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Forderungen vom Asylgipfel im Realitätscheck: "Tun sich Widersprüche auf"

Vor dem Asylgipfel stehen zahlreiche Forderungen im Raum, wie Deutschland strenger mit Asylbewerbern umgehen solle. Doch welche Gesetze wären rechtlich überhaupt machbar? Seit dem Messerangriff von Solingen ist die deutsche Politik in Aufruhr. Politiker überbieten sich mit immer drastischeren Forderungen zur Verschärfung des Asylrechts: Obergrenze, Schließung der Grenzen, Aufnahmestopp. Nachdem die Bundesregierung in der vergangenen Woche bereits ein erstes Sicherheitspaket vorgestellt hatte, soll beim Asylgipfel mit Vertretern der Ampelparteien, der Union und der Länder nun über weitere Maßnahmen diskutiert werden. Dazu äußern sich immer mehr politische Akteure mit weiteren Vorschlägen. So fordert der Deutsche Landkreistag vor dem Treffen neben der Option eines Aufnahmestopps auch das Zurückweisen von Asylsuchenden ohne Papiere. Dabei ist die rechtliche Grundlage für derartige Maßnahmen oftmals unklar. Dass solche Maßnahmen dennoch kommen könnten, ist allerdings nicht ausgeschlossen. Maximilian Pichl, Experte für Migrationsrecht, erklärt t-online: "Die Bundesregierung hat in letzter Zeit bereits häufiger Gesetze verabschiedet, die vom Verfassungsgericht wieder einkassiert worden sind. Es kann sein, dass das ein Spiel auf Zeit ist." Seiner Ansicht nach würden zahlreiche der diskutierten Maßnahmen eindeutig gegen geltendes Recht verstoßen. t-online gibt einen Überblick über die Machbarkeit der aktuell diskutierten Vorschläge. Leistungsstreichung für Asylbewerber Ein wesentlicher Punkt des von Innenministerin Nancy Faeser (SPD), Justizminister Marco Buschmann (FDP) und der Grünen-Staatssekretärin Anja Hajduk vorgestellten Sicherheitspakets sieht vor, Asylbewerber von Sozialleistungen auszuschließen, wenn ein anderer EU-Staat nach den Dublin-Regeln für das Verfahren zuständig ist. Der betreffende Staat müsste dem Übernahmegesuch dazu vorher zugestimmt haben. Hintergrund ist der Fall von Issa al-Hassan, dem mutmaßlichen Attentäter von Solingen, der ein Jahr vor der Tat eigentlich nach Bulgarien hätte abgeschoben werden sollen, nach einer verstrichenen Frist aber weiterhin Schutz in Deutschland erhielt. Doch ist ein Leistungsentzug einfach umsetzbar? Pichl stellt klar: "Wenn man dieses Maßnahmenpaket liest, dann scheint es um einen kompletten Ausschluss von Leistungen zu gehen, nicht um Kürzungen." Denn Leistungen können aktuell bereits auf ein Existenzminimum reduziert werden. Laut den neuen Plänen soll aber offenbar auch dieses nicht mehr gewährleistet werden. Das solle grundgesetzkonform geschehen, betonte Faeser bei der Vorstellung. Kaum möglich, wenn es nach Pichl geht. "Da tun sich Widersprüche auf", moniert er. Das Bundesverfassungsgericht habe bereits in mehreren Urteilen betont, dass sich das Existenzminimum für alle Menschen aus der Menschenwürde und dem Sozialstaatsgebot ableite. Das gelte insbesondere auch für Asylsuchende. Der Leistungsausschluss als Abschreckung sei laut den Urteilen nicht durchsetzbar, begründet Pichl. Das sei eine hohe verfassungsrechtliche Hürde. Dennoch könnte ein entsprechendes Gesetz kommen, glaubt der Rechtsexperte. "Es kann sein, dass die Bundesregierung den vollständigen Leistungsausschluss ausprobiert, den ich für europa- und verfassungsrechtlich nicht haltbar erachte." Dann könnten Jahre vergehen, bis ein entsprechendes Gesetz als verfassungswidrig eingestuft wird. Allerdings ist eine ähnliche Regelung, die ebenfalls den Entzug von Leistungen vorsieht, bereits im europäischen Asylkompromiss enthalten, der im Frühjahr von der Europäischen Union verabschiedet wurde, der aber erst 2026 in Kraft tritt. Jedoch schränkt Pichl ein, Experten hätten dabei die gleichen verfassungsrechtlichen Bedenken. Verlust des Schutzstatus bei Heimatreisen Bereits vor der Tat in Solingen machten die offensichtlichen Heimatreisen von