Kleine Fußballer mit großen Zielen
Ganz nach oben schaffen es die Allerwenigsten. Das eine Prozent, das etwas kann, was wenige können, und das bei allem Talent auch noch fleißig ist, nicht irgendwann die Lust verliert und sich nicht von Widerständen aus den Bahn werfen lässt. Millionen Kinder träumen davon, später einmal Fußballprofi zu werden und vielleicht sogar in einer Top-Liga, bei einem Top-Klub zu spielen.
Wer von ihnen tatsächlich das Zeug dazu hat, ist in jungen Jahren praktisch unmöglich vorherzusagen. Eines steht aber fest: Damit es etwas wird mit der Profikarriere, muss der Jugendkicker irgendwann entdeckt und eingeladen werden, sich mit Besseren zu messen, zu einem größeren Klub zu wechseln, in eine andere Stadt zu ziehen. Alexander Pletschew (10), Artjom Istomin (10) und Iwan Demidow (11) ist genau das passiert. Wie hat das ihr Leben und das ihrer Familien verändert?
Sascha
Alexander, also Sascha, spielt seit einigen Monaten bei Spartak Moskau, dem populärsten Klub von Moskau, wenn nicht ganz Russland. Er stammt aus Archangelsk im Norden des Landes, 1000 Kilometer entfernt. Bei Probetrainings hat er sich für Spartak empfohlen. Sein bisheriger Trainer Igor Melnik glaubt fest daran, dass der Junge seine Chance nutzen wird: „Sascha hat den richtigen Charakter, der beißt sich durch. Es war eine Freude, ihn zu trainieren.“
Weil Spartak erst Kindern ab 13 Jahre einen Internatsplatz zur Verfügung stellt, ist Saschas Mama Olga mit nach Moskau gekommen, hat dafür ihren guten Job in Archangelsk aufgegeben. Man wohnt nun auch nicht mehr gegenüber vom Stadion wie in der alten Heimat, wo alles zu Fuß zu erreichen war. Sascha fährt jeden Tag eine Dreiviertelstunde mit der Straßenbahn nach Sokolniki, wo sich seine Schule und die Nachwuchsakademie von Spartak befinden.
Als seine Stärken zählt der Angreifer auf: „Finten, Dribblings, Schnelligkeit, Übersicht“. Bei einem Klub wie Spartak müsse man sich „noch mehr anstrengen“, sich „jeden Tag beweisen“, sonst werde man „aussortiert“. Ende November hat Sascha mit Spartak seine erste Goldmedaille gewonnen.
Artjom
Hatten wir erwähnt, dass auch eine Portion Glück dazugehört, um am richtigen Ort im richtigen Moment aufzufallen? Auf Artjom ist ein Scout von Zenit St. Petersburg, dem russischen Serienmeister der letzten Jahre, bei einem Turnier in Jaroslawl aufmerksam geworden, dem Yaroslavl Cup. Dort spielte der heutige Viertklässler gegen ein Jahr Ältere und gehörte trotzdem zu den Besten. Ungewöhnlich war das für ihn nicht, doch wegen des besonderen Zuschauers auf der Tribüne setzte es eine Kettenreaktion in Gang. Ein Dreivierteljahr später unterschrieb Artjom bei Zenit einen Vertrag bis zu seinem 17. Lebensjahr.
Viel größer könnte der Kontrast kaum sein. Der Zehnjährige kommt aus der Gemeinde Krasnoje an der Wolga in der Region Kostroma, einem 7000-Seelen-Ort. St. Petersburg hat 5,6 Millionen Einwohner. Doch man fühle sich bestens und bereue nichts, sagt Artjoms Mutter Swetlana nach dem ersten vollen Jahr in Russlands zweitgrößter Stadt. Für sie stellte der Umzug mit ihrem Sohn kein Opfer dar, sie hat sich stattdessen auch selbst einen Wunsch erfüllt: „Ich habe schon lange mit dem Gedanken gespielt, nach Moskau oder St. Petersburg zu gehen.“ Und so nutzte sie die Gelegenheit dazu, das Familien- und ihr Berufsleben neu zu organisieren. Erst als Swetlana in St. Petersburg, wo sie bis dahin niemanden kannte, alles gerichtet hatte, kam auch Artjom nach.
Wanja
Die Akademie des FC Krasnodar vis-à-vis der 2016 eröffneten Fußballarena genießt einen ausgezeichneten Ruf. Und sie steht unter einem ganz besonderen Stern. Klubgründer und -präsident Sergej Galizki hat das Ziel ausgegeben, dass eines Tages alle Spieler der Profimannschaft die eigene Nachwuchsschmiede durchlaufen haben sollen. Wer weiß, vielleicht ist auch Iwan darunter, für Familie und Freunde Wanja?
Der Sechstklässler lernte das Fußballspielen in Scharja, einer Kleinstadt zwischen Kostroma und Kirow. Weil Krasnodar auch schon jüngere Kinder in sein Internat aufnimmt, wohnt Wanja dort seit Juli allein und ohne seine Eltern. Mama und Papa besuchen ihn im Wechsel einmal pro Monat – eine Zugfahrt von 38 Stunden. Die Konkurrenz ist riesig: Allein in seinem Jahrgang 2013 trainieren beim FC Krasnodar 70 Kinder, die auf drei Mannschaften aufgeteilt sind. Wanjas Vater Wladimir sagt: „Wir haben für ihn getan, was wir konnten. Jetzt hängt alles von ihm selbst ab.“
Tino Künzel
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