Über den Bruchweg zum Scheideweg
Fährt man nach Mainz und will ausgerechnet dort eine schon irgendwie konstruierte aber dennoch grauenhafte Serie beenden, dann sollte man sich vorher über drei Dinge überlegen. Wer kümmert sich nachhaltig um den derzeit glänzend aufgelegten Burkhardt? Wie kann man Amiris Einfluss auf das Spiel begrenzen? Und schließlich und vor allem: wie geht man damit um, dass man auf einen leidenschaftlich agierenden Gegner treffen wird, der einem im eigenen Spielaufbau permanent auf den Socken steht? Auf die erste Frage brauchte man keine Antwort zu finden, denn Burghardt nahm sich nach wenigen Minuten durch eine Muskelverletzung ohne gegnerische Einwirkung quasi selbst aus dem Spiel. Das probierte Amiri auch, als er sich bei einem recht rüden Foul an Reitz selbst verletzte, aber trotz gegenteiliger Signale konnte er das Spiel bis zum Ende bestreiten. Noch vor dem Foul hatte man ihn schon dreimal schießen lassen, und mit einem scharf geschossenen Freistoß (später mehr) hätte er das Spiel zum Ende beinahe auch noch entschieden, aber letztlich konnte er nur zu einem Tor beitragen, nämlich Lainers Eigentor nach einer scharfen Hereingabe von Nebel, der von eben jenem Amiri in Szene gesetzt wurde. Auf dieses Tor fand Borussia nur zwei Minuten später eine Anwort, woraus sich am Schluss ein 1:1 Unentschieden ergibt. Worauf die Borussia allerdings über weite Strecken des überhaupt keine Antwort fand, war die dritte Frage, denn ein geordneter Spielvortrag war vor allem in einer wiederum schlimmen ersten Halbzeit nicht wirklich drin.
Lainer, Friedrich, Itakura und Scally, die an diesem Abend wiederum die Vierkette bildeten und dadurch qua Amt den Löwenanteil der Verschiebearbeit und mithin des Aufbauspiels innehatten, haben sicherlich ihre Qualitäten. Unter anderem sollen sie beim Canasta ein wahres, ich zitiere Insider, “Höllenquartett” bilden und mit ganz ausgebufften Strategien ein derart hohes Level erreicht haben, dass sie Auric Goldfinger locker ausnehmen könnten. Aber man muss es schon einmal klar sagen: Das ruhige, überlegte und dennoch handlungsschnelle Aufbauspiel gegen eine aggressiv stressende Mainzer Elf gehört einfach nicht dazu. Und die anderen Spieler konnten keine echte Hilfe anbieten. Es dauerte 42 Minuten, bis man endlich ein Einsehen hatte und die Abschläge lang ausführte. Da ging natürlich auch mancher Ball verloren, aber wenigstens konnte man hin und wieder einen in der gegnerischen Hälfte festmachen. Das war zuvor so gut wie nie gelungen. Umso unverständlicher, dass man es in der zweiten Hälfte auf einmal doch wieder genauso wie über weite Strecken der ersten versuchte. Seoane sprach nach dem Spiel davon, dass man den schlechten Rasen nicht als Ausrede hernehmen wollte, um danach gleich zweimal zu betonen, dass das schwere Geläuf ein ruhiges Aufbauspiel erschwert habe. Aber erst nach dem Rückstand beendete man den Versuch endlich wirklich, sich nach vorne zu kombinieren. Stattdessen wurde es jetzt ein wildes Spiel, das postwendend den Ausgleich brachte. Dieser war allerdings das reine Produkt individueller Klasse: Pleas Ballbehauptung und der anschließende klare Ball auf Honorat, der ohne weitere Ballberührung eine satte Flanke aus dem Fußgelenk schüttelte, die der zielsicher eingelaufene Kleindienst eiskalt mit dem Kopf zum mehr als schmeichelhaften Ausgleich verwertete. Jeder der drei hatte einen gewichtigen Anteil an dem Tor, das leider nicht auf einer Spielidee sondern nur auf dieser Qualität der Spieler ruhte. Dagegen wäre nichts einzuwenden, wenn beides sich ergänzte, und tatsächlich sah es nach dem Tor zunächst so aus, als könne die Borussia das Spiel auf ihre Seite ziehen, denn auf einmal konnte sie sich auch einmal länger in der gegnerischen Hälfte festsetzen.
