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CEO Eliott Wertheimer: Wie die E-Bike-Marke Vanmoof überleben will und was geprellte Altkunden erwartet

Stern 

Mit McLaren Applied hat die in Ungnade gefallene Kult-E-Bike-Marke VanMoof nach der überraschenden Insolvenz eine zweite Chance bekommen. Dem stern verrät Firmenchef Eliott Wertheimer, wie ihm die Kehrtwende gelingen soll, was man für frustrierte Kunden tun kann. Aber auch, was nicht.

Herr Wertheimer, nochmal für alle: Was ist eigentlich mit Vanmoof passiert?
Vergangenen Sommer haben die Kosten Vanmoof endgültig eingeholt. Die Firma hat trotz ihrer tollen Arbeit ein paar Fehler gemacht, die zusammen mit einigen ungünstigen Marktbedingungen zum Ende geführt haben. Da wäre zum Beispiel die Marge. Vanmoof war, das mag komisch klingen, viel zu günstig. Mit den Rädern hat das Unternehmen kaum Geld verdient. Außerdem gab es eine Zeit beinahe verschwenderischer Kulanz, in der selbst Verschleißteile kostenlos getauscht worden sind. In dieser Phase war das natürlich Absicht – denn das Ziel war rasantes Wachstum und das Geld kam von Investoren.

Und trotzdem hatten die Räder den Ruf, nicht lange zu halten.
Das stimmt. Es gab Zuverlässigkeitsprobleme. Das war aber eigentlich keine Katastrophe. Hätte Vanmoof ein Drittanbieternetzwerk, die richtigen Margen und weniger ausladende Ausgaben für Reparaturen gehabt, wäre das viel Aufwand gewesen, aber machbar. Da aber der Aufbau der Technik der Bikes zusätzlich sehr kompliziert war und jeder Eingriff gleich einen halben bis ganzen Arbeitstag nach sich zog, wurde das zur überwältigenden Last für die hauseigenen Werkstätten, von denen es nicht genug gab.

Klingt nach zu viel in zu kurzer Zeit.
Genau das ist das Problem. Vanmoof hat vieles sehr gut gemacht, wollte aber zu schnell wachsen und dabei alles selber machen. Eigene Standorte, eigene Mechaniker, eigene After-Sales-Abteilung, die berühmten Bike Hunter und so viel mehr. Als dann das wirtschaftliche Umfeld kippte und Vanmoof erkannte, dass die Ausgaben Überhand nehmen, war es bereits zu spät, um den Kurs noch zu ändern.

Eliott

Warum haben Sie dieses offenbar verlustreiche Business übernommen?
Die Marke Vanmoof war viel stärker und bekannter, als wir zunächst gedacht haben. Das korreliert nicht unbedingt mit den Verkäufen, aber auch in Märkten, in denen nur wenige Tausend E-Bikes verkauft worden sind, kannten viele Menschen den Namen und die Optik. Das ist eine riesige Chance für Wachstum. Außerdem hat Vanmoof bis heute eine treue Fangemeinde, die das Unternehmen trägt. Sowas ist immens wertvoll. Ebenso beeindruckt waren wir von der Qualität der Technik. Vanmoof E-Bikes sind sehr fortschrittlich und das technische Ökosystem auf einem extrem hohen Level. Das Paket ist aus meiner Sicht die Arbeit wert, die wir investieren müssen. Zumal wir glauben, eine Lösung zu haben.

Die da wäre?
Wir wissen, warum es beim ersten Anlauf nicht geklappt hat. Also ändern wir die Strategie. Es wird zum Beispiel nie wieder eigene Vanmoof-Standorte geben. Den ein oder anderen Showroom schließe ich nicht aus, aber das Werkstattnetz überlassen wir etablierten Partnern, die wir aktuell in großer Zahl schulen und so unserem Netz jede Woche neue Adressen hinzufügen können. Außerdem bieten wir die Fahrräder für Preise an, die wir für angemessen halten und mit denen wir keinen Verlust machen.

Was ist seit der Übernahme durch McLaren Applied passiert?
Als wir übernommen haben, lag Vanmoof bereits in Scherben. Also mussten wir trotz etablierter Marke quasi bei Null anfangen. Innerhalb weniger Wochen haben wir etwa 100 Mitarbeiter eingestellt – viele davon Ehemalige – und mit Zulieferern gesprochen, die zuvor mit Vanmoof gearbeitet hatten. Das war wirklich nicht einfach, weil es da natürlich noch zahlreiche offene Rechnungen gibt, um die sich der Insolvenzverwalter noch kümmern muss. Und dann begann das große Aufräumen: Fahrer, die ein Bike besitzen, sollten wieder Hilfe bei Problemen bekommen, Technik musste gerettet und auf unsere Systeme übertragen werden und das Werkstattnetzwerk musste aufgebaut werden. Die ehemaligen Vanmoof-Servicestellen waren allesamt dicht. Das aktuelle Jahr steht im Zeichen des Vertrauens. Da ist viel in die Brüche gegangen, was sich allerdings zu retten lohnt. Aber das wird verdammt viel Arbeit.

