Neue Doku in ARD-Mediathek: Schlechter Schertz oder guter Schertz? Der Medienanwalt und seine ganz eigene Moral
Christian Schertz ist der bekannteste Medienanwalt des Landes, gilt als Bluthund der Promis. Eine neue ARD-Dokumentation will nun ausloten, was diesen Mann antreibt, der den Fall Dieter Wedel ins Rollen brachte – aber auch Till Lindemann vertritt.
Wohl kaum ein Journalist bekommt gern Post von Christian Schertz. Der 58-jährige Jurist ist berühmt-berüchtigt dafür, hart gegen Medienberichterstattung vorzugehen. Zuletzt geisterte sein Name im Fall Lindemann durch die Medien: Die Berliner Kanzlei Schertz Bergmann vertrat den Rammstein-Sänger und war, zum Teil erfolgreich, gegen die Berichterstattung des "Spiegel" vorgegangen.
Nun, kurz bevor Rammstein wieder auf Tour geht, nimmt eine neue Dokumentation den sogenannten Medienanwalt unter die Lupe. Eine Stunde lang gibt "Der Star-Anwalt: Christian Schertz und die Medien" von Nora Binder Einblick in Schertz' Arbeit.
STERN PAID 15_24 Luke Mockridge IV
Beschrieben wird der Film in der ARD-Mediathek als einer über "Moral, Medien und mächtige Männer". Wer denkt, Alliterationen stünden fast immer für leere Versprechen, irrt in diesem Fall: Tatsächlich ringt die Dokumentation dem Thema interessante Perspektiven ab. Sehenswert ist sie auch für Menschen außerhalb der Medienbranche, weil sie Fragen aufwirft, die wir uns als Gesellschaft stellen müssen: Wie umgehen mit MeToo-Vorwürfen? Überwiegen die Interessen der mutmaßlicher Täter oder doch die mutmaßlicher Opfer? Wie lässt sich die Unschuldsvermutung gegen moralische Empörung ausbalancieren?
Große Fragen, für die große Namen vor die Kamera gezogen werden.
Nur wird die Arbeit von Schertz nicht in dem Maße problematisiert, wie sie prominent gefeiert wird: Beispielsweise von Günther Jauch oder dem ehemaligen Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg, die beide die Arbeit des Anwalts loben. Der Beifall gipfelt in einem sehr langen Auftritt von Schriftsteller Benjamin von Stuckrad-Barre, der in der ihm eigenen Art bereitwillig mit Juristenkumpel Schertz vor der Kamera herumkaspert und den langjährigen Freund beschwärmt, der ihn ja doch immer "beschützen" würde. Es hat vorab Kritik an der Dokumentation gegeben, Einseitigkeit wurde ihr vorgeworfen, in solchen Momenten durchaus zurecht. Und doch sind, so fair muss man bleiben, diese Szenen natürlich auch unterhaltsam.
STERN PAID Lindemann Kommentar, 19.45
Christian Schertz und Moral?
Später widmet sich der Film dann der vermeintlich "anderen" Seite von Schertz: Der vertrat nämlich nicht nur Männer, denen Übergriffe vorgeworfen werden, sondern auch Frauen, die MeToo-Vorwürfe erhoben, und zwar im Fall von Dieter Wedel. Hier macht die Doku zu große Versprechen: Sie versucht, das Moralverständnis von Schertz zu ergründen, will Psychogramm sein, ihre Figur auf die Couch legen – anhand der Mandanten, die er vertritt. Das scheitert, weil es scheitern muss.
Auffällig gleichwohl, wie oft sich Schertz selbst widerspricht. Beispielsweise, wenn er einem Anwalt der gegnerischen Seite vorwirft, "Dreck zu vertreten" (gemeint ist die Yellow Press), und andererseits aber ausschließt, in seinem Beruf moralisch zu bewerten – nein, das wolle er dem Gesetz überlassen.
PAID Stuckrad-Barre Medienrechtler 16.57
Oder wenn er, der allseits Gefürchtete, vor Gericht bedingungslos gegen seine Gegner vorgeht – aber in der nächsten Einstellung fordert, "Sanftmut und Gnade" walten zu lassen "gegenüber Menschen, die Fehler gemacht haben." Verwerflich ist daran nichts, der ständige Perspektivwechsel gehört zum Job des Anwalts, und man sollte bloß nicht vom Vergehen des Mandanten auf die Moral des Verteidigers schließen. Aber es wären gleichwohl Gelegenheiten gewesen, Schertz seine innere Zerrissenheit einmal vorzuhalten statt sie, wie das Regisseurin Binder leider macht, allzu schnell in Brachialmusik und Effektsound zu ertränken.
Am Ende verdankt es sich deshalb nicht der Raffinesse der Dokumentation, sondern Schertz selbst, der sich mit einer profanen Feststellung entzaubert: Er sei einfach eine radikale Vertretung für die Interessen seiner Mandanten, sagt der Anwalt.
Ein schönes Schlussplädoyer. Für welche Moral auch immer.