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Kamala Harris: "Dann wird sie Spitzenkandidatin"

Über Jahre hat Dan Morain den Aufstieg von Kamala Harris beobachtet. Die Diskussionen um eine mögliche Ersatzkandidatur für Joe Biden überraschen den US-Biografen nicht. Ein Interview über ihre Stärken und Schwächen. Bastian Brauns berichtet aus Washington Die Diskussionen bei den Demokraten über einen notwendigen Rückzug Joe Bidens werden immer heftiger geführt. Mehrere Mitglieder des US-Kongresses fordern ihren Präsidenten zum Rücktritt auf und wünschen sich stattdessen seine Vizepräsidentin Kamala Harris als Spitzenkandidatin. Der langjährige US-Journalist Dan Morain hat den politischen Werdegang von Kamala Harris in Kalifornien viele Jahre lang verfolgt. Im Interview mit t-online spricht er über die Stärken und Schwächen der Vizepräsidentin und darüber, warum Kamala Harris sich nach wie vor hinter Joe Biden stellt. t-online: Mister Morain, das politische Amerika ist aufgeregt. Die Vizepräsidentin Kamala Harris wird plötzlich als Ersatzkandidatin für Joe Biden gehandelt. Dabei waren ihre Umfragewerte jahrelang miserabel. Finden Sie das nicht überraschend? Dan Morain: Nun, also zuerst einmal bin ich überhaupt nicht davon überzeugt, dass Präsident Biden wirklich zurücktreten wird. Ich denke vielmehr, dass Kamala Harris seine stärkste Unterstützerin sein wird. Dass sie jetzt so im Gespräch ist, das ist gar nicht überraschend. Als Vizepräsidentin stellt sie sich schützend vor Joe Biden. Das gehört zu ihrer Rolle. Sie kann schließlich nicht als Königsmörderin auftreten. Das ist korrekt. Sie zeigt Loyalität, was meiner Meinung nach eine sehr gute Eigenschaft ist. Joe Biden hat Kamala Harris einst ausgewählt, weil er damit rechnen musste, dass sie jederzeit seine Nachfolgerin sein könnte – wenn es dazu kommt, dass seine Gesundheit es ihm nicht mehr erlaubt, weiterzumachen oder aus irgendeinem anderen Grund. Sie ist seine ganz klare Nachfolgerin. Sie ist die Vizepräsidenten. Darum ist es, wie gesagt, nicht überraschend, dass sie und wie sie jetzt ins Gespräch gebracht wird. Immer mehr Demokraten attackieren Joe Biden und fordern seinen Rückzug. Denken Sie, das hilft ihm am Ende, weil er sich als Kämpfer beweisen kann? Nein, es ist überhaupt nicht gut für Joe Biden, dass Mitglieder des Kongresses ihn auffordern, zurückzutreten. Das kommt jetzt so tröpfchenweise. Aber das ist nachvollziehbar. Die Leute sind besorgt, weil sie, wie wir alle, seine Debattenleistung gesehen haben. Und die war einfach ziemlich schlecht. Trotzdem glaube ich nicht, dass er seine Kandidatur zurückziehen wird. Das Team Biden/Harris wirkt extrem geschwächt. Sie galt zwischenzeitlich als die unbeliebteste Vizepräsidentin in der Geschichte Amerikas . Jetzt überholt sie den n och unbeliebteren Joe Biden in einigen Umfragen. Glauben Sie wirklich, dass sie geeignet ist, geschweige denn ein Ersatz für ihn sein könnte? Kamala Harris wurde schon zu Beginn ihrer Amtsperiode öffentlich schlecht gemacht. Sie wurde verhöhnt und abgelehnt. Daran besteht kein Zweifel. Washingtoner Experten sahen sie als nicht geeignet an für größere Aufgaben. Sie wurde als politisches Leichtgewicht angesehen. Sie haben Harris viele Jahre in