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Wirbel um "Berlin Tag & Nacht" von RTLzwei: Filmpool voller Schmutzwäsche

Eine "Atmosphäre der Angst", schlechte Arbeitsbedingungen, Mobbing: Die Vorwürfe, die Mitarbeiter gegen die Produktionsfirma Filmpool erheben, wiegen schwer. Es soll sogar einen Fall von Missbrauch gegeben haben. Die Erzählungen ähneln sich. Enormer Druck, kaum Wertschätzung. Beleidigungen am Set, fragwürdiges Verhalten. Was unter der Verantwortung von Filmpool Entertainment passiert, lässt aufhorchen. Duldet die Produktionsfirma, die unter anderem mit Pietro Lombardi für ein TV-Format zusammenarbeitet oder Sendungen wie "Barbara Salesch", "Goodbye Deutschland" und "Auf Streife" herstellt, eine "Atmosphäre der Angst"? Ein Format steht dabei im Fokus: "Berlin – Tag & Nacht". Die Geschichte beginnt am 12. September 2011. An diesem Tag startet die Daily-Soap – und das mehr als holprig. Als die erste Folge "Berlin – Tag & Nacht" über die Bildschirme flimmert, läuft sie zunächst unter dem Radar. Doch Folge für Folge, Tag für Tag, steigert sich das Format, wird bekannter, erfolgreicher. Schnell macht die Serie mit ihren schrillen Figuren und ihrer besonderen Art der Improvisation Schlagzeilen. Das Konzept, mit Laiendarstellern den Alltag der Hauptstadt zu erzählen, gilt als aufsehenerregend, als geradezu revolutionär. Junge Zuschauer goutieren das: Vor allem in den Jahren 2012 und 2013 werden bei den 14- bis 49-Jährigen starke Marktwerte von bis zu 16 Prozent erzielt. Namen wie Joe, Krätze oder "Ole ohne Kohle" sickern in einen popkulturellen Erlebnisfundus, erlangen Bekanntheit. Auch wenn das Feuilleton das Format wahlweise als "unterirdisch" oder "geschmacklos" abstempelt: Das Preis-Leistungs-Verhältnis stimmt. Billige Produktionen in Kombination mit guten Reichweiten zahlen sich in diesen Jahren aus, vor allem Privatsender füllen damit gerne ihr Programm-Portfolio. RTLzwei hält an "Berlin – Tag & Nacht" fest Irgendwann folgt der Bruch. "Berlin – Tag & Nacht", so der Eindruck heute, ist ein Format von gestern. Eine Erzählform, die von neuen TikTok-Videos oder besser inszenierten YouTube-Formaten abgelöst wird. Ein Auslaufmodell. Die Produktionsfirma Filmpool Entertainment macht mit der bei RTLzwei beheimateten Sendung einfach immer weiter. Inzwischen wurden weit über 3.200 Folgen der Impro-Soap ausgestrahlt. Doch die Abnutzungserscheinungen hinterlassen Spuren: Das Ablegerformat "Köln 50667" ist inzwischen eingestellt – die Verbreitungsform über den klassischen linearen TV-Weg lohnt sich nicht mehr, die Reality-Soap wird nur noch beim Streamingdienst RTL+ angeboten. Es "entsprach im linearen TV nicht mehr den Erwartungen", sagt RTLzwei auf Anfrage von t-online. Wie lange die Macher noch mit der Muttersendung "Berlin – Tag & Nacht" planen, sagt der Sender nicht. Auf Anfrage heißt es, das Format erfreue sich "seit über 13 Jahren [...] großer Beliebtheit, sowohl im linearen TV, im Streaming bei RTL+ als auch auf unseren Social-Media-Kanälen". Der Sender arbeite "kontinuierlich an der Weiterentwicklung von 'Berlin – Tag & Nacht', um das Format und die Marke auch in Zukunft relevant und attraktiv zu halten". Anzeige wegen sexueller Belästigung und Nötigung Negative Schilderungen