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Fried – Blick aus Berlin: Die SPD als Partei der Selbstgerechtigkeit: Worauf Kevin Kühnert jetzt aufpassen sollte

Stern 
Fried – Blick aus Berlin: Die SPD als Partei der Selbstgerechtigkeit: Worauf Kevin Kühnert jetzt aufpassen sollte

Kevin Kühnert ist schnell im Kopf und mit dem Mund. Sein Wort von der "Kontaktschande" jedoch war überflüssig. Nicht nur, weil die Grünen jetzt sauer sind.

Kevin Kühnert hat einen Fan, von dem er nichts weiß: mich. Der SPD-Generalsekretär ist eine der originellsten Figuren im politischen Geschäft, schnell im Denken, schlagfertig im Reden.

Im Mai 2022 sagte Kühnert in einer Talkshow über die damals noch von vielen (auch von mir) hochgelobte Kommunikation Robert Habecks: Er finde dessen Art zu reden auch schön, selbst der Wirtschaftsminister wolle aber nach vier Jahren wegen guter Politik wiedergewählt werden "und nicht den Ingeborg-Bachmann-Preis gewinnen". Ich glaube, das war das letzte Mal, dass ich bei einer Talkshow laut gelacht habe, jedenfalls vor Freude über einen guten Gag.

Das alles macht aus Kühnert noch keinen guten Politiker, aber doch einen, dem man gern zuhört, wenn er über Politik spricht. Auf SPD-Parteitagen achte ich darauf, Kühnerts Auftritte nicht zu verpassen. Das kann ich von Reden anderer Genossen, die in der SPD hohe Ämter haben, nicht behaupten.

Nun hat sich Kühnert mit seinem schnellen Mundwerk Ärger eingehandelt. Am Tag nach der Europawahl führte er das lausige Ergebnis der SPD auch darauf zurück, dass potenzielle Wähler mit den Koalitionspartnern FDP und Grüne fremdelten. Diese Abneigung falle dann auf seine Partei zurück. Kühnert sprach von "Kontaktschande".

Der beleidigte Sound von Kevin Kühnert

Die Grünen regten sich darüber sehr auf. Und der CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt sagte, das inkriminierte Wort zeige, wie weit die Zerrüttung der Ampel fortgeschritten sei. Niemand kann das besser beurteilen als Dobrindt, der 2010 seine Kontaktschande gegenüber dem damaligen Koalitionspartner FDP in dem Wort "Gurkentruppe" auslebte.

Nun kann man über die Frage, ob Koalitionspartner auf ehemalige oder potenzielle Wähler abschreckend wirken, durchaus diskutieren. Manchem ehemaligen FDP-Wähler geht das mit Blick auf SPD und Grüne ganz sicher so. Vielleicht haben sich auch deshalb die Liberalen gar nicht vernehmbar über Kühnert aufgeregt. Wenn man allerdings an den Beginn einer solchen Diskussion ein Wort wie "Kontaktschande" stellt, darf man sich nicht wundern, dass die Gesprächsbereitschaft des Gegenübers nicht sonderlich ausgeprägt ist. Die Grünen-Vorsitzende Ricarda Lang, die aus dem Land der Kehrwoche kommt, hatte nicht unrecht mit ihrem Appell, nach einer solchen Niederlage einer Koalition wie bei der Europawahl möge ein jeder erst einmal vor seiner Türe fegen.

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Was mich allerdings noch ein bisschen mehr stört an Kühnerts Wort, ist dessen beleidigter Sound. Die SPD hat über die Jahre eine unangenehme Neigung entwickelt, sich am Koalitionspartner abzuarbeiten, wenn es für sie selbst schlecht lief. So war es, als der Bundeskanzler Gerhard Schröder die Grünen mal "zum Kotzen" fand. So war es, als einer von Kühnerts Vorgängern, Hubertus Heil, moserte, die SPD arbeite in der Großen Koalition im Maschinenraum, während sich Angela Merkel auf dem Sonnendeck aufhalte. So war es immer wieder, wenn die SPD beklagte, die CDU-Kanzlerin mache sich sozialdemokratische Errungenschaften für ihre eigenen politischen Zwecke zunutze. In Wahrheit mochte sich die SPD oft nicht zu gemeinsamen Erfolgen der schwarz-roten Koalition bekennen, weil sie selbst ihre Kontaktschande zur Union nicht ablegen konnte.

Die große alte SPD war immer eine Partei der Gerechtigkeit. Kevin Kühnert sollte aufpassen, dass sie nicht auch zur Partei der Selbstgerechtigkeit wird. Damit gewinnt man keine Wahlen. Und den Bachmann-Preis schon gar nicht.

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