeiten geschafft, so souverän durch die Saison zu marschieren?

Die Mischung im Kader stimmt

Ausgewogenheit im Kader ist die „Zauberformel“, sowohl im Hinblick auf die sportlichen Fähigkeiten und Qualitäten als auch bezüglich des Charakters der Spieler. Bereits in der Hinrunde, als aufgrund der zahlreichen und andauernden verletzungsbedingten Ausfälle ein relativ kleiner Kreis von Spielern zum Einsatz kam, profitierte Real Madrid davon, dass Ergänzungsspieler wie Brahim Díaz oder Lucas Vázquez nahezu immer geliefert haben, wenn es darauf ankam. Das gilt erst recht für Luka Modrić, der zu Beginn der Saison häufig auf der Bank saß, inzwischen aber wichtig wie eh und je ist. Beeindruckend: Canteranos haben in manchen Partien „alleine“ für die Siege oder Führungen gesorgt: Vázquez gegen Alavés und Barcelona, Joselu gegen Real Sociedad und Bayern, oder ganz frisch: Fran García mit dem 1:0 gegen Granada.

Als im Laufe der Rückrunde immer mehr Verletzte zurückkamen, wurde der Kader deutlich breiter und umso stärker, was den teilweise deutlich überspielten Stammkräften immer mehr zu Gute kam. Ancelotti konnte endlich mehr rotieren und Vinícius Júnior, Jude Bellingham, Toni Kroos und anderen Pausen gönnen, die im Hinblick auf die schweren Champions-Legue-Aufgaben eminent wichtig waren. Denn der italienische Coach konnte und kann sich neben Brahim und Vázquez auch auf Joselu, Fran García und neuerdings auch auf Arda Güler beinahe immer verlassen. Der junge Türke hat innerhalb weniger Wochen gezeigt, dass er mehr als nur ein Versprechen für die Zukunft ist, obwohl er mehr als ein halbes Jahr nur mit Verletzungen zu tun hatte. Garcías Form der letzten drei Spiele macht ihn zu mehr als nur einem Notnagel für Ferland Mendy. Sie alle sind allerdings keine Kopien der Stammkräfte, für die sie zum Einsatz kommen, sondern sie alle zusammen und jeder von Ihnen einzeln bringt auf seine eigene Weise eine neue, andere Dimension in Reals Spiel. So bedeutungslos sie auch gewesen sein mag, verdeutlichte der 4:0-Sieg in Granada das am besten. Mit Brahim, Güler, García und Modrić spielt Real anders als mit Vinícius, Bellingham, Kroos und Mendy. Die Abläufe passen, es sieht alles einstudiert und strukturiert aus, aber es ist anders und dadurch auch weniger ausrechenbar für den Gegner. Ein Luxus, den sich Ancelotti lange nicht leisten konnte.

Nicht weniger wichtig: Auch zwischenmenschlich herrscht im Kader eine außergewöhnliche Chemie. Ob alt oder jung, neu oder alteingesessen – kein Spieler wird müde zu betonen, wie verbunden sie sich einander fühlen. So verriet Brahim am Samstagabend: „Unsere Beziehung geht über reine Freundschaft hinaus, wir sind alle wie Brüder, wir sind eine Familie.“ Sowohl auf als auch neben dem Platz ist die gesamte Mannschaft der Königlichen ein verschworener Haufen, in dem jeder für den anderen einsteht und es keinerlei Eitelkeiten oder Missgunst zu geben scheint. Spieler, die teilweise wochenlang nicht zum Einsatz kommen, nehmen das klaglos hin und sind sofort da, wenn sie gebraucht werden. Eine immens wichtige Rolle spielen dabei vor allem Canteranos wie Vázquez, Joselu sowie die Kapitäne Nacho Fernández und Dani Carvajal, die nicht nur als integrative Faktoren für die Neuen fungieren, sondern auch die Werte des Vereins jeden Tag aufs Neue vorleben und weitergeben.

Die Leute, die länger im Klub sind, sind immer etwas verantwortlich dafür, dass in der Kabine alle in die gleiche Richtung rudern, dass jemand, der ein wenig entgleist, am Ohr gezogen und wieder auf den Weg gebracht wird. Das müssen die Routiniers in einer Mannschaft tun, damit es gut läuft. Wir haben sehr qualifizierte Leute dafür – und vor allem die jungen Spieler sind sehr professionell“, hob Carvajal im März das Geheimnis zu Reals Team-Chemie hervor.

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Parallelen zu 2016/17: Ein schier unersättlicher Siegeswille

„Tus ganas de vencer“ – die sprichwörtliche Siegeslust aus Reals Vereinshymne ist seit Jahrzehnten ein wesentlicher Teil der Vereinsidentität und gehört zum Selbstverständnis der Königlichen. Und die aktuelle Mannschaft verkörpert diese Haltung wie kaum eine andere zuvor. Bisher gilt die Saison 2016/17 als das Nonplusultra in Reals jüngerer Vereinshistorie: Der womöglich beste Kader der Fußballgeschichte gewann scheinbar spielerisch die Meisterschaft und machte nebenbei in Europa Kleinholz aus fast allen Gegnern. Damals konnte sich Trainer Zinédine Zidane zu hundert Prozent auf seine Bank verlassen: Wenn Cristiano Ronaldo, Karim Benzema oder Gareth Bale mal pausierten, übernahmen nahtlos Álvaro Morata, Marco Asensio oder James Rodríguez. Die heutige Mannschaft der Königlichen hat qualitativ (noch) nicht das Niveau des damaligen Kaders, vor allem nicht in der Breite, sie ist jedoch genauso gierig nach Erfolg – mindestens! Wie kaum eine andere zuvor hat sie den ständigen Siegeshunger – das Fundament, auf dem der Mythos Real Madrid gründet – verinnerlicht. Nichts steht symbolischer dafür als die beiden Veteranen Luka Modrić  und Toni Kroos, die in ihren Karrieren buchstäblich schon alles gewonnen haben, und die sich am vergangenen Mittwoch über ihr sechstes respektive siebtes Champions-League-Finale wie kleine Kinder gefreut haben, als wäre es ihr Erstes. Mit dieser Gier haben die beiden Mittelfeld-Oldies, Carvajal, Nacho und Co. die junge Generation scheinbar schon erfolgreich infiziert. Anders lassen sich zwölf Halbfinal-Teilnahmen in 14 Jahren kaum erklären, als über den junge Stars, die schnell von den Routiniers lernen, und diese ersetzen.

Diese Real-Mannschaft kann am 1. Juni in London dieser jetzt schon legendären und historischen Saison die Krone aufsetzen und sich endgültig unsterblich machen. Und 2024/25 geht es dann nahtlos weiter, denn das Team wird eher besser als schlechter werden. Wir leben zweifellos in einer nahezu einmaligen Erfolgsära des erfolgreichsten Vereins der Welt.

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