Frag’ den Redakteur: Abwehr-Probleme? Titel? Rodri? Trainer-Zukunft?
Fragen von Sino_19: Was denkst du, wie Carlo die Balance zwischen Defensive und Offensive herstellen will? Essenziell wird ja dafür das Mittelfeld sein. Wem traust du die Rolle zu?
Antwort Janine: Ich sehe Carlo Ancelotti als einen Trainer, der stets auf das Spielermaterial vertraut, dass er zur Verfügung hat. Das haben wir nicht zuletzt in der vergangenen Saison gesehen, als er (und der Verein), während der Wintertransferperiode trotz großer Verletzungssorge keinerlei Interesse an einem Neuzugang zeigten. Stattdessen kompensierte er die Ausfälle, indem er beispielsweise einen Eduardo Camavinga in die Linksverteidigung rücken ließ oder einen Aurélien Tchouaméni in die Innenverteidigung.
Was bedeutet das für dieses Jahr? Den Versuch, die Balance im Mittelfeld herzustellen, hat er im Sommer nicht und wird er auch im Winter nicht anhand eines Transfers unternehmen. Bereits nach Toni Kroos’ Abgang machte er deutlich, dass er nicht versuchen werde, ihn zu ersetzen, sondern das System nun anpasse. Diese Herangehensweise unterstütze ich sehr, denn erstens ist Kroos ohnehin nicht zu ersetzen (außer vielleicht von Rodri, der aber frühstens nächste Saison zum Thema wird). Zweitens muss die junge Garde im Mittelfeld jetzt lernen, Verantwortung zu übernehmen und dabei auch Fehler machen, wie sie in den ersten Spielen teils deutlich zu sehen waren.
Wenn wir nun nach einem Spieler suchen, der im Zentrum die Zügel in die Hand nehmen könnte, sehe ich Luka Modrić nur bedingt als die richtige Wahl an. Natürlich bringt der Kroate die nötige Ruhe ins Spiel und bedient auf grandiose Art und Weise die Offensive. Doch ist er mittlerweile 38 und sein Vertrag läuft bis kommendes Jahr – danach weiß niemand, ob er noch bis zur WM 2026 durchziehen möchte, oder sich bereits verabschiedet. In diesem möglichen „Übergangsjahr“ sollte Ancelotti Modrićs Einsätze somit klug wählen und ansonsten Tchouaméni, Camavinga und Co. den Vortritt lassen.
Letzterem traue ich definitiv zu, sich im Mittelfeld zu einem Schlüsselspieler zu entwickeln, denn er hat nicht nur Kampfgeist und einen stark ausgeprägten Offensivdrang, sondern zeigt eine ausgesprochen reife Einstellung und viel Professionalität. Das einzige, woran er als dann potenzieller Leader im Mittelfeld noch minimal arbeiten muss, ist an seinem Mut und dem Vertrauen auch mal ein Spiel per Distanzhammer zu entscheiden, wenn es sein muss.
Fragen von Sino_19 und Halamadrid171: Und wo siehst du uns am Ende der Saison?/Was denkst du, werden wir diese Saison einen Titel holen?
Antwort Janine: Ich glaube in dieser Saison an einen knappen Platz zwei in LaLiga. Es geht hier weniger darum, sich von Barças aktuellem Formhoch blenden zu lassen. Die Frage ist dort nämlich, ob Hansi Flicks extrem junge Mannschaft (Yamal ist 17, Casadó 20, Cubarsi 17) ihre Konstanz halten kann und es schafft, ihr Verletzungspech im Rahmen zu halten (was mit dem Kreuzbandriss von Marc Bernal schon mal wenig Hoffnung macht). Dennoch glaube ich, dass mit dem Wegfallen von Reals Dreh- und Angelpunkt, der fehlenden 9 nach Joselus Abgang und der knapp besetzten Defensive entscheidende Punkte liegengelassen werden. Wie stark der Fokus bei dem Spielpensum auf der Copa del Rey liegt, ist fraglich, weshalb ich auch hier wieder an ein vorzeitiges Ausscheiden glaube.
