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SPD in der Krise: Scholz sollte es wie Biden machen und weichen

Die US-Demokraten bekommen nach Joe Bidens Rückzug im Wahlkampf eine zweite Luft. Das könnte die SPD auch gut gebrauchen. Aber kann Scholz loslassen? Präsidentenbonus, Kanzlerbonus, Amtsbonus, das sagt und schreibt sich immer so leicht dahin. Ist ja auch nicht falsch, aber eben auch kein Automatismus. Nehmen wir den amerikanischen Präsidenten. Man konnte die US-Demokraten bis diesseits des Atlantiks aufatmen hören, als Biden endlich und erlösend von seinem Vorhaben Abschied nahm, wieder als Kandidat fürs Weiße Haus anzutreten. Der darf jetzt Altbauer mit Restlaufzeit im Austragshäusl bleiben, während Kamala Harris in den verbleibenden Monaten die Restchancen gegen Donald Trump wahrnehmen wird. Ich weiß es nicht gewiss, aber ich kann mir gut vorstellen, dass die deutschen Sozialdemokraten in diesen Tagen etwas neidisch auf ihre Parteifreunde in den USA blicken. Die Sache liegt hier zwar ein bisschen anders. Bundeskanzler Olaf Scholz lässt keine Zweifel an seiner physischen und mentalen Fitness aufkommen. Eben erst ist er in Bergstiefeln und Jeans mit Mulis einer Gebirgsjägereinheit der Bundeswehr auf eine Alm gelaufen. Und er bringt auch jeden Satz ebenso sauber wie fehler- und weitgehend substanzfrei über die Lippen. Allerdings hat er Defizite in einem anderen Bereich. Er liefert nicht. Die Performance seiner Ampelkoalition erscheint vielen Wählerinnen und Wählern als, nun ja, gelinde gesagt verbesserungsfähig. Die Ampel schaltet nicht sauber, sie flackert wie ein Stroboskop in ihren drei Farben. Das führt zu desaströsen Wahlergebnissen der Sozialdemokraten. Bei der jüngsten Wahl zum Europaparlament hat die SPD mit 13, 9 Prozent ihr schlechtestes Ergebnis seit Menschengedenken eingefahren. Irgendwo zwischen Respekt und Fassungslosigkeit oszilliere ich persönlich, wenn Scholz vor diesem Hintergrund eine Sommer-Pressekonferenz abhält und sich dabei völlig unbeeindruckt von der fast aussichtslosen Lage zeigt, in der er sich in Wahrheit befindet. Und eine entsprechende Frage nach einer Parallele zu Biden einfach wegwedelt. Wie die Wetterfassade der Bauernhäuser im Jura Aber das ist nur die Frontfassade, so grau, starr und wetterfest wie die Zinkplatten der Bergbauernhäuser im Jura-Gebirgszug auf der Sturmseite Richtung Westen. Dahinter ist alles schon morsch und morbide. Trifft man Politiker aus den Reihen der Sozialdemokratie, die man schon ein bisschen länger kennt und die daher offen reden, dann stellt man fest, dass viele ihr Leben in eines vor dem Herbst 2025 und eines danach einteilen. Einer aktuellen Forsa-Umfrage zufolge findet lediglich ein Drittel der SPD-Mitglieder, dass Bundeskanzler Olaf Scholz bei der Bundestagswahl 2025 wieder Kanzlerkandidat der Partei werden sollte. 67 Prozent der Befragten äußerten die Meinung, dass die SPD mit einem anderen Kanzlerkandidaten eine bessere Chance hätte, ein gutes Ergebnis zu erzielen. Ein Drittel der SPD-Mitglieder glaubt demnach, dass die Partei mit Verteidigungsminister Boris Pistorius besser fahren würde. Gerhard Schröder und Olaf Scholz verbindet vom Naturell her wenig bis nichts, aber beide sind beziehungsweise waren SPD-Kanzler dieser Republik. Und beide stehen beziehungsweise standen an einem Punkt ihrer Kanzlerschaft vor einem Abgrund. Bei Schröder waren das 2005 die Landtagswahlen in Nordrhein-Westfalen, dem Mutterland der deutschen Sozialdemokratie. In Scharen waren Schröder da wegen seiner Agenda 2010 (für die er trotz aller späterer Irrungen auf ewig gepriesen sei) die Stammwähler davongelaufen. Schröder, Impulsmensch, der er immer war, führte vorgezogene Neuwahlen herbei, die er aus aussichtsloser Position mit einem fulminanten Wahlkampf beinahe noch gewonnen hätte. Was für Schröder der Mai 2005 war, wird für Scholz der September 2024. Bei den drei Landtagswahlen könnte die SPD im schlimmsten Fall aus zwei Landtagen herausfliegen (Sachsen und Thüringen) und einen ihrer wenigen verbliebenen Ministerpräsidenten verlieren (Brandenburg). Doch auch jenseits dieses denkbar schlimmsten Szenarios wartet auf die SPD im Herbst auf keinen Fall die Erlösung oder gar die Wende, das kann man gefahrlos jetzt schon sagen. Der letzte große Dienst Wenn Scholz seiner Partei und seinen Parteifreunden einen letzten Gefallen tun möchte in der Lage, dann sollte er sein Amt an den Bundesverteidigungsminister abgeben, damit dieser die letzten Chancen der SPD auf einen Wahlsieg im Herbst kommenden Jahres wahren kann. Oder bei einem achtbaren Ergebnis vielleicht erhobenen Hauptes als Partner und Vizekanzler in eine Große Koalition unter einem Kanzler Friedrich Merz einziehen. Diese Variante ohne vorgezogene Neuwahlen (die Koalitionspartner müssten mitmachen, das ist die scharfe Kante bei diesem Vorgehen) sicherte dem aussichtsreichsten SPD-Politiker eine Pole-Position, in die er sonst nicht käme. Im Falle einer Wahlniederlage im Herbst mit Scholz würde der ambitionierte SPD-Chef Lars Klingbeil diese Position für sich beanspruchen und hätte dafür auch den größeren Rückhalt innerhalb der Partei als der Publikumsliebling Pistorius. Der SPD eine Restchance sichern und den über die SPD-Stammklientel hinaus schwer verkäuflichen Klingbeil verhindern: Das wären zwei Dienste, die Olaf Scholz seiner Partei mit dem Opfer seiner selbst erweisen könnte. Weil das einherginge mit dem Geständnis einer gescheiterten Kanzlerschaft innerhalb von nur drei Jahren (Schröder regierte seinerzeit schon sieben), wird er das mit einiger Sicherheit nicht tun. Richtig wäre es trotzdem.

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