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Borussia zeigt Resilienz - der VAR leider auch

Beginnen wir mit einer Hommage an ein Tor: Borussias Ausgleich zum 2:2 durch Tim Kleindienst nach Vorlage Kevin Stögers. Dieser Treffer, nicht nur wichtig und Auslöser der ersten lautstarken Ekstase in dieser Saison, hatte in seiner Einfachheit und Klarheit in der Ausführung so viel Schönes, ja, fast schon Befreiendes inne. Zugleich war es Zeugnis von Zielstrebigkeit und Willen einer Mannschaft, die vergessen geglaubte Resilienz an den Tage legte. In diesem Moment schien so vieles gut zu sein: die Wohltat, beide - Stöger wie Kleindienst - im Kader zu haben, sowie die Hoffnung auf etwas, das Borussia in dieser Saison anders machen wird als zuletzt. Nichts anders scheint jedoch der VAR zu machen, der an diesem Freitagabend für viel Kopfschütteln und Frust sorgte.

Kleindiensts Ausgleich war aus Borussen-Sicht das Highlight eines spektakulären Spiels, das auch mit einem Tag Abstand im eigenen Blut sowohl die Endorphine als auch das Cortisol wallen lässt. Am Ende steht eine 2:3-Niederlage gegen den amtierenden Double-Sieger aus Leverkusen, die irgendwie gleichzeitig verdient und dennoch unfassbar unglücklich wirkt. Ein Spiel, das früh zu einem Desaster werden schien und die Geister der alten Saison aufbeschwörte, an dessen Ende jedoch sehr viel Mutmachendes drin steckte. Doch der Reihe nach. 

Es war alles angerichtet im ausverkauften Borussia-Park. Flutlicht, eine spektakuläre Choreo, die an den vor 20 Jahren geschlossenen, legendären Bökelberg erinnert, einsetzener Regen, der Deutsche Meister zu Gast und eine Live-Übertragung in alle deutschen Wohnzimmer. Gerardo Seoane schickte fast die exakt gleiche Formation aufs Feld, die vor Wochenfrist bereits wacklig, am Ende aber souverän die zweite DFB-Pokalrunde gegen Erzgebirge Aue erreicht hatte. Vor Jonas Omlin kehrte wie erwartet Nico Elvedi zurück in die Viererkette neben Ko Itakura, Joe Scally und Luca Netz. Rocco Reitz erhielt einmal mehr den Vorzug vor Philipp Sander, Alassane Plea wich auf den linken Flügel, um Kevin Stöger die Zentrale zu überlassen. Schon vor dem Spiel machte eine gute Nachricht die Runde: Manu Koné stand nicht (mehr) im Kader, hier deutet sich nun doch und endlich ein Verkauf an, so dass der Verein kein Risiko mehr eingehen wollte. Robin Hack wiederum stand zumindest auf dem Spielberichtsbogen, der beste Torschütze der vergangenen Saison arbeitet sich langsam ans Team heran.  

Als Granit Xhaka, noch immer wohlgelitten am Niederrhein, nach 12 Minuten per Dropkick aus mehr als 20 Metern den Ball ins Tor zur Gäste-Führung nagelte, schien die Saison wieder dort weitergehen, wie sie im Mai so niederschmetternd aufgehört hatte. Vorausgegangen war ein katastrophaler Fehlpass von Nico Elvedi in Richtung Luca Netz, den Jeremie Frimpong dankbar zum Konter aufnahm. Leverkusen hatte bis dahin das Spiel bereits nach Belieben dominiert, entzog sich jedem Pressingversuch Borussias, schien immer eine halbe Sekunde gedankenschneller zu sein. Erinnerungen wurden wach an die 0:3-Klatsche aus der Vorsaison gegen den gleichen Gegner, der auf jeder Position besser zu sein schien. Und dennoch schaffte es Borussia, gegen Mitte der ersten Halbzeit auch Anteile am Spielgeschehen zu sichern. Vieles lieft in dieser Phase bereits über Stöger, der seiner Rolle als zentraler Spielgestalter in der Offensive gerecht wurde. Ein paar erste Halbchancen fanden den Weg in die Notizblöcke; die größte hatte sicher Kleindienst, der nach Vorlage von (natürlich) Stöger mit einer tollen Bewegung zwei Leverkusener Abwehrspieler ins Leere laufen ließ und aus gut 17 Metern platziert abschloss, Edmond Tapsoba jedoch im letzten Moment zu Ecke lenken konnte. 

