1:0-Sieg über Serbien: Gottgleich für 20 Minuten: Wie Jude Bellingham Englands Spiel beherrscht

1:0-Sieg über Serbien: Gottgleich für 20 Minuten: Wie Jude Bellingham Englands Spiel beherrscht

Jude Bellingham hat England im ersten EM-Spiel fast allein zum Sieg über Serbien geführt und gezeigt: Er kann einfach alles. Er ist Torjäger, Spielmacher und Defensivarbeiter in einer Person. Jetzt muss nur noch sein Team mitziehen. 

Da saß er, der Player of the Match, und beantwortete die Fragen der Journalisten mit nervösem Charme. Jude Bellingham sprach schnell, aber routiniert. Der kleine Pokal, den er für die Auszeichnung bekommen hatte, stand vor ihm auf dem Tisch im Medienraum der Veltins-Arena. Zwischendurch zwinkerte er den Reportern zu und setzte ein jungenhaftes Lächeln auf. Gleichzeitig war ihm anzusehen, dass sich die Anspannung des ersten EM-Auftritts noch nicht gelegt hatte. Das erste Vorrundenspiel zur EM gegen die Serben, das England mit viel Mühe mit 1:0 durch ein Tor – natürlich – von Bellingham gewonnen hatte, steckte ihm mutmaßlich noch in den Knochen.

Was war das zuvor für ein Auftritt des 20-Jährigen – zumindest in der ersten Halbzeit. Mit einem wuchtigen Halbflugkopfball in der 13. Minute erzielte Bellingham den Siegtreffer, den er selbst eingeleitet hatte. Zehntausende englische Fans, die den serbischen Anhängern zahlenmäßig deutlich überlegen waren, stimmten "Hey Jude" von den Beatles an. Ein stimmgewaltiger Chor zur Feier ihres Helden.

Jude Bellingham will das Spiel beherrschen

Auch englische Fußballreporter konnten sich hinterher auf der PK nicht ganz davon frei machen. Die Begeisterung gipfelte in der Frage, ob es angesichts seiner Leistungen und Erfolge sich so anfühle, "dass da nichts mehr jenseits vom ihm" sei. Erst mit Real Madrid die Champions-League gewonnen und jetzt dieser beeindruckende Auftritt. Da ist kein Platz mehr für Gott, geschweige denn für andere Fußballer, so konnte man das verstehen.

Der Ex-Dortmunder antwortete so, wie man auf so eine Überhöhung, in eine Frage verpackt, antworten muss: "Ich weiß es nicht, es macht mir einfach Spaß, Fußball zu spielen". Was soll man dazu auch sagen? Es folgten routinierte Sätze, die er so ähnlich früher schon gesagt hatte: "Die Wahrheit ist, dass ich es wirklich genieße, Fußball zu spielen, und wenn ich da rausgehe, spiele ich mit einer Furchtlosigkeit, weil ich es so sehr liebe. Es ist wie eine Befreiung für mich. Es ist meine Lieblingssache auf der Welt. Es fühlt sich nicht wie ein Job an, es ist ein Vergnügen." Kein Motivationscoach hätte eine bessere Antwort finden können.Rollenspieler22.10

Aber es stimmt ja. Bellingham will das Spiel beherrschen. Er schafft es, Spielmacher und Torjäger in einer Person zu sein, nebenbei gibt er den Defensivarbeiter, der sich für ein hartes Tackling nicht zu schade ist. Bellingham "dampframmte" sich durch die Partie, textete das Fußball-Magazin "11Freunde", was irgendwie passte. Jeder Gegenspieler muss während der 90 Minuten damit rechnen, einmal auf Bellingham zu treffen. Das macht ihn unberechenbar. Kein anderer Profi verfügt über eine derartige Präsenz auf dem Rasen. Für ihn existiert keine klassische Heatmap, eine Grafik, die die hauptsächliche Position eines Spielers auf dem Rasen anzeigt. Bellinghams Heatmap ist das gesamte Spielfeld. 

Die Wahrheit ist gewöhnlicher

Wie bei jeder Überhöhung sieht die Wahrheit natürlich gewöhnlicher aus. Genau genommen zeigten er und seine Mitspieler nur in den ersten 20 Minuten, warum sie neben Frankreich zu den größten Favoriten auf den EM-Sieg zählen. Danach zogen sie sich mehr und mehr zurück und überließen den Serben zunehmend das Spiel. Die zweite Hälfte gehörte fast komplett dem Gegner, der es lediglich versäumte, echte Torchancen zu kreieren. Kapitän Harry Kane war genau das Gegenteil von Bellingham, für ihn war es ein Spiel zum Vergessen. Der Bayern-Torjäger war während des gesamten Spiels komplett abgemeldet, was auch daran lag, er dass die Serben ihn regelmäßig per Foul auf den Rasen schickten. Seine einzige Torchance hatte er gegen Ende der Partie, doch sein Kopfball wurde von Serben-Keeper Predag Rajkovic mit einem Blitzreflex an die Latte gelenkt.

EM 2024 kompakt Fußball

So hatte die Partie zwei komplett unterschiedliche Gesichter. Bellingham passte sich an und nahm sich ebenfalls eine längere Pause, in der er sich auf die Defensivarbeit konzentrierte. In seinem Urteil wollte er aber nicht zu kritisch mit der Mannschaft sein. Auf die Nachfrage, ob das Nachlassen und die passive Spielweise zeigten, dass die Mannschaft in der Entwicklung stecke, antwortete er: "Dem kann ich nicht zustimmen. Ich denke, die erste Halbzeit hat gezeigt, warum wir gegen jede Mannschaft Tore schießen können, und die zweite Halbzeit hat gezeigt, warum wir gegen jede Mannschaft eine weiße Weste behalten können."

Das ist die positive Interpretation. Es ist eine Kunst, eine frühe 1:0-Führung gegen einen starken Gegner über die Zeit zu bringen. Das Problem an diesem Abend war nur: Trotz der großen Bellingham-Show war nicht klar, wie viel Glück für das Team von Nationaltrainer Gareth Southgate im Spiel war. Die Engländer werden sich nicht immer auf Bellingham verlassen können.

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