»Das boxende Klassenzimmer«: Warum ein Verein des DBV-Landesverbands Rheinland in die Schulen geht
Es braucht Geschicklichkeit, um einen Tennisball aufspringen zu lassen und nach einer angedeuteten Führhand wieder einzufangen. Vor allem, wenn man darin wenig Übung hat. Sowie etwas Mut, um die fortgesetzten Schläge eines Partners zum Körper mit den Handschuhen zu blocken, ohne zurückzuweichen. Beide Tugenden sind für Jan Meurer aber nicht nur im Boxen, sondern auch für die Entwicklung der Persönlichkeit relevant. Darum mutet der Übungsleiter den vierzehn Schülerinnen und Schülern des Mons-Tabor-Gymnasiums in Montabaur diese Übungen so gern zu. Jeden Mittwoch von kurz vor drei bis gegen vier, wenn ihnen die Hälfte der benachbarten Sporthalle zur Verfügung steht.
In der beschaulichen Kreisstadt im Westerwald gibt es eben nicht nur einen über 25 Jahre alten Boxclub, den BC Top Sport e.V. Montabaur. Sondern auch den Verein Boxen macht Schule e.V., den Meurer vor zehn Jahren begründete – zusammen mit einer Lehrerin, die einst mit ihm trainiert hat. Und der hat deutlich andere Ziele, auch wenn er die gleiche Postadresse besitzt. Er ist in erster Linie kein reines Sportprojekt, sondern »eine Bildungsmaßnahme für Integration und Gewaltprävention«, wie der 45-jährige, der zweimal Vize-Meister des Landesverbands Rheinland war, erklärt: »Wir wollen den Sport nutzen, um den Kids ein Ventil zu schaffen und ihnen ein bisschen was auf den Weg zu geben. In dem Sinne soll Boxen macht Schule vor allem Training fürs Leben sein.«
»Mit Respekt, Disziplin & Regeln Ziele erreichen«: So lautet das Motto auf der Homepage wie auf den Foldern von BMS. Doch im Grunde muss der Verein kaum noch proaktive Werbung betreiben: Das Angebot für Klassenmitglieder der Jahrgangsstufen 5 bis 10 wird inzwischen von 25 staatlichen Schulen in drei Bundesländern (Rheinland-Pfalz, Hessen und NRW) aufgegriffen. Neue Schulen landen auf einer längeren Warteliste, denn der Pool der aktuell 40 Trainer und Trainerinnen, die sich mindestens einen Nachmittag in der Woche freihalten müssen, lässt sich nicht im Handumdrehen erweitern. »Wir haben ja nicht nur einen quantitativen, sondern auch einen qualitativen Anspruch«, betont Meurer. Da tut es gut, auch einen Projektmanager, einen Pressewart und pädagogische Fachkräfte hinter sich zu wissen, die administrative Arbeiten übernehmen.
Damit hat sich einer der ungewöhnlichsten Vereine unterm Dach des DBV nachhaltig durchgesetzt. Welcher andere Club führt schon ausschließlich Übungsleiter im Mitgliedsregister, die ihre Gruppen überall, nur nicht in einem ›richtigen‹ Gym trainieren? Oder trägt den olympischen Sport ausgerechnet dahin, wo er öfter als Anleitung zur Gewalt für Rabauken und Querulanten vorverurteilt wird – und wird dann offiziell von Schulleitungen abgesegnet sowie durch Zuschüsse von Bildungsbehörden mitfinanziert?
Eine gewisse Skepsis war zugegebenermaßen häufiger zu spüren, wenn Entscheider und Erzieher erstmals von den Box-AG´s erfuhren. Doch bald erkannten sie, dass dort nicht Gewaltbereitschaft, sondern das Gegenteil vermittelt wird. Und dass die Übungsleiter, die in aller Regel zu zweit agieren, Zugänge zu den Kids finden, die ihrem Lehrpersonal so kaum möglich sind. Wie bei dem 13-jährigen Mädchen mit portugiesischen Vorfahren, dass sich während des Pilotprojekts an einer Realschule plus im nahen Wirges schnell von einer aggressiven Querulantin in eine ausgeglichene, sozial verträgliche Person verwandelte.
»Normale Pädagogen können solche Projekte nicht durchführen, weil sie ein anderes Know-how mitbringen«, ist Meurer überzeugt. »Das sagen die uns selbst. Da geht es nicht um besser oder schlechter, sondern um den anderen Blickwinkel.«
Und um andere Lebenswege. Methoden zur Deeskalation hat der waschechte ›Wäller‹ sich schon in 16 Dienstjahren als Justizvollzugsbeamter angeeignet. In dieser Zeit leitete er in einer JVA das Zirkeltraining einer Sportgruppe und erlebte Tag für Tag, wie Bewegung hilft, Emotionen zu kanalisieren, von nackter Aggression bis zu echter Selbstbestätigung. Das geht Schülerinnen und Schülern kaum anders, wie Meurer aus Erfahrung weiß – angefangen mit der Hospitanz beim Hamburger Projekt Box-Out, wo er sich manches abschauen konnte. Auch Youngster können das Training schließlich als Auszeit von gewohnten Abläufen nutzen und Stress abzubauen. Außerdem werden bei den vorsichtig dosierten Übungen soziale Tugenden vermittelt, ohne dass irgendwer den Zeigefinger hebt.
Emil und Salih, Assia und Hannah (Namen geändert): Sie alle müssen Verantwortung übernehmen, während sie in der AG am Mons-Tabor-Gymnasium mit wechselnden Partnern trainieren. Und können Erfolg erleben, wenn sie eine Sache richtig durchgezogen haben. So sollen sie dem Projektleiter zufolge motiviert werden, »das, was man aus unserem Sport rausziehen kann, aufs eigene Leben zu übertragen«. Eine hundertprozentige Erfolgsgarantie gibt es jedoch nicht: »Bei krassen Herausforderungen kommen auch wir an unsere Grenzen, wir schwingen ja keinen Zauberstab. Und manchmal kommt es einem so vor, als wenn bei uns immer die Unbeliebtesten abgeladen werden. Das ist aber nicht im Sinne des Konzepts. Es soll auch den Trainern Spaß machen.«
Vor dem Hintergrund stellt sich die Frage nach weiterführenden Perspektiven im olympischen Boxen eigentlich nicht. Trotzdem kommt es ab und zu vor, dass jemand aus der Box-AG begeistert ins Gym des BC Top Sport wechselt, also vom Selbsterfahrungs- zum echten Vereinssportler wird. Das ist für Meurer »ein positiver Nebeneffekt, weil wir so auch noch den Nachwuchs in unserem Sport betanken können«. Entscheidender ist jedoch, wenn eine® der Kids etwa von einer Förder- auf einer weiterführenden Schule landet: »Das ist für uns Lohn und Brot.«
Das Image des Boxsports hat sich an den Schulen zwischen Rhein, Main und Mosel ohnehin verbessert bzw. geschärft, und in Kürze wird die wissenschaftliche Studie eines Sozialwissenschaftlers aus dem Sport erwartet, der ebenfalls Trainingsgruppen an Schulen leitet. Dadurch soll die gewaltpräventive Wirkung der BMS-Maßnahmen objektiv nachgewiesen werden. Wer mal zugeschaut hat, ist dadurch allerdings nicht mehr zu überraschen.
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