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Pogačar gewinnt Tour de France: Der freundliche Kannibale

Mit 25 Jahren holt Tadej Pogačar seinen dritten Tour-Sieg – und dominiert auf spektakuläre Weise. Das ist nicht die einzige Parallele zum "Kannibalen" Eddy Merckx. Aus Nizza berichtet Alexander Kohne. Irgendwann wusste Tadej Pogačar wohl selbst nicht mehr, was er da genau bejubelte und warum er erneut ganz oben auf dem Podium stand. Bei der knapp 40-minütigen Siegerzeremonie der Tour de France am Sonntag in Nizza wurde der 25-jährige Slowene allein siebenmal aufs Treppchen gehoben. Neben dem Tagessieg im Zeitfahren ( Lesen Sie hier alles zur 21. Etappe der Tour ) oder dem Gewinn der Mannschaftswertung mit seinem Team UAE war dabei natürlich vor allem der Gewinn der Gesamtwertung wichtig – symbolisiert durch das Gelbe Trikot, das er sich mit über sechs Minuten Vorsprung vor Jonas Vingegaard aus Dänemark sicherte. Offensive Fahrweise und maximaler Siegeswille Mit erst 25 Jahren hat Pogačar das prestigeträchtigste Radrennen weltweit bereits zum dritten Mal gewonnen – so erfolgreich war in diesem Alter niemand zuvor. Doch besonders aufgrund der Art und Weise drängen sich dieser Tage Parallelen zum größten Radrennfahrer überhaupt auf: zu Eddy Merckx. Dieser wurde zu seiner aktiven Zeit der "Kannibale" genannt, weil sein Siegeshunger fast keine Grenzen kannte. Das ist bei Pogačar ähnlich: Allein sechs der 21. Teilstücke der Tour 2024 entschied er für sich – bei einem dreiwöchigen Rennen ein beinahe surrealer Wert. Tour de France: Alle Etappen in der Übersicht "Das war die erste große Rundfahrt, bei der ich wirklich jeden Tag völlig überzeugt und total selbstsicher war", sagte Pogačar im Ziel, schloss danach aber gänzlich unkannibalische Bemerkungen an: einen expliziten Dank an seine Teamkollegen sowie ein Lob für Vingegaard und den drittplatzierten Remco Evenepoel. Und zwar mehrfach. Wegen solcher Gesten gilt Pogačar trotz seines immensen Erfolgs als Sympathieträger. Besonders sichtbar wurde das bei der eingangs erwähnten Zeremonie auf dem pittoresken Place Masséna. Statt sich selbst in den Mittelpunkt zu stellen, versuchte Pogačar, auch andere glänzen zu lassen. Bei der Mannschaftsehrung ließ das UAE-Team vor allem dank seiner tatkräftigen Hilfe den britischen Routinier Adam Yates hochleben. Und beim finalen Jubelfoto mit allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern drängte sich Pogačar keineswegs ins Zentrum, sondern saß mit baumelnden Füßen in der linken unteren Bildecke. Dennoch gilt er als extrovertierter Fahrer, der mit den Fans bei jeder sich bietenden Gelegenheit interagiert und äußerst beliebt ist. Ähnlich war es bei Merckx, der abseits der Rennen eher als Kumpeltyp denn Kannibale galt. Mit Bauchgefühl ins Gelbe Trikot Pogačar mag das Rampenlicht – und zwar nicht nur neben, sondern vor allem auch im Rennen. Dort ist er ein echter Instinktfahrer. Ein Springinsfeld, der trotz taktischer Zwänge allzu oft auf seinen Bauch hört. Anders als sein großer Rivale Vingegaard, der meistens taktisch überlegt und kontrolliert fährt, verlässt sich Pogačar immer wieder auf sein Gefühl – was für einen Klassementfahrer zu teilweise abstrusen Aktionen führt. Statt Kräfte zu sparen, ging er bei dieser Tour immer wieder aus dem Sattel und nutzte seine Antrittskraft am Berg für spontane Attacken – auch, wenn diese eigentlich aussichtslos erschienen. Einmal warf er sich auf einem flacheren Teilstück sogar in den Sprint der schnellsten Fahrer und landete in den Top 10. Außerdem greift Pogačar zu, wenn die Chance für einen Sieg da ist – und ruft damit teilweise Kopfschütteln bei den Kollegen hervor. Bei dieser Tour schnappte er mehrfach lange führenden Fahrern auf den letzten Kilometern den sicher geglaubten Erfolg weg. Tour-Eklat: Zuschauer bewirft Fahrer mit Chips Pogačar selbst verstand die Aufregung darum nicht. Er wolle auf dem Rad einfach "Spaß haben" und als Profi sei es nun einmal "sein Job", Rennen zu gewinnen. Bei dieser Sichtweise wundert es kaum, dass Pogačar mit 25 Jahren schon bei 17 Tour-Etappensiegen liegt. Ex-Profi und ARD-Experte Fabian Wegmann traut dem in Monaco wohnenden Slowenen sogar zu, den vor zwei Wochen aufgestellten Fabelrekord von Mark Cavendish zu knacken. Und der ist wohlgemerkt Sprinter. Cavendish hatte sich mit 39 Jahren noch einmal zur Tour gequält und etwas überraschend seinen 35. Tagessieg geholt – was ihn zugleich zum alleinigen Rekordhalter vor Eddy Merckx (34 Etappensiege) machte. Kohlenmonoxid-Doping bei Tour? "Atmen nicht jeden Tag am Auspuff eines Autos" Von solchen Zahlen will Pogačar selbst nichts wissen – noch nicht: "Ich sehe mich jetzt noch nicht gerne in irgendwelchen Rekordlisten. Vielleicht ist das in 20 bis 30 Jahren aber anders", sagte er bei der Pressekonferenz nach dem Tour-Coup. Dort wurde er auch auf das Thema Doping angesprochen. Denn Pogačars Fabelleistungen werfen natürlich Fragen auf. Er beteuert seit Jahren, mit Doping nichts zu tun zu haben. "Ich kann nur sagen, dass es das absolut nicht wert ist, wenn man seine Gesundheit riskiert", so Pogačar. "Es wäre sehr dumm, das wegzuschmeißen und sein Leben zu riskieren. Das ist nur Sport. Natürlich macht es Spaß und man will gewinnen, aber es ist nicht das Wichtigste." Ebenso wie Rekorde. Aktuell wolle er einfach den Moment genießen und "auch, wenn ich niemals mehr zur Tour zurückkehren würde, wäre ich zufrieden".

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