Die Champions League ist natürlich der ultimative Real-Wettbewerb. Unter den ersten acht Teams sehe ich die Madrilenen ohne Probleme und auch ein erneuter Finaleinzug erscheint mir nicht unmöglich (und einmal im Finale, ist der Sieg unser). Allerdings nur, wenn Manchester City nicht schon davor unsere Wege kreuzt. Denn diesmal bin ich mir sicher, dass dann Schluss ist. Alle anderen kleineren Errungenschaften sehe ich persönlich nicht als besonders aussagekräftig an, weshalb ich eine Supercopa de España in Saudi-Arabien keinesfalls als wichtig erachte. Angesichts des straffen Zeitplans wegen des veränderten Modus in der Champions League sollte diese gar nicht mehr stattfinden (mit rosaroter Brille gedacht, die den Faktor Geld getrost vernachlässigt). Fazit: national – kein Titel. International – nur, wenn City nicht vor dem Finale auf uns stößt.
Frage von Halamadrid171: Kommt Rodri?
Antwort Janine: Wenn man dem Vertrauen schenkt, was die AS zuletzt berichtet hat, ist Rodri eins der Hauptziele von Real Madrid in der kommenden Saison. Und da, wie erwähnt, Modrić den Klub im kommenden Jahr verlassen könnte, wäre er aktuell die mit Abstand beste Lösung, die der Markt zu bieten hat. Deshalb glaube ich fest an das Interesse des Klubs am Spieler und auch daran, dass der spanische Nationalspieler durchaus gewillt sein könnte, in seine Heimat zurückzukehren, zumal er eine Verlängerung seines bis 2027 laufenden Vertrags bisher abgelehnt hat. Nach dann sechs Jahren bei Manchester City und mit hoher Wahrscheinlichkeit fünf Meisterschaften und ein oder zwei CL-Siegen käme eine neue Herausforderung (und mit Real Madrid die größte, die er bekommen kann), genau recht. Mit dann 29 Jahren befände er sich zudem im perfekten Alter, um bei den Blancos noch mindestens fünf bis sechs Jahre auf höchstem Niveau zu spielen. Deshalb sage ich: Ja, Rodri kommt.
Frage von realmadrid7r: In Anbetracht der neuen Verletzungen, sollte man sich noch um einen vereinslosen Spieler kümmern um den Kader aufzufüllen? Beispielsweise Adrien Rabiot fürs Mittelfeld oder Joel Matip für die Abwehr?
Antwort Janine: In der Innenverteidigung würde ich schon eher dafür plädieren, sich nach einem Ersatz umzuschauen, als im Mittelfeld. Zwar hat Real Madrid dort mit Kroos sein Herzstück verloren, aber das Potenzial, mit den vorhandenen Spielern, Stabilität hereinzubringen und das Offensivspiel zu beleben, sehe ich gegeben. Und jeder weiß, dass diese Stabilität eine andere sein wird und die Vorstöße ebenfalls, weshalb die Erwartungshaltung hier entsprechend angepasst werden muss. Sollte zudem Rodri wirklich ein ernstes Ziel sein, würde ich einen überstürzten Transfer für die Sechs nicht als sinnvoll erachten. Es muss Geduld her und in dieser Saison Vertrauen, in das, was wir haben.
Inwieweit dieses in der Abwehr noch aufzubringen ist, wird langsam fraglich. Nacho ist weg. David Alaba ist nach wie vor in der Reha nach seinem Kreuzbandriss und wird anschließend Zeit brauchen, um seine Form zu finden. Militão scheint nach seiner Kreuzbandverletzung auch anfälliger zu werden. Mendy ist vor Ausfällen ebenfalls nie gefeit. Und Tchouaméni oder Camavinga nach hinten zu ziehen, wenn sie sich an ihre neue Rolle im Mittelfeld gewöhnen müssen, ist für mich keine gute Lösung (wird wohl aber so kommen). Um auf Joel Matip als möglichen Ersatz einzugehen: Möglicherweise holt man sich damit den nächsten Bankkandidaten ins Haus, denn auch der Innenverteidiger kommt aus einer Kreuzbandverletzung, bekam deshalb keine Chance auf Vertragsverlängerung beim FC Liverpool. Seit Dezember 2023 bestritt er kein einziges Spiel und kann unmöglich fit genug sein, um den Anforderungen gerecht zu werden. Wir könnten ja übergangsweise nochmal bei Sergio Ramos anfragen
Fragen von Helmutnumerovii: Was glaubt ihr, wird Güler diese Saison den Durchbruch schaffen? Was denkt ihr, wird Mbappé noch voll einschlagen? Wird Endrick in der Saison auch mal mehr Minuten als die letzten 10 erhalten?
