Kamala Harris trieb Donald Trump in die Selbstzerstörung | US-Wahlkampf
Donald Trump wurde bei der Präsidentschaftsdebatte mit einer Frau konfrontiert, die ausgezeichnet vorbereitet war. Sein größter Fehler war: Er hat Kamala Harris unterschätzt und sich selbst den Abend versaut. Bastian Brauns berichtet aus Washington Von Beginn an war Kamala Harris anzumerken, wie aufgeregt sie war. Ihre Stimme stockte bisweilen. In den ersten Minuten von Philadelphia musste sie sich immer wieder räuspern. Eine enorme Last lag auf der Kandidatin der Demokraten an diesem Abend bei der Präsidentschaftsdebatte gegen Donald Trump . Die Vize-Präsidentin musste ihre Tonlage erst finden. Kein Wunder, es war ihre erste Debatte und seine siebte. Trotzdem schritt Kamala Harris zur Begrüßung gezielt auf ihren Gegner zu. Sie gab ihm die Hand und stellte sich vor mit: "Kamala Harris". Die beiden Politiker hatten sich zuvor noch nie persönlich getroffen. Donald Trump zögerte merklich, konnte den Handschlag aber offensichtlich nicht verweigern. "Schön, Sie zu sehen", sagte er dann. Beim vergangenen TV-Duell gegen seinen bisherigen Gegner Joe Biden hatten sich die beiden nicht persönlich begrüßt. 89 Minuten Zerstörung Man kann es eigentlich bereits hier auf den Punkt bringen: In Minute 1 reichte Kamala Harris Donald Trump die Hand. In den restlichen 89 Minuten zerstörte sie ihn – und er sich schließlich selbst. Denn fast alles, was danach folgte, muss für Donald Trump und sein Wahlkampfteam ein einziges Desaster gewesen sein. Auch darum tauchte der frühere Präsident anders als noch bei der Debatte gegen Joe Biden in Atlanta nach seinem Auftritt plötzlich im sogenannten Spin Room von Philadelphia auf. Dort wollte er den Reportern vor Ort eintrichtern, wie gut es für ihn und wie schlecht es für Harris gelaufen sei. Dabei hatte sich Donald Trump von der amtierenden Vize-Präsidentin zuvor mehrfach vorführen lassen. Geschickt verwandte Kamala Harris während der Debatte fast ihre ganze Energie darauf, ihren Gegner zu reizen. Es war ein riskantes Spiel, denn jede Attacke konnte sie jederzeit auch zu aggressiv erscheinen lassen. Die langjährige Staatsanwältin war scharf, aber blieb sachlich. So tappte Donald Trump in fast jede von Harris' Fallen, die darin bestanden, insbesondere sein Ego zu kränken. Über insgesamt rund 90 Minuten hinweg konnten die Amerikaner und mit ihnen die ganze Welt verfolgen, wie Donald Trump ähnlich einem kleinen Kind immer wütender wurde. Später brüllte er nur noch. Selbst bei seinem zweiminütigem Abschluss-Statement, bei dem spätestens die Zeit für präsidiales Verhalten gekommen ist, senkte er seine Stimme nicht mehr. Statt sich an die Amerikaner zu wenden, wütete er gegen die deutsche Energiewende. "Germany", sagte Trump, müsse wieder "normale Kraftwerke" bauen. Ein Höhepunkt der Absurditäten Um zu verstehen, was an diesem denkwürdigen Abend in Philadelphia passiert ist, genügt zu Anschauungszwecken ein Satz. Bei den zahlreichen Wahlkampfauftritten von Donald Trump im ganzen Land wäre er womöglich gar nicht aufgefallen, weil dort Lügen allgegenwärtig sind. Aber selbst dort ist solcher Unsinn bislang nicht gefallen. Donald Trump aber stand jetzt in einem Fernsehstudio vor einem Millionenpublikum und sagte, Kamala Harris sei eine Marxistin, die "transgeschlechtliche Operationen an illegalen Einwanderern, die in Gefängnissen sitzen" durchführen