Dieses Momentum hätten sie sich allerdings in die Haare schmieren können und müssen, hätte Leitsch nach der erwähnten einstudierten Freistoßvariante frei vor dem Tor den Fuß irgendwie passend hinter den Ball gebracht. Itakura war aus dem Spiel geblockt worden, stattdessen sah Scally interessiert zu, wie Leitsch sein Schienbein nutzte, um den Ball weit über den Kasten zu setzen. Auf der Gegenseite entfachte Mönchengladbach in den letzten fünf Minuten ein plötzliches Chancengewitter. Aber weder Stöger bei einem Freistoß, noch Jenz bei einem Eigentorversuch per Kopf, weder Weigl von der Strafraumkante, noch Itakura im Nachschuss vermochten den glänzend aufgelegten Zentner zu überwinden. Weshalb keine mit ebensolchem Gewicht versehende Last von den Herzen der Borussenfans fiel und das Gerede von den zwei Siegen nacheinander vorerst kein Ende haben wird.
Was bleibt nach einem solchen Spiel, das einen merkwürdig unbefriedigt zurücklässt? In den Sekundenbruchteilen, als Itakuras Schuss in der letzten Spielszene aufs Tor zutrudelte hatte man kurz gespürt, wie sich ein solcher zweiter Sieg in Folge anfühlen würde, aber es sollte letztlich nicht sein. Natürlich ist es eine rein mentale Debatte, denn würden sich Heimsiege und Auswärtsunentschieden in schöner Regelmäßigkeit abwechseln, es gäbe es äußerst passable Punkteausbeute. Aber nun, da diese Serie in der Welt ist, fühlt es sich ein wenig an, wie die dunkle Zeit, in der man auswärts einfach gar nicht mehr gewinnen konnte. “Zweisiegdeppen”, das ist nun wirklich fast so schlimm wie “Zweiohrküken”.
Wir wollen also schnell an schönere Dinge denken und positive Aspekte hervorheben: Borussia hat auf einen Rückstand eine Antwort gefunden und sich am Ende sogar in ein Spiel hinein gekämpft. Man gönnt Tim Kleindienst dieses Tor besonders, macht es seinen Besuch im Sportstudio am heutigen Abend sicher viel angenehmer. Bester Borusse war allerdings beileibe nicht er, sondern natürlich Rocco Reitz, der sich mit einer Vehemenz in die Zweikämpfe warf und neben dem wieder einmal äußerst blassen Weigl quasi im Alleingang dieses Ding mit der Resilienz zeigte, die Farke seinerzeit so gerne herbeireden wollte. Der jetzige Übungsleiter hat immerhin endlich mal in einem Spiel verschiedene Herangehensweisen und sich an Impulsen von außen erprobt, auch das wollen wir hervorheben. Nicolas ließ sich nur von Lainer bezwingen und schlug dazu brauchbare lange Bälle. Und schließlich, auch wenn in einer idealen Welt sogar das Siegtor noch gefallen wäre: Man hat in einer über 90 Minuten gesehen unterlegen geführten Partie immerhin einen Punkt mitgenommen und nur ein Gegentor zugelassen, ja sich sogar das auch nur selbst reingelegt. Denn die meisten Abschlüsse, die man Mainz gestattete, waren nicht wirklich gefährlich; wenn aber doch, war immer wieder ein Gladbacher Abwehrbein oder –kopf im Weg. Das ist nicht nur Zufall, sondern auch eine gewisse Qualität.
Das ist alles wirklich positiv. Der einzige Haken ist, dass einem nichts davon die Fantasie gibt, wie man am Mittwoch das Ausscheiden aus dem DFB-Pokal vermeiden will. Und dass man in dem Fall am Sonntag gegen Bremen zumindest gefühlt wohl schon wieder am Scheideweg stehen wird.