Antwort Janine: Was genau ein Durchbruch für Arda Güler heißt, ist sicherlich Auslegungssache. Für mich würde er diesen schaffen, wenn er in den Einsatzminuten, die er bekommt, immer oder zumindest überwiegend die Gefahr ausstrahlt, wie er es jetzt tut. Und das traue ich ihm definitiv zu. Mehr Spielzeit wurde von Ancelotti angekündigt und die wird Güler ohne Zweifel bekommen. Ich bin mir auch sicher, dass aufgrund des hohen Pensums hin und wieder auch mal ein Startelfeinsatz herausspringen wird, vielleicht nur noch nicht in den absoluten Top-Spielen.
Mbappé wird einschlagen. Denn schon jetzt ist sichtbar, dass die Dynamik stimmt, die Ansätze sind gut. Es ist aber auch offensichtlich, dass die Abstimmung vor allem mit Vinícius, aber auch mit Rodrygo, noch verbesserungswürdig ist. Das ist allerdings völlig normal, nach erst fünf Pflichtspielen. Das Thema Mbappé wurde in den letzten Jahren so sehr gepusht, dass manchmal vergessen wird, dass auch einem Star wie ihm etwas Eingewöhnungszeit zugestanden werden muss – und vor allem in einem Team, das gerade eine Schlüsselfigur verloren hat. Sind die Rollen einmal klar verteilt (worum sich vor allem Ancelotti kümmern muss, Stichwort Strategie) und die Spielzüge abgestimmt, wird der Franzose an der Seite seiner Sturmkollegen viel Spaß bereiten.
Für Endrick sehe ich eine ähnliche Situation kommen, wie im letzten Jahr für Güler. Für die letzten Minuten wird er berücksichtigt, aber es wird selten für mehr reichen. Allerdings bin ich mehr als überrascht von seinem Impact, den er bis jetzt in der kurzen Zeit hatte, wie bei seinem 3:0-Treffer gegen Valladolid oder seinem Beinahe-Tor gegen Betis. Ich würde mir wünschen, dass Endrick in dem einen oder anderen Spiel auch mal zumindest eine Halbzeit ran darf, glaube aber, dass das maximal der Fall sein wird, wenn die Punkte entweder schon unumstößlich gesichert sind oder vielleicht in der Copa del Rey gegen unterklassige Gegner.
Frage von realm: Wie bewertest du Perez’ und Co. Arbeit in den letzten paar Monaten?
Antwort Janine: Was mich an der Arbeit des Vereins am meisten beeindruckt hat, ist die Ruhe und Souveränität, die dabei ausgestrahlt wird. Alles, was es zu sagen gibt, trägt Florentino Pérez mit Bedacht nach außen und sucht dabei keine unnötige Aufmerksamkeit. Der wohl größte Erfolg der letzten Monate: die spektakulären Zahlen aus dem Jahresbericht mit Einnahmen von über einer Milliarde Euro, einem Nettogewinn von 15,6 Millionen Euro und gerade mal 8,5 Millionen an Nettoverschuldung. Einen Kylian Mbappé ablösefrei zu bekommen hat sicherlich auch nicht nur mit Glück zu tun.
Die 28 Millionen Euro an Einnahmen durch die Castilla-Transfers sind beachtlich, doch in Reals Jugend liegt natürlich auch der erste Kritikpunkt. Oder mehr in der Frage, was aus der Jugend wird. Denn nach wie vor schaffen es zu wenige Eigengewächse zu den Profis. Erst dieses Jahr wechselten wieder viele Castilla-Spieler zu anderen Vereinen, darunter Innenverteidiger Rafa Marín (wäre jetzt wichtig) oder Nico Paz. Den Sprung zu schaffen, ist einfach zu kompliziert, auch weil die Blancos eher auf Talente aus Brasilien setzen, siehe Rodrygo, Vinícius, Militão oder Endrick – wobei der Erfolg ihnen hier recht gibt.
Ob sich die Transfer-Passivität in diesem Jahr rächt, wird sich zeigen. Ich gehe stark davon aus, dass Real kommendes Jahr in Mittelfeld und Defensive aufrüstet. Meine Vermutung ist aber gleichzeitig, dass wir noch eine Saison, die jetzt schon so verletzungsgeplagt beginnt wie die letzte, mit halbgaren Backup-Plänen nicht unbeschadet überstehen. Was meine These der Titellosigkeit (zumindest national) unterstreicht.