Kalifornien beobachtet und schließlich ihre Biografie geschrieben. Wurde sie nicht vielleicht überschätzt? Man kann kein politisches Leichtgewicht sein, wenn man dreimal in Kalifornien landesweit antritt und dann auch noch dreimal landesweit in Kalifornien gewinnt. Sie kommt aus San Francisco . Das ist eine Stadt mit einem sehr rauen politischen Pflaster. Trotzdem ist sie dort aufgestiegen. Sagen wir es so: Es ist nicht überraschend, dass sie noch immer unterschätzt wird. Dabei ist sie keine leichte Gegnerin. Viele, die sie als Leichtgewicht betrachtet haben, waren am Ende die Verlierer. Sie hat sie alle besiegt. Es gab und gibt Berichte, dass Kamala Harris den Aufgaben, die ihr als Vizepräsidentin anvertraut wurden, nicht gewachsen war. Weder konnte sie bei Verhandlungen mit dem Senat viel erreichen, noch hat sie die Migrationskrise an der amerikanischen Südgrenze in den Griff bekommen. Was ich über Kamala Harris weiß, ist, dass sie inzwischen Themen bearbeitet, die eindeutig zu ihren Stärken gehören. Sie arbeitet zu Frauenrechten, zu Abtreibung und zu Gesundheitsthemen. In Kalifornien war sie mit diesen Dingen auch als Generalstaatsanwältin schon befasst. Sie hat Themen ins Weiße Haus gebracht wie die Müttersterblichkeitsraten, insbesondere bei afroamerikanischen Frauen. Das verschafft ihr eine enorm positive Aufmerksamkeit, auch bei Wählerinnen und Wählern. Ihre Qualitäten als Staatsanwältin machten Kamala Harris einst auch als Senatorin bei ihren harten Befragungen im Kongress bekannt. Als Staatsanwältin muss man ein gutes und selbstbewusstes Auftreten haben. Sie musste viele Menschen wegen schwerer Verbrechen für lange Zeit ins Gefängnis schicken. Es ging um häusliche Gewalt, um Mord und Raub. Sie ist gut positioniert, um einen Wahlkampf gegen Donald Trump zu führen, der ein verurteilter Verbrecher ist. Das ist genau ihr Gebiet. Was sehen Sie außerdem als ihre Stärken an? Sie kann extrem gut diskutieren und attackieren. Ich hab mal eine Debatte im Jahr 2010 mit ihr moderiert, als sie zum ersten Mal für das Amt der Generalstaatsanwältin von Kalifornien kandidierte. Auch gegen den Vizepräsidenten Mike Pence hat sie 2021 gewonnen. Sie ist ungeheuer schnell im Denken. Wenn sie einen Raum betritt, kann sie die Menschen sofort für sich gewinnen. Sie hat ein extrem gewinnendes Lächeln, ein Millionen-Dollar-Lächeln. Sie ist sehr schlau, sehr fleißig und arbeitet sich in Inhalte akribisch ein. Trotzdem musste sie im Kandidatenrennen 2020 ihre Präsidentschaftspläne aufgeben und stieg sehr früh aus. Die Realität ist, dass die meisten Menschen, die für das Präsidentenamt kandidieren, nicht gut abschneiden. Fast alle scheitern. Auch Joe Biden scheiterte oft, bis er schließlich Präsident wurde. Es ist wirklich schwer, Präsident zu werden. Darum haben wir bislang auch nur 46 Präsidenten gehabt. All das bedeutet aber nicht, dass sie es 2028 nicht schaffen kann – oder sogar schon 2024, sollte Biden sich doch zurückziehen. Angenommen, Joe Biden tritt doch noch zurück. Ist wirklich so klar, dass sie dann die Kandidatin der Demokraten wird? Es könnte auch Chaos ausbrechen, weil andere Kandidaten versuchen, sie beiseitezuschieben. Ich denke, es wäre sehr schwierig für anderen Demokraten, nominiert