über Arbeitsbedingungen, den Umgang miteinander und sogar sexuelle Belästigung erwecken allerdings den Eindruck, dass "Berlin – Tag & Nacht" mehr als nur Reichweitenprobleme hat. t-online hat im Zuge der Recherche mit verschiedenen Beteiligten gesprochen. Die Kritik, die unter anderem auch auf Jobportalen öffentlich einsehbar ist, scheint sich zu bestätigen: Bei Filmpool Entertainment kommt es immer wieder zu Vorfällen, zu unangemessenem Verhalten. Ein ehemaliger Angestellter schreibt im April 2024 auf dem Jobportal Kununu von einem "toxischen Arbeitsklima, das mich in die Depression getrieben hat", und fügt an, es herrschten dort "Druck, Mobbing und Angst". Die Person habe bis 2017 "im Bereich Produktion bei Filmpool Entertainment GmbH in Hürth gearbeitet". Eine andere Ex-Angestellte spricht von "Wutausbrüchen und Respektlosigkeit". Auch dort fällt der Begriff "Angst". Martin Wernicke, der 13 Jahre lang als Basti eine der Hauptrollen spielte, sagte jüngst im Interview mit t-online , "die Rahmenbedingungen" hätten ihn "unglücklich und teilweise sogar krank" gemacht. "Druck" und "Stress" erwähnt auch er und formuliert mit Blick auf Filmpool: "Ich habe den Job wirklich gern gemacht und würde ihn auch jederzeit wieder machen, aber nicht mehr bei der Firma." Ein Eindruck, den auch Marius Müller* bestätigt. Von einer "Atmosphäre der Angst" spricht auch Marius während eines zweistündigen Gesprächs mit t-online immer wieder. Er heißt eigentlich anders, traut sich aber nicht, mit seinen Klarnamen gegen seinen früheren Arbeitgeber auszusagen. Er wirft einem anderen "Berlin- Tag & Nacht"-Darsteller vor, ihn sexuell belästigt und genötigt zu haben. Bei der Berliner Polizei hat er ihn deshalb angezeigt. Die gibt auf Anfrage dazu keine Auskunft und verweist auf die "Wahrung von Persönlichkeitsrechten.". Doch t-online liegt das Aktenzeichen vor. "Ärger über interne Abläufe und Arbeitsbedingungen": TV-Star packt aus Der Fall soll sich so zugetragen haben: Ende vergangenen Jahres übernimmt Marius eine vermeintlich auf mehrere Jahre angelegte Rolle bei "Berlin – Tag & Nacht". Er spielt in dem Format einen Mann, der mit anderen Protagonisten aneckt, der Unruhe und Stress produziert – und sich zugleich in einen Mann verliebt, der schon lange Teil der "Berlin – Tag & Nacht"-Erzählung ist und hier Kevin Schmidt* genannt werden soll. Er sei ein Mann, der laut Schilderungen von Marius "zum Monster werden kann", der "ausrastet am Set", in "wilden Wutausbrüchen" Beleidigungen ausspricht, ihn während der Dreharbeiten als "Bastard" bezeichnet und am Set dauerhaft eine toxische Stimmung verbreitet. Marius, so beschreibt er es, will diesen Job unbedingt behalten und bemüht sich um Harmonie. "Ich habe immer wieder versucht, auf die Missstände aufmerksam zu machen", sagt er. Er will das Fehlverhalten des Kollegen aus der Welt räumen und sucht deshalb das Gespräch mit der Produktionsfirma, die Kevin in die Aufarbeitung einbezieht. Kevin, der langjährige "Berlin – Tag & Nacht"-Star, geht zunächst darauf ein, die beiden treffen sich im Beisein der Produktionsfirma für ein klärendes Gespräch und chatten anschließend miteinander – bis schließlich die Stimmung kippt. Kevin will Sex mit Marius. Er schickt ihm explizite