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Matthias Sammer über Franz Beckenbauer: "Das ist nicht mehr gutzumachen"

Franz Beckenbauers Todestag jährt sich zum ersten Mal. Exklusiv bei t-online erklärt Matthias Sammer, warum Deutschland für ihn im Umgang mit dem Kaiser versagt hat. Vor genau einem Jahr, am 7. Januar, verstarb Franz Beckenbauer im Alter von 78 Jahren. Nach dem Tod seines Freundes und Vorbilds fand Matthias Sammer schon damals schonungslos offene und zugleich harte Worte. "Ich finde es unwürdig und schäme mich ein Stück weit dafür, was wir, dieses ganze Land und unsere Medien ihm angetan haben", sagte er und klagte an: "Deutschland hat ihm gegenüber versagt." ( Das komplette Interview können Sie hier nachlesen. ) Es sind Sätze, die auch ein Jahr später noch immer nachhallen. Wie er heute dazu steht? Anlässlich des ersten Todestags von Beckenbauer nahm sich Sammer erneut Zeit, exklusiv mit t-online darüber zu sprechen – und bekräftigte seine Vorwürfe. t-online: Herr Sammer, bereits unmittelbar nach dem Tod von Franz Beckenbauer wurden Sie damals im t-online-Interview sehr deutlich und kritisierten den Umgang mit ihm scharf. In den vergangenen zwölf Monaten ist viel passiert, Beckenbauer erfuhr posthum viele Ehrungen und Würdigungen. Ist das zumindest ein wenig Wiedergutmachung? Matthias Sammer: Im Nachhinein sind ihm jetzt viele positive Dinge widerfahren – und das zu Recht. Der FC Bayern hat dazu beigetragen, ihm das zu geben, was er verdient hat. Auch der DFB und DFL haben sich Gedanken darüber gemacht, wie man so eine Persönlichkeit würdigen kann. Ich muss aber trotzdem eins sagen. Bitte. Franz fehlt. In allererster Linie seiner Familie, aber auch uns allen mit seiner gesamten Art und Weise. Die Anerkennung, die ihm jetzt zuteilwurde, betrachte ich zwar positiv. Sie kommt leider aber ein bisschen zu spät. Die Lichtgestalt erlosch im Schatten: So versteckt lebte Beckenbauer bis zum Tod Sie bleiben also dabei, dass Sie sich dafür schämen, was Deutschland Franz Beckenbauer angetan hat? Definitiv. Franz war als Mensch für uns alle und auch für mich persönlich ein absolutes Vorbild. Mit seinem Auftreten, seiner Natürlichkeit, seiner Souveränität, seiner Klarheit. Er hat sich nie selbst in den Mittelpunkt gestellt, wollte aber immer das Beste erreichen. Auf Klubebene hat er das als Spieler geschafft und mit Bayern den Pokal der Landesmeister dreimal in Folge gewonnen. Mit der Nationalmannschaft ist er 1972 Europameister und sowohl als Spieler 1974 als auch als Trainer 1990 Weltmeister geworden, hat die WM 2006 nach Deutschland geholt und zu einem unvergesslichen Erlebnis für uns alle gemacht. Diese Kombination aus fachlicher und menschlicher Qualität hat mich bei ihm immer beeindruckt. Inwiefern? Ich erzähle heute meinen Kindern von ihm. Wenn wir über Vorbilder reden, sage ich ihnen, dass Franz Beckenbauer nicht unterschieden hat, wer in welcher Position ist. Er hat immer den Menschen im Mittelpunkt gesehen und alle gleich behandelt. Können Sie ein Beispiel geben? Als ich noch gemeinsam mit ihm als Fernsehexperte gearbeitet habe, war das einfach fantastisch, wie er den Menschen gegenüber aufgetreten ist. Er hat alle mit Handschlag begrüßt, war immer freundlich und nett. Die Würde, mit der er allen begegnet ist, hat mich sehr beeindruckt. Und ist es