mehreren afghanischen Geflüchteten Schlagzeilen. Diese reisten zwischenzeitlich nach Afghanistan , ohne dass dies von den deutschen Behörden bemerkt wurde. "Wer ohne zwingenden Grund wie die Beerdigung naher Angehöriger in sein Heimatland reist, dem soll der Status als Flüchtling oder subsidiär Schutzberechtigter aberkannt werden", heißt es in dem Entwurf zum Sicherheitspaket der Bundesregierung. Die Neuerung an dem geplanten Gesetz ist, dass konkrete Maßnahme umgehend umgesetzt werden sollen. Denn bereits jetzt gibt es die Möglichkeit, eine entsprechende Reise mit dem Entzug des Schutzstatus zu sanktionieren. Bei entsprechenden Verstößen gibt es ein s ogenanntes Widerrufsverfahren, bei dem jeder Fall einzeln geprüft werde, bei dem Betroffene ihren Schutzstatus verlieren könnten. Allerdings gehe es da eher um Einzelfälle, gibt Pichl zu Bedenken. "Das scheint mir auch teilweise sehr aufgebauscht zu sein." Denn auch nach der neuen Ankündigung müsse weiterhin bei jedem Einzelfall individuell entschieden werden, ob die Reise gerechtfertigt war oder nicht. Obergrenze, Aufnahmestopp und geschlossene Grenzen Eine weitere oft diskutierte Maßnahme ist die sogenannte Obergrenze. Sie ist seit der Geflüchtetenkrise 2015 immer wieder Thema. Waren es zunächst noch 200.000, forderte CDU-Chef Friedrich Merz in diesem Jahr, maximal 100.000 Geflüchtete aufzunehmen, Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer forderte jüngst eine Grenze von 30.000. Zuletzt sprach Merz gar von einem grundsätzlich Aufnahmestopp von Syrern und Afghanen, der Landkreistag forderte vor dem Asylgipfel die Option eines Aufnahmestopps als "Ultima Ratio". Für Pichl ist die Lage allerdings eindeutig: "Solange man Teil der Europäischen Union und eines europäischen Menschenrechtsregimes ist, kann man das nicht machen." Das individuelle Recht auf ein Asylverfahren sei nicht nur im Grundgesetz, sondern auch im Europarecht verankert. Pichl fordert, Politiker müssten sich bewusst machen, was eine solche Umsetzung für Folgen hätte: Das ginge nicht "ohne eine komplette Veränderung der europäischen Verträge und des Grundgesetzes". Dies ist aber momentan nicht in Planung. Zudem wurde nach langen Verhandlungen erst in diesem Jahr die europäische Asylrechtsreform beschlossen, wo eine solche Forderung nicht erhoben wurde, weder von der aktuellen Bundesregierung noch von der unionsgeführten Vorgängerregierung. "Deswegen ist das eher eine populistische Symbolpolitik", glaubt Pichl. Der Rechtsexperte sieht ein zentrales Problem: Es werde zu national gedacht. Schlösse Deutschland plötzlich die Grenzen (weil ein Aufnahmestopp einführt würde oder eine Obergrenze erreicht sei) und prüfe keine Asylanträge mehr, " gibt es einen Rückstau von Asylanträgen bis nach Griechenland", sagt Pichl. "Und auf einmal haben wir in ganz Europa geschlossene Grenzen, weil niemand mehr für diese Anträge zuständig sein will." Abweisung von Geflüchteten ohne Papiere Eine weitere Forderung des Landkreistags besteht darin, "dass Asylanträge von Personen, deren Identität nicht durch Ausweisdokumente oder vergleichbare Unterlagen gesichert festgestellt werden kann, bereits als unzulässig abgelehnt werden können". Dann könnten Menschen ohne Papiere erst gar kein Asyl in Deutschland beantragen. Fakt ist: Ein großer Teil der Geflüchteten kommt ohne Papiere in Deutschland an. Das hat verschiedene Gründe, sei es, weil diese von einem Schlepper abgenommen wurden, sie bei der Flucht verloren gingen oder die Personen in der Heimat gar nicht erst die Möglichkeit hatten, entsprechende Dokumente zu beantragen. In der Realität können diese Menschen ohne Pass nicht einfach zurückgewiesen werden. "Nur weil jemand keinen Pass besitzt, kann ihm flüchtlingsrechtlich kein Strick gedreht werden, sodass der Antrag gar nicht mehr geprüft wird", gibt Pichl zu bedenken. Auch diese Forderung ist also juristisch kaum haltbar.

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