Genau in diese Phase hinein tut eine Spitzenmannschaft das, was eine Spitzenmannschaft eben so ausmacht: sie zeigen, wer Herr im Hause ist. Einmal mehr irrlichterte Gladbachs Defensive im Strafraum umher, etwas unglücklich fiel der Ball Nationalspieler Florian Wirtz vor die Füße, der humorlos zum 0:2 traf. Zuvor hatten bereits Victor Boniface und Frimpong wuchtig die Standhaftigkeit des Aluminiums der Gladbacher Tore getestet, so dass die Führung auch in der Höhe mehr als verdient war. Bis hierhin verlief  irgendwie alles so, wie Gladbacher Fans das Spiel befürchtet, mindestens jedoch geahnt hatten. Und dennoch: Borussia ließ nicht die Köpfe hängen, sondern stemmte sich auch im Wissen über die qualitativen Unterschiede mit viel Herz und Kampf dagegen. Kurz vor dem Halbzeitpfiff lag der Ball dann tatsächlich im Tor der Gäste. Leverkusen hatte den Ball nicht klären können, Reitz scheiterte noch an Lukas Hradecky, doch Kleindienst wuchtete sich in den Zweikampf mit Piero Hincapie und drückte den Ball schließlich liegend per Kopf (!) über die Linie. Ein erster Hinweis auf die körperliche Präsenz und Unerschrockenheit des ehemaligen Heidenheimers. 

Der VAR, zuvor bei einem Schubser im Strafraum gegen Reitz noch stumm geblieben, gab Schiedsrichter Robert Schröder dieses Mal einen Hinweis. Schröder lief dann irgendwie in die sogenannte "Review-Area" und schaute sich die Szene zwischen Kleindienst und Hincapie an. Und noch einmal. Und noch einmal. Ja, dann noch einmal. Nach handgestoppten 2 Minuten (!) fiel die Entscheidung, das Tor nicht zu geben, da Kleindienst bei der gemeinsamen Grätsche mit Hincapie nach dem Ball zuerst den Fuß des Leverkuseners, dann den Ball traf. Wir wollen an dieser Stelle keine Grundsatzdiskussionen über Sinn und Unsinn des VAR führen - das heben wir uns für einen separaten Artikel auf -, dennoch muss der Hinweis erlaubt sein, dass die Auswahl der Szenen, die als überprüfungswert gelten, nach wie vor den Geist des Wahllosen haben. Und wie viele Wiederholungen und Kameraperspektiven dürfen erlaubt sein? Es ist nicht die Institution VAR, die verzweifelt, es ist die pedantisch deutsche Umsetzung. Niemand ahnte jedoch, dass dies erst die Ouvertüre werden sollte für den späteren Spielverlauf. 

Die zweite Halbzeit verlief über weite Strecken so wie die erste. Leverkusen blieb die technisch bessere, spielbestimmerende Mannschaft, entwickelte aber nicht mehr den Killerinstinkt. Frimpong ließ nach feinem Zuspiel von Xhaka per Heber die Entscheidung zum 0:3 liegen. Ein bisschen aus dem Nichts erhielt Borussia kurz nach dieser Szene einen Freistoß aus halblinker Position, nachdem Robert Andrich den weiterhin umtriebigen Stöger foulte. Interessant zu sehen war am ganzen Abend, wie Stöger bei nahezu jedem Standard mit Frank Honorat diskutierte, wer letztlich ausführen darf. Es kann noch ein Segen werden, nun zwei hervorragende Standardschützen im Kader zu haben. Diesmal war es Stöger, der den Ball an den zweiten Pfosten schlenzte, wo sich Ko Itakura gegen Xhaka durchsetzte und in der Mitte Nico Elvedi mit dem zweiten Versuch zum 1:2 traf.  Natürlich meldete sich der Kölner Keller erneut und die Zuschauer, die das Spiel am TV verfolgten, ahnten bereits Böses, denn in allen Kameraeinstellungen zum Tor stand Itakura tatsächlich einen Hauch im Abseits bei der Flanke von Stöger. Konzessionsentscheidung oder nicht, zur Überraschung und Freude gab der Unparteiische Elvedis Tor doch. Es sollte jedoch nicht der Schlussakt bleiben. 

Trotz des Anschlusstreffers und einiger Wechsel im Spiel konnte Gladbach keine Druckphase aufbauen, Leverkusen schien technisch und taktisch zu stark. Die Zeit verstrich, bis Stöger und Kleindienst in der 85. Minute ihren eingangs beschriebenen, großen Auftritt hatten. Ein Tor wie ein Gemälde. Keines der Kategorie "Tor des Monats", freilich nicht. Doch wie unbeschwert und klar Stöger den Ball kurz vor der Strafraumgrenze flach ins Zentrum passte, dort Kleindienst per Grätsche schneller war als Tapsoba und den Ball am verdutzten Hradecky zum 2:2 ins Tor setzte - es ist diese Einfachheit, die Fußball ausmachen kann. Ein Tor, wie ein Redaktionskollege richtig anmerkte, das Borussia "seit gefühlt 15 Jahren nicht mehr geschossen" habe. Kein Firlefanz, keine Pirouette, kein einstudiertes Einlaufen. Ein Spielmacher, der sich schlicht und einfach denkt: Da vorne steht unser Mittelstürmer, der bekommt den Ball jetzt mal einfach. Und dieser Mittelstürmer ebenso denkt: Den mache ich jetzt einfach mal rein, egal wie. 