wolle. Das war eine an Absurdität nicht mehr zu überbietende Behauptung, auf die zu diesem Zeitpunkt keiner der Beteiligten – weder Kamala Harris, noch die beiden Fernsehmoderatoren des US-Senders ABC – einging. Kein Widerspruch. Der Vize-Präsidentin muss klar gewesen sein, dass sie Trump einfach nur noch reden lassen musste. Ihr Gegner befand sich schon im Selbstzerstörungsmodus. Die ohnehin nur bange Hoffnung seiner Berater, Trump könnte womöglich eine liebenswerte Seite präsentieren, sie erfüllte sich an diesem Abend gegen Kamala Harris nicht. Abtreibung, Arbeitslosigkeit, Afghanistan – egal, welches Thema die Moderatoren anschnitten, Donald Trump sah gegen Kamala Harris schlecht aus. Das lag nicht nur am Inhalt, sondern auch an der Darbietung. Während es der Vize-Präsidentin der USA gelang, eine ganze Klaviatur an Emotionen herüberzubringen, war von Donald Trump nur eine zu erkennen: pure Wut. Harris zeigte sich als Mensch. Keine Empathie von Trump Kamala Harris warf Donald Trump vor, wegen der von ihm eingesetzten, konservativen Richter am Supreme Court, Schuld an den inzwischen vielerorts fehlenden Abtreibungsrechten für Frauen zu sein. Weil Ärzte Angst vor Gefängnisstrafen hätten, würden Frauen mit Komplikationen "auf Klinikparkplätzen buchstäblich verbluten", sagte sie, sichtlich angefasst. Auch auf mehrfache Nachfrage der Moderatoren, ob er sich nun für oder gegen Abtreibung einsetze, sagte Trump nur, darüber müsse man "gar nicht diskutieren", weil die Bundesstaaten das ja entscheiden könnten. Eine technokratische Antwort auf einen emotionalen Vorwurf – das sah nicht gut aus. Trump erschien als Mensch ohne jede Empathie. Und von solchen Momenten gab es an diesem Abend viele. Anders als die Moderatoren von CNN bei der vergangenen Debatte zwischen Trump und Biden, entschieden sich David Muir und Linsey Davis von ABC Donald Trump seine vielen Lügen nicht immer durchgehen zu lassen, sondern konfrontierten ihn mit Fakten. Als Trump schließlich behauptete, illegale Migranten würden im Bundesstaat Ohio die Haustiere von Amerikanern verspeisen, wies David Muir den ehemaligen Präsidenten darauf hin, dass dort keine solchen Vorkommnisse bekannt seien. Donald Trump trotzte ihm nur entgegen: "Das habe ich im Fernsehen gesehen. Da haben sie das gesagt." Er berufe sich nicht auf irgendwas im Fernsehen, entgegnete Muir. Er habe bei den städtischen Behörden nachgefragt. Trump postete später einen Polizeibericht, der auf ein Vorkommnis mit einer Katze Bezug nimmt. Ein von ihm insinuiertes Massenphänomen belegt das trotzdem nicht. Hellwach, sachlich und empathisch Zu jedem Zeitpunkt wirkte Kamala Harris hellwach. Immer wieder suchte sie den Blickkontakt zu Donald Trump. Der aber verweigerte, sie anzusehen und starrte immerzu geradeaus. Ihre Suche nach seinen Blicken mag bisweilen hilflos gewirkt haben. Aber es unterstrich ihren Willen, sich bei einer Debatte mit den Themen sachlich und zugleich empathisch auseinanderzusetzen. Als Trump versuchte, Kamala Harris für Gewaltverbrechen von Migranten verantwortlich zu machen, erreichte seine Gegnerin den Höhepunkt ihrer Gegenoffensive. Dass ausgerechnet er, der vielfach angeklagte und verurteilte Straftäter, so etwas behaupten würde, sei einfach ein starkes Stück. Vor einigen Wochen sagte Kamala Harris bei einer Wahlkampfveranstaltung erstmals, dass sie als ehemalige Staatsanwältin "solche