Jill Biden: Böses Gerücht macht in Amerika die Runde
Die Debatte nach dem TV-Duell tobt immer heftiger: Soll Joe Biden sich zurückziehen aus dem Wahlkampf? In Washington wird gemunkelt, dass er das längst nicht mehr selbst entscheide. Ein böses Gerücht macht in Washington die Runde. Das wäre in einer an Gerüchten nicht gerade armen Hauptstadt mit ihren zahlreichen politischen Ränkespielen an sich nichts Erwähnenswertes. Wenn es aber darum geht, wer die bedeutendste Nation der Erde anführt, darf man schon mal genauer hinhören. Das Gerücht geht so: In Wahrheit ist es nicht Joe Biden , der das Sagen hat im Weißen Haus. Sondern seine Frau. Auffällig war schon, wie Jill Biden ihren Gatten nach dessen völlig verpatztem Debattenauftritt am vergangenen Donnerstagabend noch auf der Bühne im TV-Studio feierte. Die 73-jährige First Lady jubelte dem Präsidenten nach Meinung vieler Beobachter etwas zu überschwänglich zu, lobte ihn für seine Performance – dabei war die nach Meinung so ziemlich aller Beobachter grottenschlecht. Selbst die den Demokraten nahestehende "New York Times" kam nach den erschreckenden Bildern und Sätzen, die der 81-Jährige während des Duells mit Trump geliefert hatte, nicht mehr umhin, dem Amtsinhaber den Rückzug aus dem laufenden Präsidentschaftswahlkampf zu empfehlen. "Biden ist ein guter Mann und ein guter Präsident", schrieb der dreimalige Pulitzer-Preisträger Thomas L. Friedman. "Er muss jetzt aus dem Rennen aussteigen." Friedman räumte ein, dass er beim Betrachten der Debatte geweint habe. Bidens erschütternd schwacher Auftritt habe ihm das Herz gebrochen. "Die Familie des Präsidenten und seine politischen Berater müssen jetzt schnell zusammenkommen und ein schonungsloses Gespräch mit ihm führen, eine Unterhaltung, die von Liebe, Offenheit und Entschlossenheit getragen ist", so Friedmans Appell. Wirklich der beste Präsident für Amerika? In der Tat kam die Biden-Familie am Wochenende auf dem präsidialen Landsitz in Camp David zusammen. Und offenbar waren die Diskussionen, die dort geführt wurden, von jener Liebe, Offenheit und Entschlossenheit getragen, die Friedman angemahnt hatte. Aber das Ergebnis war nicht gerade das, was sich der Kommentator der "New York Times" vorstellte. Biden will weitermachen. Seine Familie habe ihn zu diesem Schritt ermutigt, schrieb das Blatt am späten Sonntagabend. Es scheint zunehmend so, als sei es vor allem seine Frau Jill, die ihren Mann zum Weitermachen motiviert. Ihr Ehemann sei die "einzige Person, die den Job machen kann", hatte sie nach dem Debatten-Debakel bei einer Spendenveranstaltung gesagt. Auch führende Demokraten stellten sich am Wochenende hinter den Präsidenten. "Ich denke, er ist der einzige Demokrat, der Donald Trump schlagen kann", sagte etwa Senator Chris Coons aus Delaware. Das zeugt davon, dass man im Umfeld Bidens offenbar die Auswirkungen der Debatte auf die Wähler als nicht so gravierend einschätzt, wie das der Großteil der politischen Kommentatoren derzeit tut. Jill Biden, die ihren Mann auf den Veranstaltungen der vergangenen Tage unterstützte und energische Reden hielt, findet jedenfalls nach wie vor, er sei "der beste Präsident für Amerika, jetzt und die nächsten vier Jahre, 100-prozentig". Haltung zu den beiden Kandidaten bislang kaum verändert Laut einer jüngsten "Axios"-Blitzumfrage wollen 60 Prozent der US-Wähler, dass die Demokraten Biden auswechseln. Sie plädieren für einen anderen Präsidentschaftskandidaten, einen, der es mit dem wesentlich agiler wirkenden und angriffslustigeren Donald Trump aufnehmen kann. Andererseits zeigte dieselbe Umfrage keine großen Verschiebungen, wenn es um die Präferenz der Wähler geht, wer im kommenden Jahr ins Weiße Haus einziehen soll. 46 Prozent meinen, das solle Trump sein. 45 Prozent sind immer noch der Meinung, Biden soll dort wohnen bleiben und weiterregieren dürfen. Damit war die Haltung der Amerikaner im Hinblick auf die Präsidentschaft zunächst keine andere als vor der Debatte. Auch da hatte der Herausforderer lediglich einen hauchdünnen Vorsprung. Vermutlich stützt sich der Optimismus des Biden-Teams auf jene frühen Erhebungen