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Streit um US-Raketen in Deutschland: Pistorius erklärt Debatte für faktisch beendet

Mit Unverständnis reagiert Verteidigungsminister Boris Pistorius auf kritische Stimmen aus seiner eigenen Partei, die sich gegen die Pläne für eine erneute Stationierung von US-Mittelstreckenwaffen in Deutschland aussprechen.

Konkret geht es um die Stationierung von "Tomahawk"-Marschflugkörpern (Reichweite bis zu 2.500 Kilometer), sogenannten "Standard Missile-6" (SM-6/Reichweite über 1.600 Kilometer) sowie die noch in Entwicklung befindlichen Hyperschallraketen "Dark Eagle" (Reichweite 3.000 Kilometer). Die mit atomaren Sprengköpfen ausrüstbaren Systeme hätten eine "deutlich weitere Reichweite als gegenwärtige landgestützte Systeme in Europa", hieß es in einer gemeinsamen Erklärung von Washington und Berlin – und könnten auch Moskau erreichen.

"Ich will sehr deutlich sagen, dass diese Raketen, um die es hier geht, die 2026 in Deutschland stationiert werden sollen von den Amerikanern, zum einen konventionelle Waffen sind und keine nuklearen", sagte Pistorius am Mittwoch laut dem Spiegel bei einem Truppenbesuch auf der US-Pazifikinsel Hawaii. Aus seiner Sicht sei dies ein sehr wichtiger Punkt "zur Beruhigung all derer, die sich hier Sorgen machen".

Der Sozialdemokrat will damit Befürchtungen auch innerhalb seiner Partei entkräften, die in den Plänen den Einstieg in ein neues atomares Wettrüsten mit Russland sehen. Das sei aber nicht zu erwarten, glaubt der Verteidigungsminister, da mit der Stationierung der US-Mittelstreckenraketen lediglich "eine echte Fähigkeitslücke, die wir seit mindestens zehn Jahren haben", geschlossen werde. Dabei gehe es vor allem um Abschreckung: "Ein eventueller Angriff auf NATO-Gebiet hätte für Russland einen so hohen Preis, dass das Risiko nicht mehr kalkulierbar wäre", so Pistorius.   

Um Kritiker zu entkräften: Pistorius verdreht die Tatsachen

Russland verfüge schon seit längerem über Waffen ähnlicher Reichweite, die nah am NATO-Gebiet stationiert seien, behauptet Pistorius wider den Tatsachen – denn Russland besitzt keine vergleichbaren bodengestützten Mittelstreckenraketen. 

Der 1987 zwischen den USA und der damaligen Sowjetunion unterzeichnete INF-Vertrag verbot die Produktion, Neuentwicklung und Tests an landgestützten Waffensystemen mit einer Reichweite zwischen 500 und 5.500 Kilometern. Und obwohl Washington diesen im Jahr 2019 einseitig aufkündigte, hielt sich Moskau dennoch weiterhin an den selbst auferlegten Verzicht bezüglich der Entwicklung solcher Waffensysteme. 

Doch damit dürfte es jetzt wohl vorbei sein. In Reaktion auf die Pläne zur Stationierung der US-Raketen in Deutschland kündigte der russische Präsident Wladimir Putin an, dass Moskau sich nicht länger an das selbstauferlegte Moratorium halten werde.

Pistorius zeigt sich offen für Debatte – und erklärt diese für beendet

Bei der Stationierung der US-Mittelstreckenraketen gehe es darum, zu beweisen, dass man bereit sei, die eigene Freiheit zu verteidigen, so Pistorius auf Hawaii. "Das macht man nicht, indem man so weiter macht, wie in den letzten zehn Jahren." Diese Aussage dürfte Parteigenossen wie Rolf Mützenich gewidmet sein, der die Stationierungspläne vehement kritisiert hatte.

Die Gefahr einer unbeabsichtigten Eskalation steige durch die Stationierung "beträchtlich", warnte der SPD-Bundestagsfraktionschef auch mit Verweis auf die kurze Vorwarnzeit der Raketen. Auch ohne die neuen Systeme verfüge die NATO laut Mützenich über eine umfassende, abgestufte Abschreckungsfähigkeit: "Mir erschließt sich auch nicht, warum allein Deutschland derartige Systeme stationieren soll. Unter Lastenteilung habe ich bisher etwas anderes verstanden."

Statt weitere Waffen in Deutschland zu stationieren, mahnte Mützenich, solle die Bundesregierung auf neue Abrüstungsabkommen mit Russland setzen.

Auch andere Sozialdemokraten kritisieren die Art und Weise des Prozedere. Denn viele fühlen sich von der Stationierungs-Entscheidung überrumpelt, die am 10. Juli im Rahmen des NATO-Gipfels ohne vorherige Unterrichtung des Kabinetts oder des Parlaments verkündet wurde. 

"Das jetzt mal eben so nebenbei zu machen, ohne es groß zu begründen, ist keine gute Sache", sagte etwa der Bundestagsabgeordnete Ralf Stegner. Er fordert, dass die Entscheidung in der SPD, aber auch im Bundestag breit diskutiert werden müsse. 

Ähnlich äußerte sich Grünen-Chefin Ricarda Lang: "Es wäre gut gewesen, wenn Olaf Scholz als Bundeskanzler die Chance genutzt hätte, diese Entscheidung transparent der Bevölkerung zu kommunizieren und die Beweggründe offenzulegen", sagte Lang am Mittwoch den Sendern RTL und ntv

Sie sieht den Bundeskanzler in der Pflicht, die Unterstützung der Bevölkerung für die Stationierung der US-Raketen zu gewinnen. Denn laut einer Ende Juli durchgeführten Meinungsumfrage spricht sich eine relative Mehrheit der Deutschen gegen die Pläne aus.

Diesem Dilemma müssen man mit offener Kommunikation entgegentreten, so Lang, die gänzlich unironisch hinzufügte: "Wir als Grüne sind eine Friedenspartei und wir werden das auch immer bleiben. Dabei ist aber für uns klar: Frieden darf nicht bedeuten, dass sich ein Aggressor einfach durchsetzt, die Friedensordnung angreift und damit durchkommt." 

Auch Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer übt deutliche Kritik am Agieren der Bundesregierung: "Das wirklich Mindeste, was man bei dem Thema Waffen sehen muss, ist, dass die Bevölkerung informiert wird, dass wir darüber sprechen, dass es einen breiten Diskurs gibt. Ja, ich stehe zu einem Raketenabwehrschirm für Europa. Aber das einfach zu machen und nicht zu reden, im Gegenteil, solche Worte wie 'kriegstüchtig' zu verwenden, das sorgt dann für Fragen, sorgt für Kritik, sorgt für Unsicherheit und wahrscheinlich auch für falsche Gedanken", so der CDU-Politiker gegenüber den Sendern RTL und ntv

"Diese Politik par ordre du mufti und wir machen das einfach, das geht so nicht", fügte Kretschmer hinzu. Dass das doch geht, machte Pistorius am Rande des Truppenbesuchs auf Hawaii deutlich. 

Zwar zeigte er sich offen für eine Debatte über die Stationierungspläne im Bundestag. Zugleich machte der Verteidigungsminister aber klar, dass es sich dabei nur um eine Scheindebatte handeln kann. Denn bei den Plänen zur Stationierung von US-Waffen mit langer Reichweite auf deutschem Boden handele sich um eine "Exekutiv-Entscheidung" der Bundesregierung, die man in Abstimmung mit den Amerikanern getroffen habe, so Pistorius. 

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