nach wie vor. Deshalb ist es für mich auch nicht mehr wiedergutzumachen, was wir ihm angetan haben. Was meinen Sie damit genau? Das, was Franz widerfahren ist, die Defizite dieser Zeit, der Gesellschaft, sowohl von der Politik als auch vom Sport her – Deutschland hat ihm gegenüber versagt. Sie beziehen sich auf die Korruptionsvorwürfe im Zusammenhang mit der Vergabe der WM 2006 nach Deutschland und den Umgang damit? Bei allem, was er tat, wollte er nur das Beste. Im Fußball muss man sich immer durchsetzen – als Spieler, Trainer und auch, wenn man ein großes Turnier nach Deutschland holen soll. Dabei musste er sich mit Situationen auseinandersetzen, für die er nicht verantwortlich ist. Man mag es als eine gewisse Art von "Korruption" betrachten, wenn du in einem solchen System Stimmen von Menschen brauchst, um ein Turnier zu bekommen. Das will ich gar nicht bewerten. Es ist ja auch alles nicht bewiesen, was dazu möglicherweise notwendig war. Korruption ist aber kein Kavaliersdelikt … Wir alle haben Franz Beckenbauer vorgeschickt und alle wussten, mit welchem dubiosen System, welchen Anforderungen, die dieses Fifa-Konzil in sich trägt, er es am Ende zu tun haben würde. Ich weiß nicht, wie er es am Ende geschafft hat, die WM 2006 nach Deutschland zu bringen. Ihn dann aber so zu attackieren, weil er dafür dieses System irgendwo bearbeiten musste, das ist Heuchelei. Das tut mir sehr, sehr weh. Das hat man alles vorher gewusst, als man Franz in diesen Kampf losgeschickt hat. Dementsprechend finde ich das nach wie vor unwürdig, wie mit ihm umgegangen wurde. Das gilt übrigens auch für das, was auch nach seinem Tod noch darüber hinaus passiert. Was meinen Sie konkret? Wie man mit Wolfgang Niersbach, Horst R. Schmidt und Theo Zwanziger umgeht, sie vor Gericht zieht und eine "Never ending story" daraus macht. Auch das tut mir sehr weh. Ich habe diese Leute alle kennengelernt und kann kein Verständnis dafür entwickeln. Dementsprechend ist es das eine, jetzt Franz Beckenbauer und seine Lebensleistung in den Mittelpunkt zu stellen. Aber gleichzeitig muss man auch darüber reden, dass solche Menschen und gerade solche Charaktere wie Beckenbauer einfach prägend sind für unser Land. Ihn dann so zu diskreditieren, das hat einfach nur wehgetan – und ich glaube, dem Franz am meisten. Das ist schade und nicht mehr gutzumachen. Von daher sind solche Würdigungen wie jetzt zum Beispiel mit dem "Franz-Beckenbauer-Platz 5" vor der Allianz Arena oder dem "Franz Beckenbauer Cup" das Wenigste, was man tun kann. Was halten Sie davon, dass der FC Bayern Beckenbauers Rückennummer 5 aus Respekt vor ihm nun nicht mehr vergeben wird ( mehr dazu lesen Sie hier )? Das ist großartig. Bayern hat das noch nie zuvor getan, deshalb ist es jetzt etwas ganz Außergewöhnliches und Besonderes, eine wunderbare Geste. Etwas, das dem, was Franz und der FC Bayern sich gegenseitig zu verdanken haben, absolut gerecht wird. Davor habe ich großen Respekt. Dazu kann man Bayern München nur gratulieren. Ich begrüße es auch sehr, dass der Supercup jetzt nach Franz Beckenbauer benannt wurde. All das ist gut und wichtig für seine Vorbildwirkung. Inwiefern? Franz ist jetzt leider nicht mehr unter uns. Unsere Gesellschaft hat aber auch den Auftrag, dass solche Vorbilder lebendig bleiben – auch für die jüngeren Generationen, die ihn