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Deutsche Umwelthilfe gewinnt gegen Ampelregierung vor Gericht

Es ist eine empfindliche Pleite für die Bundesregierung: Sie muss ihren Plan für saubere Luft nachbessern. Schuld ist ein Gegner, der ihr ständig Niederlagen beibringt. Die Ampelregierung hat einen Angstgegner: die Deutsche Umwelthilfe (DUH). Schon fünf Mal in diesem Jahr standen sich beide Parteien vor Gericht gegenüber. Jedes Mal hieß der Sieger DUH. Immer wieder verklagt die Organisation die Bundesregierung und bekommt stets Recht. Passiert ist dennoch nahezu nichts. Die jüngste Niederlage ist noch frisch. Am Dienstag entschied das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg, dass die Regierung beim Nationalen Luftreinhalteprogramm nachbessern muss. Es sei nicht erkennbar, dass Deutschland die EU-Vorgaben für Schadstoffe in der Luft einhalte. Das Programm für die Reduzierung sei fehlerhaft. Für Jürgen Resch ist das unverständlich. Allein, dass die DUH die Regierung verklagen muss, schockiert den Bundesgeschäftsführer der Organisation. "Es ist komplett irre, dass wir der Bundesregierung mit Zwangsvollstreckung drohen müssen, damit sie die Gesetze einhält. Sie sollte doch die Hüterin der Gesetze sein", sagt er t-online. Und dennoch zieht er regelmäßig vor Gericht – auch wegen viel "heißer Luft" vonseiten der Bundesregierung, wie er selbst sagt. Über 100 Verfahren, keine Niederlage Resch und seine Organisation haben nicht nur die Bundesregierung verklagt, sondern auch Kommunen, Länder und Unternehmen. Teilweise bis vor den Europäischen Gerichtshof. Über 100 Verfahren zur Luftreinheit habe er nach eigener Aussage hinter sich – und dabei kein Mal verloren. "Ich wurde neulich gefragt: 'Wollen Sie bei einer Niederlage in Revision gehen?' Da dachte ich nur: Das kenne ich gar nicht", berichtet Resch. Allerdings musste die DUH ihre Klage gegen den Luftreinhalteplan der Stadt Kiel 2022 fallen lassen. Zunächst hatte das schleswig-holsteinischen Oberverwaltungsgericht dem Umweltverband recht gegeben, die Revision hob das Urteil aber auf. Doch es geht ihm nicht nur ums Gewinnen, sein Kampf hat ernste Hintergründe. In Deutschland sterben laut der EU-Umweltagentur EEA jährlich knapp 28.000 Menschen vorzeitig aufgrund von Stickstoffdioxid und gar 68.000 aufgrund von Feinstaub. Und die Bundesregierung tue zu wenig dagegen. Seit 2005 hält die Regierung die von der EU vorgegebenen Werte für die Luftqualität nicht ein. Deshalb klagte die DUH 2020 gegen das im Vorjahr beschlossene Luftreinhalteprogramm. "Der Plan bestand aus heißer Luft", kritisiert Resch. Berechnungen seien falsch gewesen. So könnten die Ziele für Stickstoffoxide, Feinstaub und Ammoniak nicht eingehalten werden. Falsche Zahlen, falsche Annahmen Wegen einer Umbesetzung am Gericht, der Corona-Pandemie und Krankheiten verschleppte sich der Prozess bis in dieses Jahr. Kurz zuvor hatte die Regierung ein überarbeitetes Programm veröffentlicht, alte Fehler korrigiert – aber offenbar längst nicht alle. "Ich habe mir das Werk angeschaut und war fassungslos. Der Lug und Trug geht weiter", meint Resch. So basiere der Plan auf veralteten Zahlen von 2021. Außerdem sei die Bundesregierung beim Thema Kohleverstromung noch davon ausgegangen, dass bis Ende 2029 alle Kohlekraftwerke vom Netz gehen würden. Tatsächlich ist dies erst für 2038 beschlossen. Bezüglich des Verkehrs liege ein Prognosefehler vor, weil nicht berücksichtigt wurde, dass die staatliche Förderung für den Kauf von Elektrofahrzeugen zwischenzeitlich gestoppt wurde. Resch und die DUH bekamen Recht, mal wieder. Das Programm muss nachgebessert werden. "Dem Luftreinhalteprogramm