Frage von doge: Wie viele Minuten werden unsere IV-Backups Vallejo und Ramón kriegen?
Ich bin der Meinung, dass Ancelotti nichts anderes übrig bleiben wird, als früher oder später auf die beiden zurückzugreifen, sollte Reals Abwehr so verletzungsanfällig bleiben. Das Problem: Vallejo selbst reiht sich durchaus in diese Gruppe mit ein und wie es der Zufall so wollte, ist auch Ramón gerade außen vor. Doch sind sie auch ohne Verletzung überhaupt eine Option? Den Vorzug vor Vallejo würde definitiv Tchouaméni erhalten und fällt der auch aus, gäbe es immer noch Dani Carvajal, der nach innen rücken könnte. Spätestens an diesem Punkt sollten Vallejo oder Jacobo meiner Meinung nach aber eingesetzt werden. Wie viele Minuten es werden, ist allerdings schwer einzuschätzen.
Fragen von Los_Merengues: Wie beurteilst du die Arbeit von Raúl in der Castilla und deren allgemeine Situation? Wie siehst du die Zukunft von Carlo und mittelfristig des Traineramts?
Ich denke, die Situation der Castilla muss aus zwei Sichtwinkeln betrachtet werden. Einerseits ist die Leistung nicht konstant genug, um in die Segunda División aufzusteigen (jedoch war man 2022/23 kurz davor). Andererseits erregt das Team von Raúl genug Aufmerksamkeit, dass sich andere Vereine für dessen Spieler interessieren. Und genau dort liegt wiederum das Problem. Raúl wird die Arbeit enorm erschwert, da er jedes Jahr wichtige Leistungsträger verliert. Allein diesen Sommer verließen unter anderem Rafa Obrador, Mario Martín, Nico Paz, Théo Zidane, Álvaro Rodriguez und Vinícius Tobias die Mannschaft. Die Kritik ist, wie oben erwähnt, eher die, dass kein einziger im ersten Team Platz gefunden hat. Da ich wenige Spiele der Castilla verfolge, kann ich zu Raúls Spielweise nichts sagen, würde aber rein von den Platzierungen seit seinem Amtsantritt 2019/20 (7., 2., 8., 2., 10.) behaupten, dass er das Team so stabil wie nur möglich hält. Sollte es auch diese Saison eng mit dem Klassenerhalt werden oder es sogar ein Abstieg geben, müsste das Thema noch einmal aufgerollt werden.
Zu Carlo: Ich könnte mir gut vorstellen, dass er seinen Vertrag bis 2026 erfüllt, jetzt wo er entschieden hat zu bleiben. Im Dezember war ich schon fast davon überzeugt, dass er gehen würde, muss aber ehrlich sagen, dass ich froh über seinen Verbleib war. Die Kritik bezüglich seiner Rotations-Faulheit, die er hier und da einstecken muss, ist sicherlich berechtigt, aber kein Grund, seine Fähigkeit, das Team zu managen, anzuzweifeln. Wenn er Fehler macht, die zu Punktverlusten führen, steht er für diese ein und ändert seinen Ansatz. Ich verstehe diejenigen, die sagen, er setze immer nur auf dieselben Spieler und sollte mehr auf die Jüngeren eingehen. Doch bisher haben ihm seine Ergebnisse am Ende der Saison recht gegeben. Ich glaube wie gesagt nicht, dass der dünn besetzte Kader nochmal eine Saison so durchzieht, aber die Entscheidung, niemanden zu verpflichten, hängt auch von der Klubleitung ab. Ich denke, verlängern wird er nur, wenn die Erfolge weiterhin so konstant bleiben.
Obwohl ich völlig überzeugt von Ancelotti bin, wäre ich nach 2026 trotzdem für frischen Wind auf der Trainerbank und würde, wie von dir angedeutet, gern Xabi Alonso dort sehen. Mit Leverkusen spielt er einen hervorragenden Fußball und hätte noch zwei Jahre Zeit, sich national und international zu beweisen und zu verbessern. Ich glaube, dass er dieselbe Ruhe mitbringt wie Ancelotti, etwas das ich sehr mag und in einem Klub wie diesem essenziell finde. Auch Raúl hat inzwischen einige Jahre an Erfahrung gesammelt und das im Verein selbst. Da er aber auf internationaler Ebene noch gar nicht aktiv war, wäre wohl ein Amt als Co-Trainer erstmal angebrachter, bevor er es als Chef-Coach versucht.
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