11. Mai 1985 : Der Stadionbrand von Bradford City: Wie eine Meisterfeier in einer Flammenhölle endete
Im Mai 1985 kommt es im englischen Bradford zu einem schweren Unglück. Beim Spiel der Drittligisten Bradford City gegen Lincoln City im Valley-Parade-Stadion fängt die hölzerne Stadiontribüne Feuer. Es wütet so schnell, dass die Zuschauer kaum Zeit haben, sich vor den Flammen zu retten.
Als die Spieler von Bradford City am 11. Mai 1985 das Spielfeld betreten, könnte die Stimmung nicht ausgelassener sein. Mit einem 2:0-Sieg gegen die Bolton Wanderers hatten sie bereits im vorletzten Spiel der Saison den Meistertitel der Third Division geholt und waren in die Zweite Liga aufgestiegen. Das hat es 48 Jahren lang nicht mehr gegeben. Heute können sie also ganz ohne Druck gegen die Gäste aus Lincoln City auflaufen. Auch deshalb ist das Valley-Parade-Stadion in der englischen Grafschaft West Yorkshire mit 11.076 Zuschauern an jenem Samstagnachmittag nahezu ausverkauft. Rund 3000 Zuschauer haben es sich auf der 80 Jahre alten Holztribüne gemütlich gemacht. Der rund 90 Meter lange Aufbau liegt am Hang eines Hügels. Der Zugang erfolgt über einen langen Korridor, der sich fast über die gesamte Länge der Tribünen-Rückseite erstreckt. Die Pläne für die neue Saison sehen vor, die alte Holzkonstruktion abzureißen und durch eine Stahlkonstruktion zu ersetzen. Die Holzterrassen sollen durch Beton ersetzt werden. Die Träger für die Haupttribüne liegen schon bereit, gleich neben dem Parkplatz. Zwei Tage nach dem Spiel sollen die Abrissarbeiten für rund 400.000 Pfund beginnen
Bereits im Juli 1984 flatterte dem Verein eine Warnung ins Haus – von einem Ingenieur des Bezirksrats. Er monierte die Ansammlung von Müll unter der Tribüne aufgrund einer Lücke zwischen den Sitzen. Dort liegt allerhand Zeugs – Zigaretten- und Streichholzschachteln, Plastikbecher und Flaschen, Zeitungen und Chipstüten. Schon eine achtlos weggeworfene Zigarette könnte hier für eine Brandkatastrophe sorgen, heißt es. Dass es ausgerechnet heute zu einer solchen kommen soll – damit rechnet wohl niemand.
Das Feuer von Bradford City nahm zunächst niemand ernst
Noch vor Anpfiff nehmen die Spieler überglücklich die Trophäe entgegen. Was dann folgt, könnte man als einen "müden Kick" bezeichnen. Kurz vor der Halbzeit steht es immer noch 0:0 im Valley-Parade-Stadion. Die Partie wird live im TV übertragen. Es ist 15.41 Uhr, als Kommentator John Helm das Feuer auf der Tribüne drei Reihen hinter Block G bemerkt. "Wir haben tatsächlich ein Feuer auf der Tribüne auf der anderen Seite des Platzes. Und das sieht in der Tat sehr böse aus." Doch keiner der Zuschauer bemerkt die Tragödie, die sich da vor ihren Augen ausbreitet. Dave Evans, ein Spieler von Bradford City, erinnert sich, wie die Fans auf der Tribüne plötzlich unruhig werden. "Wir haben nicht begriffen, was da los ist."
Karl Hepton ist einer der Überlebenden, die sich in einer TV-Dokumentation an den Tag erinnern. Der damals 9-Jährige ist mit seiner 64-jährigen Großmutter im Stadion. "Die Leute haben zunächst gelacht und gesungen, man soll das Feuer doch auspinkeln. Dann fingen sie an, sich vom Rauch wegzubewegen." Das Spiel wird unterbrochen und das Feuer breitet sich rasend schnell aus. Angefacht von Windstößen schießen der Rauch und die Flammen quer über die Sitzreihen. Weil sich die Hitze unter dem mit Asphaltplatten bedeckten Holzdach staut, kommt es nach nur rund zwei Minuten zu einem sogenannten Feuersprung und das hochentzündliche mit Teerpappe bedeckte und mit Asphalt versiegelte Holzdach steht plötzlich explosionsartig in Flammen. Die Hitze ist so enorm, dass sie im ganzen Stadion zu spüren ist. Brennende Hölzer und geschmolzene Materialien fallen vom Dach auf die Zuschauer, die kaum Zeit haben, sich in Sicherheit zu bringen.