kommt eine wichtige Steuerung zu", betonte Richterin Ariane Holle. Die Bemühungen dürften nicht eingestellt werden. Die Regierung ist nun theoretisch verpflichtet, das Programm anzupassen, kann aber noch Revision einlegen. Davon hatte sie bei vergangenen Urteilen schon Gebrauch gemacht, etwa bei der geforderten Nachschärfung beim Klimaschutzprogramm. Das Bundesumweltministerium kündigte an, das Urteil "umfassend" zu prüfen, sobald es schriftlich vorliegt. Eine Sprecherin betonte, die DUH-Klage sei nur zum Teil erfolgreich gewesen. Die Organisation hatte juristisch erzwingen wollen, dass eine jährliche Reduktion von Schadstoffen festgeschrieben wird. Dazu verpflichtete das Gericht die Bundesregierung jedoch nicht. Resch hofft auf ein Umdenken Resch hofft, dass bei den Ampelparteien nun ein Umdenken stattfindet – zumindest bei einer. Denn werde in der Revision das Urteil bestätigt, könne die DUH mit einem Gerichtsvollzieher und engen Fristen die Regierung zum Handeln zwingen. Die Rolle des Gerichtsvollziehers würde in dem Fall der zuständige Senat des Oberverwaltungsgerichtes übernehmen und der Regierung bei Nichteinhaltung Strafen auferlegen oder womöglich Verantwortliche in Personenhaft nehmen. Das will auch Resch nicht, es wäre "Wahnsinn". Daher warnt er die Regierung: "Die Ampel muss sich überlegen, ob sie kurz vor der nächsten Bundestagswahl noch einmal geprügelt werden will." So appelliert er an den gesunden Menschenverstand der Politiker und hofft, dass sich eine der Parteien gegen eine erneute Revision stellt und den Weg frei für eine Umsetzung macht. Er sei bereits in Gesprächen mit den zuständigen Ministerien für Verkehr, Umwelt, Wohnen und Wirtschaft und habe Hoffnung, dass er dort etwas bewegen könne. Die DUH hat dabei hauptsächlich zwei wesentliche Forderungen an die Politik, um den Plan anzupassen: die Nachrüstung von acht Millionen Dieselfahrzeugen, die noch immer mit unzulässigen Abschalteinrichtungen unterwegs sind – oder deren Stilllegung – und ein Tempolimit von 100 km/h auf Autobahnen und 80 km/h auf Landstraßen. Die FDP-Fraktion im Bundestag erteilte dem eine Absage. "Forderungen wie Fahrverbote sind umweltpolitische Maßnahmen auf dem Rücken der Bevölkerung und wird es mit den Freien Demokraten in der Bundesregierung nicht geben", sagte Fraktionsvize Carina Konrad. "Ich habe meine Zweifel, ob ein Tempolimit viel bringt" Thomas Puls sieht diese Maßnahmen ebenfalls nicht als unmittelbare Lösung. Der Senior-Ökonom für Verkehr und Infrastruktur beim Institut der Deutschen Wirtschaft (IW) in Köln sagt t-online: "Ich habe meine Zweifel, ob ein Tempolimit viel bringt. Eigentlich sollte eine Abgasanlage die Grenzwerte auch bei höherer Geschwindigkeit einhalten können. Da sehe ich den Zusammenhang als eher schwach an." Eine Elektrifizierung des Straßenverkehrs sei deutlich zielführender. Die Regierung müsse über eine Neuauflage der Elektroförderung nachdenken. Zudem liege die Konzentration zu sehr auf dem Straßenverkehr , dabei ist der lediglich für die Stickoxide verantwortlich. Ammoniak entsteht zu 94 Prozent in der Landwirtschaft, Feinstaub kommt insbesondere aus der Energiegewinnung und der Industrie. Für diese Bereiche müssten nun Lösungen her. Zwar fordert die DUH auch die Reduktion der Tierzahlen in der Massentierhaltung und die Filterpflicht für Baumaschinen und Holzheizungen, konzentriert sich primär aber auf den Verkehrsbereich. Wie die Ziele letztlich umgesetzt werden, dürfte für die Deutsche Umwelthilfe und Jürgen Resch aber egal sein. Hauptsache, es tut sich etwas. Dann wäre ein weiterer Sieg vor Gericht gar nicht mehr nötig.

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