seit der Redeschlacht am Donnerstag. Doch die können trügerisch sein. Erstens werden aussagekräftigere Umfragen erst in dieser Woche erwartet. Zweitens könnten die Auswirkungen, die Biden mit seinem senilen Auftritt in den Köpfen der Wählerschaft hinterlassen hat, sich womöglich auch erst langfristig zeigen. Insbesondere bei den Unentschiedenen. Und davon gibt es noch eine ganze Menge. Biden liest vom Teleprompter ab und von Zetteln mit großer Schrift Bedenkt man, dass die Abstimmung im kommenden November wohl nur von sechs Prozent der amerikanischen Wähler entschieden wird, können schon geringe Präferenzunterschiede zwischen den beiden Kandidaten den Ausschlag dafür geben, wer letztlich ins Weiße Haus einzieht. Es sind vor allem die unentschiedenen Wähler in den besonders wichtigen Schlüsselstaaten ("Swing States"), die zum Zünglein an der Waage werden könnten. Insofern sollten die jüngsten Umfragen dem Biden-Team und den Demokraten Sorgen bereiten. Denn in allen Schlüsselstaaten wie Pennsylvania , Georgia, Arizona, Michigan , Nevada und North Carolina legen sich die unentschlossenen Wähler nach Bidens Grusel-Auftritt fest: Sie würden – Stand jetzt – eher für Trump stimmen. Auch aus der demokratischen Partei mehren sich inzwischen Stimmen, die eine schonungslose Aufarbeitung des TV-Duells fordern. Es sind allerdings eher Hinterbänkler, die aufbegehren. Alle führenden Parteikader und erst recht alle möglichen Ersatzkandidaten haben sich bislang demonstrativ hinter Biden gestellt. Niemand will zum Königsmörder werden. Und seine Frau Jill denkt offenbar gar nicht daran, ihren zunehmend gebrechlich erscheinenden Mann von einem Kurswechsel zu überzeugen. Der "New York Post" sagte ein Unterstützer der Demokraten, "eine Menge Leute machen seine Frau dafür verantwortlich, dass sie ihm nicht sagt, was die Stunde geschlagen hat und ihm rät, beiseitezutreten." Die "Bild"-Zeitung schreibt Jill Biden bereits zur "Schatten-Präsidentin" hoch. Sie sei "machthungrig und rachsüchtig", zitiert das Boulevardblatt den US-Historiker Douglas Brinkley. Demnach habe in Wirklichkeit sie im Weißen Haus gewissermaßen das Sagen, während ihr Mann nur noch in der Lage sei, vernünftige Reden zu halten, wenn er dabei vom Teleprompter oder Zetteln mit Riesenschrift ablesen kann. Wie gesagt, ein Gerücht. Demokraten haben es versäumt, einen Nachfolger zu finden Das Portal "Politico" berichtete nun, Bidens Familie habe sich in Camp David besonders über die engsten Mitarbeiter des Demokraten echauffiert. Sie trügen die Schuld am Misserfolg des Präsidenten bei der Debatte, hieß es unter Berufung auf das Umfeld der Familie. Biden sei nicht bereit gewesen, Trump mehr anzugreifen und habe sich zu sehr darauf versteift, seine Bilanz zu verteidigen, anstatt eine Vision für eine zweite Amtszeit zu skizzieren. Außerdem sei er überarbeitet gewesen, soll die Familie kritisiert haben. Ein ranghoher Mitarbeiter Bidens wies "Politico" zufolge zurück, dass sich die Wut der Angehörigen gegen bestimmte Mitarbeiter richte. Dass Jill Biden ihrem Mann nun zur Seite steht, dass sie ihn nicht etwa zum Rückzug auffordert, ist nachvollziehbar. Die beiden sind seit fast 50 Jahren verheiratet; Jill hat ihren Mann im Verlauf dessen politischer Karriere immer nach Kräften öffentlich unterstützt ( anders etwa als Melania Trump, die am Donnerstag nicht einmal mit zur Debatte nach Atlanta geflogen war ). Andererseits ist Jill Biden auch diejenige, die den größten Einfluss auf den Präsidenten hat. Sie könnte ihn ermutigen, den Weg für einen jüngeren, hoffnungsvolleren Kandidaten freizumachen. Die Frage, die sich ganz Amerika stellt, ist derzeit: Wer könnte das sein? Die Demokraten haben es in den vergangenen vier Jahren konsequent versäumt, einen möglichen Nachfolger für das Präsidentenamt aufzubauen, einen Kandidaten mit einem hohen Bekanntheitsgrad, der zudem sowohl rechte als auch linke Wähler ansprechen könnte. Dieses Dilemma fällt ihnen jetzt auf die Füße. Womöglich hat Jill Biden deshalb sogar recht, wenn sie sagt, es gäbe niemand anderen für das Amt. Fragt sich nur, ob das die Wähler am 5. November genau so sehen.