"Plötzlich schwappte der Qualm wie eine Welle auf die Rückseite der Tribüne", erinnert sich der damals 26-jährige Polizist Glynn Leesing. "Der Rauch war beißend und wie Teer. Richtig dick, schwarz und ätzend – einfach entsetzlich. Wir versuchten, die Leute auf das Spielfeld zu lotsen, aber sie hörten nicht auf uns und rannten in Panik zur Rückseite der Tribüne. Dort sind die Korridore ebenfalls in schwarzen Rauch gehüllt. Menschen stehen nun dicht zusammengepfercht in den Gängen, sie drücken und schieben, stolpern übereinander. "Ich hörte sie am Boden schreien und stöhnen", so Karl Hepton, dessen Großmutter verzweifelt versucht, ebenfalls über die Rückseite der Tribüne der Feuerhölle zu entkommen. Die einzigen Feuerlöscher vor Ort sind nicht in greifbarer Nähe.
Ausgänge und Drehkreuze im Stadion sind mit Schlössern verriegelt
David Hall ist an jenem verhängnisvollen Tag mit seinem Vater im Stadion. Der alte Mann kann nicht mehr gut laufen. Jetzt drängt ihn sein Sohn, mit ihm über die Sitzreihen zu klettern. "Er war groß und schwer, konnte kaum atmen. Wir kamen nur sehr langsam und schwerfällig hinunter zu der Stehplatz-Sektion. Es dauerte ewig." Zwar gibt es keinen Zaun zwischen Tribüne und Spielfeld, dafür jedoch eine Mauer, die an der Innenseite höher ist als an der Seite zum Platz. Es gibt weder Stufen zum draufsteigen noch Stangen zum hochklettern. "Wer dazu physisch nicht in der Lage war, sich selbst darüber zu heben oder nicht hinübergedrückt wurde, der hatte keine Chance", so Leesing, der zusammen mit seinen Kollegen und Stadionbesuchern so vielen Menschen wie möglich über die Mauer hilft.
Auf der Rückseite der Tribüne versuchen die Menschen panisch, über die Drehkreuze und die Ausgänge zu fliehen. Doch diese sind mit Vorhängeschlössern verriegelt und es sind keine Ordner da, um sie zu öffnen. Viele werden bei dem Versuch, unter den Drehkreuzen hindurchzukriechen, zerquetscht. In Panik werfen sich ein paar kräftige Männer gegen die Ausgänge und schaffen es so, einige der Türen zu öffnen.
Oben im hinteren Teil der Tribüne kämpft sich Heptons Oma weiter durch den dichten, toxischen Qualm, vorbei an einem Stadionkiosk. "Irgendwann zog eine Hand mich und meine Großmutter hinein", erzählt Karl Hepton. "Es war grau und ich konnte zum ersten Mal seit einer gefühlten Ewigkeit wieder das Spielfeld sehen". Der Mann schlägt ein Fenster an der Vorderseite des Kiosks ein. "Meine Oma hob mich auf, ließ mich über den Fenstersims baumeln und ließ mich zu den Sitzen hinunter. Sie sagte mir: 'Lauf! Lauf!' Und das tat ich auch." Er zieht seinen Schal vor sein Gesicht, schiebt seine Hände unter die Ärmel seiner Jacke und springt über die aufklappbaren Sitze. "Meine Kopfhaut schmerzte von den Tropfen der geschmolzenen Plane". Er schaffte es, auf das Spielfeld zu klettern.
Von dort kommen unermüdlich Polizisten und Zivilisten gelaufen, um Menschen über die Mauer zu helfen. "Wir liefen immer hin und her. Aber um Sauerstoff zu tanken und frische Luft zu atmen, musste man das halbe Feld überqueren", erinnert sich der damalige Polizeichef Terry Slocombe. "Irgendwann wusste man, man kann nicht wieder zurücklaufen, um weitere Menschen zu retten. Das war ein sehr schmerzhafter Moment." Diese Erfahrung macht auch David Hall, der es mit seinem Vater bis vor die Mauer schafft. "Ich kletterte hinüber und lief auf das Feld zu einem Polizisten und bat ihn, mir zu helfen, meinen Vater zu retten. Doch er sagte mir, es sei zu spät." Hilflos muss er mit ansehen, wie sein Vater von dem dichten Rauch und lodernden Flammen verschluckt wird.