Nachrichten und Pornovideos von Männern, die sexuelle Handlungen aneinander vollziehen. Kevin habe "Bock", so ist es in den Chats zu lesen, er liefert nackte Tatsachen und will im Gegenzug intime Bilder von Marius. Im Minutentakt folgen Nachrichten, mitten in der Nacht. Erst um 4 Uhr morgens endet das Drängen, das Marius im Gespräch als sexuelle Belästigung beschreibt. Filmpool verliert sich in Ausflüchte Er habe das nicht gewollt, sagt er. Chats, die t-online einsehen konnte, belegen, dass er den Aufforderungen seines Gegenübers nicht nachkommt, dass er zurückhaltend bis ablehnend auf die Avancen reagiert. Kevin fordert ihn auf, niemandem etwas zu verraten. Der Satz "Bleibt ja alles unter uns" fällt. Marius hat Angst um seine Rolle: "Ich stand mit dem Rücken zur Wand. Ich wusste, dass er in der Produktion eine wichtige Rolle spielt, dass er die Macht hat, die Dinge so zu verdrehen, dass die Verantwortlichen ihm Glauben schenken." Doch er erinnert sich an die zahllosen Gespräche zuvor, an die immer gleichen Ausflüchte der Produktionsfirma Filmpool. Dieses Mal, so denkt er, hat er etwas gegen den "Tyrann vom Set" in der Hand. Also wendet er sich an die Verantwortlichen, schildert am 22. März dieses Jahres das Geschehene. Zwei "hohe Tiere" aus der Führungsebene von Filmpool seien bei dem Gespräch dabei gewesen, erzählt Marius. Man werde eine passende Lösung finden, sagen sie ihm, sein Job sei keinesfalls gefährdet. Vier Tage später muss Marius wieder mit Kevin drehen. Man habe eine neue Storyline erfunden, um die beiden nicht einem zu engen Kontakt auszusetzen. Ohne Erfolg. Es kommt zu Drehabbrüchen infolge der Spannungen am Set. Auf Nachfrage von Marius, welche Konsequenzen Kevin drohen, heißt es, man habe mit ihm das Gespräch gesucht. Verändern tut sich dadurch nichts, sagt Marius. Nach einem weiteren Gespräch mit Filmpool Ende April wird ihm einen Monat später mitgeteilt, dass er nicht mehr Teil von "Berlin – Tag & Nacht" ist. Seine Rolle sei auserzählt, er werde nicht mehr gebraucht. "Das war ein Schock, ich war fassungslos", sagt Marius. Hat Filmpool wider besseres Wissen gehandelt und das Fehlverhalten eines Darstellers geduldet? Die Produktionsfirma sagt auf Anfrage: "Etwaige Verstöße gegen unseren Code of Conduct nehmen wir sehr ernst, gehen konsequent dagegen vor und haben das auch in diesem Fall getan." Doch warum steht Marius nun ohne Job da und der Mann, dem Fehlverhalten vorgeworfen wird, ist weiterhin bei Filmpool tätig? "Es gab gegenseitige Vorwürfe", gibt Filmpool auf Anfrage von t-online zu und erklärt dann: "Der Austausch hat via WhatsApp außerhalb der Arbeitszeiten im Privaten stattgefunden. Selbstverständlich haben wir dennoch umgehend nach sehr spätem Kenntniserhalt auf diesen Vorfall reagiert, indem wir mit beiden Parteien Mediations-Gespräche geführt haben." Laiendarsteller lassen sich schnell auftreiben Eine plausible Erklärung für den Rauswurf des einen Darstellers und das gleichzeitige Festhalten an dem anderen wird nicht geliefert. Die Erzählweise bei "Berlin – Tag & Nacht" kommt einer hohen Fluktuation im Cast entgegen: Es werden Alltagsgeschichten präsentiert, nur lose wird auf ein Skript gesetzt. Improvisation und Spontanität sind üblich – und ebenso immer wieder wechselnde