zu werden, sollte Biden zurücktreten. Wenn er zurücktritt, wird sie die Spitzenkandidatin. Sie hat die Unterstützung des ganzen Apparats, der demokratischen Partei und dann wohl auch von Biden. Einige sehen Amerika noch immer nicht als reif an für eine schwarze Frau als Präsidentin. Könnten Machismus und Rassismus ihre Wahl möglicherweise verhindern? Oder wäre sie sogar in der Lage, wie Obama eine atemberaubende Dynamik zu entfalten? Es gibt nur einen Obama. Kamala Harris ist nicht Obama. Aber ich denke auch, dass Donald Trump als Gegner am besten geeignet ist, um Stimmen für die Demokraten zu organisieren. Sicherlich wird es Menschen geben, die nicht für Kamala Harris stimmen werden, weil sie eine Frau ist, weil sie schwarz ist, weil sie einen südasiatischen Namen trägt. Aber würden diese Leute überhaupt für einen Demokraten stimmen? Ich glaube nicht. Sie wird jedoch seit Jahren und jetzt noch härter als bislang attackiert. Im Internet kursieren zahlreiche Videos, in denen sie lächerlich gemacht wird, weil ihre Reden so flach und inhaltsleer sind. Kamala Harris hat Fehler gemacht. Ihr Wortsalat gehört auf jeden Fall dazu. Gleich zu Beginn ihrer Amtszeit gab sie ein furchtbares Fernsehinterview. Aber sie lernt dazu. Bevor sie sich äußert, will sie sich ihrer Sache sicher sein. Manchmal vielleicht sogar zu sicher. Darum klingt das vielleicht manchmal etwas nichtssagend oder oberflächlich. Der Job als Vizepräsidentin ist aber auch wahnsinnig hart. Man ist unter Dauerbeobachtung und gleichzeitig komplett unfrei. Der Boss ist nun mal der Präsident. Aber mein Eindruck ist, dass sie das inzwischen deutlich besser macht. Sie kann unglaublich stark auftreten. Das hat sie mehrfach bewiesen. Donald Trump und die Republikaner arbeiten sich bereits genüsslich an ihr ab. Das tun Politiker nun mal. Sie gehen auf Menschen los, die sie für eine ernsthafte Gefahr halten. Schon als sie 2010 zum ersten Mal für das Amt der Generalstaatsanwältin kandidierte, gelang das aber nicht. Eine republikanische Organisation namens "Republican State Leadership Committee" hatte damals mehr als eine Million Dollar ausgegeben, um sie zu besiegen. Man wusste, dass sie ein aufgehender politischer Stern war, jemand, der einmal auf der nationalen Bühne stehen könnte. Also wollte man sie erledigen, bevor sie Erfolg haben konnte. Ich habe keinen Zweifel, dass Kamala Harris für das Präsidentenamt kandidieren wird. Sei es 2024, 2028 oder 2032. Ob sie gewinnt, ist eine ganz andere Frage. Die Demografie wird wahrscheinlich eher im Jahr 2028 oder 2032 auf ihrer Seite stehen, wenn immer mehr Babyboomer sterben. Die Demokratische Partei wirkt unentschieden. Immer mehr hochrangige Politiker wagen sich aus der Deckung und fordern den Rückzug von Joe Biden. Die Demokraten befinden sich derzeit in einer wirklich schwierigen Position. Wenn ich jetzt wetten würde, würde ich wetten, dass Trump die Wahl gewinnt. Aber es sind auch noch einige Monate bis zur Wahl. Könnte Kamala Harris Donald Trump schlagen? Ja, sie könnte Trump schlagen. Könnte Trump sie schlagen? Ja, Trump könnte sie schlagen. Genauso aber könnte Trump aber Biden besiegen und Biden könnte am Ende auch Trump besiegen.

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