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Forscher Enzo Weber: Studie zum Bürgergeld: "Sanktionen sind schon sehr schwach geworden"

Stern 
Forscher Enzo Weber: Studie zum Bürgergeld:

Das Bürgergeld, der Nachfolger von Hatz IV, gibt es seit Januar 2023. Und so lange auch die Debatte darüber, ob die lockereren Regeln der Reform für mehr Arbeitslosigkeit sorgen. Nun gibt es die erste Studie, die die Folgen des Bürgergeld untersucht.

Seit dem 1. Januar 2023 bekommen deutsche Arbeitslose kein Hartz IV mehr, sondern Bürgergeld. Für die Ampelkoalition markierte dies die größte Sozialreform ihrer Amtszeit. Die Einführung war jedoch heftig umstritten. Kritiker, insbesondere in der CDU/CSU, warnten, dass das Bürgergeld die Arbeitsmotivation der Deutschen verringern und den Anreiz für die Einwanderung in die Sozialsysteme erhöhen könnte.

Die Kritik basiert hauptsächlich auf den gelockerten Bedingungen im Vergleich zu Hartz IV: Die Sanktionen wurden abgeschwächt, die Regelsätze angehoben, im ersten Jahr des Bezugs übernimmt der Staat sogar die Wohnkosten. Außerdem dürfen Empfänger des Bürgergeldes höhere persönliche Vermögen besitzen.

Bislang war es schwierig, die Annahme zu belegen, dass das Bürgergeld letztendlich zu einer höheren Arbeitslosenquote führt, da belastbare wissenschaftliche Beweise fehlten. Jetzt hat jedoch das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) eine Studie durchgeführt, die genau diese Verbindung untersucht.

5,7 Prozent weniger Jobaufnahmen aus Grundsicherung

Die Kernerkenntnis der von IAB-Ökonom Enzo Weber durchgeführten Studie: Seit Einführung des Bürgergelds haben 5,7 Prozent weniger Menschen in der Grundsicherung einen Job aufgenommen. Insgesamt seien die Jobaufnahmen jedoch um 20 Prozent nach unten gegangen. Dies zeige, dass andere Gründe wie etwa der Wirtschaftsabschwung eine größere Rolle spielten, so Weber.

Gegenüber dem stern sagt der Forscher: "Die Arbeitsauflagen sind insgesamt zu schwach." Die Idee der Reform sei an sich richtig. Nun müsse man dafür sorgen, dass man sie mit mehr Verbindlichkeit und Arbeitsaufnahmen zusammenbringt.

Wer bekommt eigentlich Bürgergeld und wer nicht?

"Die Regelsatzerhöhung ist im Grunde in Ordnung gewesen. Sie ist als Grundminimum definiert und daran muss man sich auch halten." Das Problem sei der Anpassungsmechanismus an die Inflation. Dadurch seien die Leistungen im letzten Jahr um etwa 12 Prozent gestiegen. Dieses Jahr werden sie aufgrund der niedrigeren Inflation wieder senken. "Dieses Hin und Her ist unglücklich und irritiert." Weber schlägt vor, den Mechanismus anzupassen.

Zu den Sanktionen sagt Weber: "Die Sanktionen sind schon sehr schwach geworden." Die Forschung habe gezeigt, dass Sanktionen vor allem eine Art Abschreckungscharakter haben. So können sie schon im Vorhinein Verhalten beeinflussen. Wenn der Druck auf einen Arbeitslosen aber zu sehr erhöht wird, birgt dies Risiken: Er nimmt einen schlechten Job an, den er bald wieder verliert, entfremdet sich am Ende gänzlich vom Arbeitsmarkt. Weber plädiert deshalb für längere mittelscharfe Sanktionen, die aufgehoben werden können, wenn der Arbeitslose wieder mitwirkt.

Langzeitarbeitslosigkeit brisant

Weber betont vor allem das Problem der Langzeitarbeitslosigkeit. "Wenn sich der Trend über die Jahre fortsetzt, summiert sich die Zahl derer, die in der Grundsicherung verbleiben. Arbeitslosigkeit setzt sich fest." Speziell bei deren Abbau bedürfe es des richtigen Maßes. Wenn Sanktionen ausgesprochen werden, dann sollten sie eher über längere Zeiträume verhängt werden, statt sie überhart zu beschließen. Es mache auch keinen Sinn, einen Widerspruch von Vermittlung und Weiterbildung aufkommen zu lassen. "Langzeitarbeitslosigkeit abzubauen, erfordert einen langen Atem", so Weber.

Die Langzeitarbeitslosigkeit ist derzeit eines der großen Probleme des deutschen Arbeitsmarktes. Obwohl eine große Zahl von offenen Stellen zur Verfügung steht und viele Unternehmen über einen Mangel an Arbeitskräften klagen, sind auf der anderen Seite fast eine Million Menschen länger als ein Jahr ohne Job - und gelten damit als langzeitarbeitslos. Viele von ihnen sind bereits älter, häufig ist auch die schlechte oder nicht mehr zeitgemäße Qualifikation ein Hindernis für die Aufnahme einer Arbeit.  Die Vorstandsvorsitzende der Bundesagentur für Arbeit, Andrea Nahles, hatte zuletzt von Verfestigungstendenzen in diesem Bereich der Arbeitslosigkeit gesprochen.

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