Darsteller. Die Darsteller benötigen keine Schauspielausbildung, die meisten sind sogenannte Laiendarsteller und können schnell angeheuert werden. Fördert das ein Klima, in dem Missgunst und toxisches Verhalten gedeihen können – und was genau unternimmt Filmpool dagegen? Man habe "grundsätzliche Angebote wie Termine bei Therapeuten, Schauspiel-Coaches am Set" und diese seien auch bei dem Konflikt zwischen Marius und Kevin aktiv geworden. Es gebe außerdem einen "klar definierten und allen bekannten Sicherheitsrahmen für alle Drehszenen", zudem verweist Filmpool auf "verpflichtende Schulungsmaßnahmen für sämtliche Mitarbeiter vor und hinter der Kamera (Diversity-Seminare)". Bei Kevin und Marius, der eine ein langjähriger Star der Serie, der andere ein Neuling, bleibt ein Beigeschmack. Hat sich hier eine Produktionsfirma einer Person entledigt, die zu unbequem wurde und für die Serie zugleich verzichtbar war? "Filmpool legt großen Wert auf Respekt, Fairness, Toleranz und ein friedvolles Miteinander", sagt das TV-Unternehmen auf Anfrage. Aber was genau heißt das? Marius kann infolge der Vorfälle nicht mehr schlafen. Er wird krankgeschrieben, Diagnose: Depression und hierdurch verursachte Panikattacken und Insomnie. Die Ereignisse verfolgen ihn, er fühlt sich elend, versteht die Welt nicht mehr. Immer wieder gehen ihm Sätze durch den Kopf, die auch andere Beteiligte über den beschuldigten Darsteller geäußert haben. "Dem muss das Handwerk gelegt werden", soll ihm ein Mitarbeiter der Produktionsfirma gesagt haben. Doch Kevin ist weiterhin bei "Berlin – Tag & Nacht". Seine Taten haben bis heute keine sichtbaren Konsequenzen nach sich gezogen. Marius geht jetzt gerichtlich gegen die "Berlin – Tag & Nacht"-Firma vor. Filmpool habe ihn unrechtmäßig aus der Storyline gestrichen, nachdem er seine Vorwürfe der sexuellen Belästigung vor den Produzenten angezeigt hatte. Von einer "böswillig herbeigeführten" Beendigung des Arbeitsverhältnisses ist die Rede. Anwalt spricht von Verstoß gegen Maßregelverbot Für Moritz Lange, den Anwalt des Betroffenen aus der Berliner Medienrechtskanzlei Irle Moser, handelt es sich um einen klaren Verstoß gegen das sogenannte Maßregelverbot, welches dem Arbeitgeber untersagt, Beschäftigte wegen der Inanspruchnahme ihrer Rechte zu benachteiligen: "Dass hier der Betroffene als Folge seiner Anzeige von Missständen und potenzieller Straftaten nach Ansicht von Filmpool das Feld zu räumen hat, ist offenkundig unzulässig." Für den Anwalt ist das Verhalten von Filmpool zudem Zeugnis dafür, dass die nunmehr über Jahre geführte Debatte zum allgemeinen Umgang mit Machtmissbrauch – insbesondere in der Medienbranche – zu keinerlei spürbaren Veränderungen geführt hat. Nun wird die Sache vor Gericht verhandelt. Am 8. Oktober stehen sich die Parteien in Berlin gegenüber. Für Marius geht es um Gerechtigkeit. Für Filmpool geht es darum, den eigenen Ruf zu verteidigen. *t-online hat sich entschieden, die Namen von Marius und Kevin nicht öffentlich zu machen. Sie sind der Redaktion bekannt und auch die Produktionsfirma Filmpool weiß um die Identität der betreffenden Personen. In einer Stellungnahme hat Filmpool die Namen kenntlich gemacht.

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