Typen wie Donald Trump" sehr genau kenne. Tatsächlich brachte sie ihn mit ihrer schlichten Feststellung, dass er ein 34-fach schuldig gesprochener Straftäter sei, der Ende November sein Strafmaß in New York erfahren würde, komplett aus der Fassung. Trump wütete in einem fort dagegen, behauptete, dass Harris und Biden ihm die Justiz auf den Hals gehetzt hätten und er gänzlich unschuldig sei. Weil Trump immer wieder von Joe Biden sprach, der ja "der Boss" von Kamala Harris sei, sagte die Demokratin irgendwann trocken: "Ich muss den früheren Präsidenten jetzt einmal daran erinnern, dass er nicht gegen Joe Biden antritt, sondern gegen mich." Auch das war wieder ein Tiefschlag für Trump, der an diesem Punkt wie der letzte Trottel wirkte. Er hatte dieser Frau nichts entgegenzusetzen. Das machte ihn erkennbar immer wütender. Attackieren, ohne zu spalten Dabei gelang es Harris trotz ihrer Attacken, nicht als Spalterin aufzutreten. Immer wieder sagte sie Sätze wie: "Die Amerikaner wollen eine Präsidentin, die die Menschen unterstützt, keinen Präsidenten, der sie niedermacht". Von Trump, der sich kurz nach dem vereitelten Attentat gegen sich als Versöhner der Nation gab, war den ganzen Abend über nichts dergleichen zu hören. Harris schaffte es, anders als Trump, sich auch in ihrer zweiminütigen Abschlussbotschaft als Vereinerin der Nation zu geben. Beim Thema Außenpolitik sagte Harris schließlich zu Trump: "Putin würde Sie zum Mittagessen verspeisen." Denn die Diktatoren der Welt wüssten, wie leicht sie ihn mit seiner Eitelkeit umgarnen könnten. Trump wirkte erst sprachlos, wütete dann los und nahm ausgerechnet Ungarns Ministerpräsidenten Viktor Orbán als Zeugen: Der habe bezeugt, dass Putin, Xi und Kim Jong-un Angst vor ihm als Präsident gehabt hätten. Für Trump ein Argument dafür, dass er anders als Biden und Harris respektiert worden sei. Die Waffe einer Frau Eine der größten Überraschungen des Abends war schließlich – sowohl für das Publikum als auch für Donald Trump – ein Bekenntnis von Kamala Harris. Als Trump ihr gerade noch vorwerfen wollte, dass sie den Amerikanern ihre Waffen wegnehmen wolle, sagte sie, was für ein Unsinn das sei. "Tim Walz und ich sind beide Waffenbesitzer". Auch mit diesem Konter hatte Trump offensichtlich nicht gerechnet. Er verlangte keinen Einspruch und schwieg. Man darf sich keine Illusionen machen. Den harten Kern der Trump-Wähler und auch viele Republikaner wird Kamala Harris mit diesem überzeugenden Auftritt niemals umstimmen können. Die Ziele ihres Auftritts aber waren: 1. Sich jenen, die sie nicht kennen, bekannter zu machen. 2. Die eigene Basis in voller Breite zu mobilisieren. Und: 3. Jene zu überzeugen, die womöglich unentschieden sind und weder Trump noch Biden wollen. Gemessen an dieser schweren Aufgabe gegen einen Mann, der in Wahrheit keine Debatte will und der sich auch an keine Regeln hält, war dieses wohl wichtigste TV-Duell im Leben von Kamala Harris ein voller Erfolg. Wie selbstbewusst sie auftrat, zeigte schließlich ihr Aufruf, die Leute sollten ruhig einmal auf eine Trump-Rallye gehen. Dann würden sie erleben, was dort passiere. Trump würde von dort von fiktiven Charakteren fabulieren und davon, dass Windräder Krebs erzeugen würden. Die Leute würden vor lauter Langeweile außerdem immer gehen, bevor Trump zu Ende gesprochen hat. Damit hatte sie Trump erledigt. Seine Rallyes sind ihm heilig.