56 Menschen sterben, mindestens 265 werden verletzt
Auf dem Spielfeld torkeln die Menschen wie Zombies umher. Bei einigen brennen Haare, Teile ihrer Kleidung, anderen hängt die Haut in Fetzen herunter. Ein Mann steht komplett in Flammen, als er über den Rasen geht. Fast so, als würde er einen Spaziergang machen. Sofort stürzen sich ein paar Männer auf ihn, ersticken die Flammen. Er schafft es zwar bis ins Krankenhaus, erliegt jedoch später – wie so viele andere – seinen schweren Verletzungen. Um 15.48 Uhr – nur vier Minuten nach Ausbruch des Feuers – steht die Tribüne lichterloh in Flammen. Obwohl die Feuerwehr sofort zur Stelle ist, kommt sie zu spät.
56 Menschen verlieren an jenem Tag ihr Leben, darunter elf Kinder. Die jüngsten Opfer, drei Jungs, sind elf Jahre alt. Das älteste Opfer ist ein 86-jähriger ehemaliger Vorsitzender des Fußballclubs. Ein Großteil der Toten wird bei den hinteren Ausgängen und den Drehkreuzen in der hinteren Mitte der Tribüne gefunden. Die meisten starben an einer Rauchvergiftung. Einige sitzen bis zur Unkenntlichkeit verbrannt immer noch auf ihren Sitzplätzen. Andere erliegen noch Wochen später im Krankenhaus ihren schweren Verletzungen.
Die Polizei arbeitet bis 4 Uhr am nächsten Morgen unter Beleuchtung, um alle Leichen zu bergen. Mit Hilfe von Schmuckstücken, Kleiderresten und durch eine Überprüfung der Zahnüberreste versuchen sie, die Identität der Opfer festzustellen. Mindestens 265 Menschen werden verletzt. Die meisten erleiden schwere Verbrennungen, müssen teils mehrere Operationen über sich ergehen lassen und liegen monatelang im Krankenhaus. Die Anteilnahme an ihrem Schicksal in der Bevölkerung ist riesig. Regelmäßig besuchen die Spieler des Vereins, Trainer und Offizielle die Überlebenden im Krankenhaus. Auch das britische Thronfolgerpaar, Prinz Charles und Prinzessin Diana, spricht den Patienten vor Ort Mut zu.
Indes ist eine Untersuchungskommission damit beschäftigt, die Ursache für das verheerende Feuer zu finden. Sie kommt später zu dem Schluss, dass eine weggeworfene Zigarette verantwortlich gewesen war. Diese hat die Berge von Abfall, die unter der Tribüne lagerten, entfacht. Bei Aufräumarbeiten findet die Polizei noch Reste von Zeitungen aus dem Jahre 1968 sowie alte Münzen und Zigarettenpackungen. Am 23. Februar 1987 wird der Verein FC Bradford City in einem Musterprozess für schuldig gesprochen und zu einer Schadenersatzforderung in Millionenhöhe verdonnert. Ein Drittel der juristischen Verantwortung wird der zuständigen Regionalbehörde von West Yorkshire aufgebürdet. In Folge der Untersuchung werden neue Holztribünen auf allen britischen Sportplätzen verboten und andere Holztribünen, die als unsicher eingestuft werden, sofort geschlossen. Auch ein Rauchverbot auf solchen Tribünen wird eingeführt.
Martin Fletcher, ein Überlebender, der an jenem Tag seinen Vater, seinen Großvater, seinen jüngeren Bruder und seinen Onkel verliert, verfolgt eine andere Theorie. Recherchen zu seinem im Jahr 2015 veröffentlichten Buch "Fifty-Six: The Story of the Bradford Fire" ergeben, dass es nicht das einzige Feuer im Zusammenhang mit dem damaligen Club-Boss Stafford Heginbotham war. Mindestens acht weitere Brände zwischen 1967 und 1981 sollen ihm rund 2,74 Millionen Pfund Versicherungssumme aus verschiedenen Entschädigungszahlungen eingebracht haben. Laut Fletcher stand er damals vor dem finanziellen Ruin und konnte die durch den Aufstieg notwendig werdenden Umbaumaßnahmen nicht bezahlen. Er beschuldigt Heginbotham nicht direkt der Brandstiftung, stellt aber die Frage: "Wie kann ein Mensch allein so viel Pech haben?"
Sehen Sie oben im Video: Bei einem Großbrand ist die Hälfte der historischen Börse in Kopenhagen zerstört worden. Was genau das Feuer ausgelöst hat, ist noch unklar. Nun wurden Aufnahmen aus dem Inneren des Gebäudes veröffentlicht.
Quellen: Youtube, One Day in May: The Story Of The Bradford Fire, Offizieller Untersuchungsbericht, Mirror, The Guardian,