 

In diesem Moment schien so vieles richtig zu sein. Der Borussia-Park erlebte mit dem 2:2 bei inzwischen strömenden Regen einen weiteren großen Moment, die Zuschauer hatten die Mannschaft bereits vorher lautstark nach vorne gepeitscht. Stöger und Kleindienst scheinen der Mannschaft genau diese Galligkeit und Einstellung zu geben, die man sich von diesen Transfers erhofft hatte. Auch der zwischenzeitlich eingewechselte Philipp Sander lief schon lautstark motivierend aufs Feld. Es sind diese kleinen Mutmacher, die einige der Wunden kurzzeitig heilten, die durch viel Lethargie in der vergangenen Spielzeit aufgerissen worden waren. Und dennoch unkten nicht wenige in den letzten Minuten der Partie, dass die Geschichte noch eine dramatische Wende erleben sollte.

Die Nordkurve hatte zu Beginn der zweiten Hälfte ein paar Lichteffekte zum Besten gegeben, die sich beide Mannschaften und das Schiedsrichter-Gespann zurecht einige Minuten bewundernd ansahen. Es war also klar, dass es eine recht üppige Nachspielzeit geben wird. Und so kam, was kommen musste gegen einen Gegner, der gefühlt seine gesamte Meisterschaft auf Treffer in der Nachspielzeit gebaut hatte. Itakura grätschte ungeschickt im Strafraum gegen Amine Adli, das Spiel lief jedoch zunächst weiter. Tomas Cvancara hatte hiernach nach einem Konter mit einem wuchtigen Schuss das 3:2 für Borussia auf dem Fuß, als sich erneut der Kölner Keller zu Wort meldete. Erneut vergingen endlose Minuten und diverse Kameraeinstellungen, bis sich Schröder entschied: Strafstoß für Bayer Leverkusen. Auch hier: formal wahrscheinlich regelkonform, aber ob Itakura tatsächlich den Ball oder den Gegenspieler trifft, hängt von der gewählten Kameraeinstellung ab. Erneut bedarf es daher mehrere Kameraeinstellungen und Wiederholungen, um zu einer Erkenntnis zu gelangen, die einmal mehr gegen Borussia ging. Es wirkte fast grotesk, als Sat1-Kommentator Wolff-Christoph Fuß zu Beginn des Spiels erwähnte, dass der VAR "in dieser Saison nicht mehr so oft eingreifen" solle. Dieses Versprechen hat nicht lange gehalten. 

Es lief dann die zehnte Minute der Nachspielzeit, als Wirtz zum Elfmeter anlief. Und irgendwie passte es zum Spiel, dass Omlin den gut geschossenen Elfmeter mit einem tollen Sprung ins Eck abwehrte, der Ball jedoch leider nicht ins Toraus oder zur Seite flog, sondern Wirtz wieder genau vor die Füße. Das Spiel war vorbei, Borussia geschlagen.

Was bleibt nun von diesem Spiel, das Stoff für mehrere Betrachtungen bot? Losgelöst vom reinen Ergebnis bleibt zuallererst die Erkenntnis, dass Borussias Auftritt Mut gemacht hat und hoffen lässt, eine weitere blutleere und sportlich fast in der Katastrophe endende Saison nicht wiederholt wird. Die neuen Spieler wie Stöger, Kleindienst oder auch Sander scheinen der Mannschaft genau zu geben, was ihnen zuletzt so sehr fehlte: Charakter, Wille und die von Roland Virkus zuletzt etwas überstrapazierte Resilienz. Wenn zudem noch Robin Hack zurück in die Startelf kommt und seine Leistung aus der Vorsaison bestätigen kann, wird Borussia ziemlich sicher mehr Spiele gewinnen können als im Vorjahr. Das ist gut und wichtig. Ein Blick auf die Statistik zum Spiel zeigt, dass Leverkusen unterm Strich ein verdienter Sieger war, die krassen Unterschiede zur Vorsaison jedoch deutlich weniger augenscheinlich waren: sowohl auf dem Feld als auch im Statistikbogen. Borussia rannte tatsächlich einen Kilometer mehr als der Gegner, hatte immerhin 14 Torschüsse (Leverkusen: 25), 15 Flanken (Leverkusen: 14) und nur eine knapp unterlegene Zweikampfquote von 48% (Leverkusen: 52%). 

Gleichzeitig offensichtlich sind jedoch weiterhin die gravierenden Qualitätsmängel in der Defensive. Die Hoffnung bleibt, dass durch die nun hoffentlich zu erzielenden Einnahmen aus einem Koné-Verkauf gezielt in die Verstärkung der Verteidigung gesteckt werden. Nun spielt Borussia nicht jede Woche gegen den Deutschen Meister und die wahrscheinlich noch immer beste Mannschaft der Bundesliga, dennoch werden auch Stöger, Hack, Plea oder Kleindienst jede Woche zwei bis drei Tore schießen können, um die individuellen Aussetzer der Abwehrformation ausbügeln zu können. 

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