nicht oder nur bedingt kannten. Er ist eine Legende und Teil unserer Fußballgeschichte. All die Würdigungen für ihn bedeuten, dass die jüngere Generation damit konfrontiert wird, wie außergewöhnlich er war. Wir müssen sein Lebenswerk im sportlichen, fachlichen und auch menschlichen Sinne aufrechterhalten. Gibt es etwas, das Sie sich persönlich noch für Beckenbauer wünschen? Wir haben nach seinem Tod kritisch betrachtet, was zuletzt geschehen ist und was man versäumt hat. Jetzt sollten wir es auch umso positiver betrachten, was man ihm oder seiner Familie zuteilwerden lässt, um ihn und das, was er vorgelebt hat, lebendig zu halten. Unsere Gesellschaft braucht das. Er war ein Weltmann, der in der ganzen Welt verehrt und bewundert wurde. Das ist das, was Deutschland groß und stark gemacht hat. Dass es Persönlichkeiten gab, die außergewöhnlich waren. Inwieweit sehen Sie dabei auch Beckenbauers Witwe Heidi sowie seine Kinder als Botschafter? Sie sind dabei sehr, sehr wichtig. Man kann nur Dinge über das irdische Leben weiterbegleiten, wenn die, die ihn am besten kennen, auch öffentlich in Erscheinung treten, wie Heidi, Joel und Francesca das sukzessive auch tun. Damit die Gesellschaft all das nicht vergisst. Franz Beckenbauer darf nicht in Vergessenheit geraten. Wie oft denken Sie persönlich an ihn? Dazu müssen Sie etwas sehr Persönliches wissen. Bitte. Bei uns zu Hause, in unserem Wintergarten, haben wir ein überdimensional großes eingeglastes Poster von ihm. Das hatte ich schon zu Bayern-Zeiten. Sie meinen von 2012 bis 2016, als Sie als Sportvorstand des FC Bayern arbeiteten. Was für ein Poster ist das genau? Das Foto zeigt ihn nach dem Sieg im Pokal der Landesmeister, der heutigen Champions League , mit der Trophäe in den Händen. Ich habe damit versucht, die Champions League und den Pokal in der Tradition des Klubs sichtbar zu machen – natürlich mit Franz als meinem großen Vorbild. Deshalb können Sie sich vorstellen, wie oft ich an ihn denke. Ich will nicht sagen, täglich. Aber zumindest sehe ich täglich, wie er den Pokal nach oben reckt. Was geht dabei in Ihnen vor? Ich spüre dann bei mir ein Lächeln und Dankbarkeit, dass ich ihn kennenlernen durfte. Ich denke so oft an ihn, weil er eben so besonders war in verschiedensten Bereichen des Lebens. Er ist präsent, wenn wir mit unseren Kindern sprechen, warum wir auf gewisse Dinge Wert legen. Auf der anderen Seite steht das Sportliche. Gute Spieler hatten wir viele. Dann noch als Trainer und Funktionär erfolgreich zu sein – mehr ist ja nicht möglich. Es ist einmalig auf der Welt, was Franz geschaffen hat. Werden Sie häufig auf ihn angesprochen oder reden mit alten Weggefährten über ihn? Ja, in vielen Zusammenhängen. Wenn gewisse Themen aufkommen, passiert das zwangsläufig. Weil Franz Dinge getan und weitergegeben hat, ohne es mir groß zu sagen – einfach, wie er es gelebt hat. Damit ist er ganz oft Bestandteil in verschiedensten Diskussionen. Egal ob es in familiär-privaten und sportlichen Bereichen oder bei Problemen ist, die Deutschland gerade ein Stück weit in sich trägt. Große Persönlichkeiten, Souveränität, Auftreten, Vorbilder – das fehlt ja insgesamt. Damit kommt man zwangsläufig immer wieder auf jemanden, der all das fast in Perfektion vorgelebt hat: Franz Beckenbauer.

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