Guter Punkt. In den sozialen Medien erntet Vanmoof unter jedem Beitrag eine Menge Kritik. Die Menschen sind aufgebracht. Darüber müssen wir später noch reden. Wie schwer wurde der Ruf der Marke beschädigt und wie hart ist es, sie zu retten?
Eine Marke ist wie ein Bankkonto für Vertrauen. Und da ist Vanmoof natürlich aktuell beinahe im Dispo. Aber das „Konto“ gibt es schon lange und ist vielen ein Begriff. Also kann man sofort investieren und muss nicht erst eine Marke erfinden – oder um bei der Metapher zu bleiben: ein neues Konto eröffnen. Wir merken, dass die Menschen nach wie vor an Vanmoof interessiert sind, noch mehr Menschen die Marke kennen und einige die ganze Geschichte rund um die Insolvenz gar nicht mitbekommen haben. Diese Menschen kann man alle mitnehmen und vom Neuanfang überzeugen. Das Prinzip unterscheidet sich wenig von Marken wie MG oder Blaupunkt, wo auch ein neues Unternehmen unter bekannter Flagge produziert – nur das wir nicht auf Masse setzen, sondern mit Qualität und nachhaltigen Produkten überzeugen wollen. Einem guten Freund gibt man im echten Leben auch schneller eine zweite Chance als man jemandem, den man nicht kennt, sein Vertrauen schenkt.

Britische Polizei 18:03

Was ist mit denen, die jetzt so richtig sauer auf Vanmoof sind? Immerhin stehen bis heute Hunderte Bestellungen aus und die Menschen warten auf ihre Räder oder ihr Geld.
Dessen sind wir uns sehr bewusst, aber da müssen wir leider klar trennen. Die offenen Bestellungen des insolventen Unternehmens können wir unmöglich bedienen. Dann wären wir morgen ebenfalls pleite. Alles, was mit den Finanzen vor dem Neustart zu tun hat, liegt in den Händen der Insolvenzverwalter. Die Gelder oder die bestellten Fahrräder gehörten nie uns – wir haben darauf keinen Zugriff. Ob und wie viel dort geliefert oder erstattet wird, kann ich nicht sagen. Ich hoffe natürlich, dass Entschädigungen folgen, aber ich habe es nicht in der Hand. Das liegt alleine bei der Insolvenzverwaltung.  Wir müssen vorwärts schauen. Sollten wir mit Vanmoof 2.0 Erfolg haben, werden wir sicherlich auch Lösungen für die finden, die leer ausgegangen sind. Aber aktuell ist das nicht umsetzbar.

Wem kann denn konkret überhaupt noch geholfen werden?
Wenn es um offene Rechnungen geht, müssen sich die Leute an den Insolvenzverwalter wenden. Wem wir heute helfen können, sind Menschen, die bereits ein E-Bike haben und auf Teile oder Support angewiesen sind. Leider konnten wir die Lieferketten für alle Modelle vor dem S3 und dem X3 nicht reaktivieren. Einige Werkstätten bieten für diese Räder eigene Lösungen – etwas Offizielles wird nicht mehr kommen. Für diese Fälle haben wir alle Werkstatthandbücher veröffentlicht, um so gut es geht zu unterstützen. Alle späteren Modelle können wir in den Werkstätten instand setzen und teilweise sogar verbessern, weil wir die Ersatzteile haben und diese zum Teil optimieren konnten.

Aber die verkaufen Sie immer noch nicht an Endkunden.
Nein, das ist richtig. Wir kennen die Rufe der Kunden, die uns gerne die Teile abkaufen würden, um die Fahrräder selbst zu reparieren. Aber das halten wir für den falschen Weg. Insbesondere wenn es um die Elektronik geht, ist die Reparatur wirklich nicht einfach und ohne das richtige Werkzeug kann man die Diagnose nicht korrekt durchführen. Wenn deshalb beim Heimwerken ein Teil kaputt geht, ist der Frust am Ende noch größer, weil es womöglich teuer war und zu nichts geführt hat.

Was sollen die Kunden denn machen, die fern von jedem Partnerbetrieb ausharren und nicht fahren können?
Wir müssen um Geduld bitten. Wir arbeiten mit Hochdruck an der Ausweitung des Netzwerks und wollen bis Ende des Jahres dafür sorgen, dass die Menschen in den Niederlanden, Deutschland und allen Märkten, mit denen wir zu tun haben, innerhalb einer halben Stunde nach der Fahrt Zugang zu einem Servicepartner haben. Wir sind uns bewusst, dass das für den Moment verdammt nervig ist, halten es aber für den richtigen Weg. Wir nutzen für die Auswahl unserer Partner eigene Karten, auf denen wir sehen, wo unsere Räder unterwegs sind. Diese Standorte arbeiten wir Stück für Stück nach Priorität ab.

Und dort werden dann alle Modelle versorgt?
S3, X3, S5 und A5. Ältere Modelle – wie gesagt – leider nicht. Zumindest nicht mit neuen Teilen von uns. Nach Reparaturlösungen fragen kann man dort natürlich immer.

Was ist mit dem S4?
Das wurde nie verschickt, das besitzt also niemand. 

Ein Vorwurf, den viele der Marke machen, ist die Nutzung zahlreicher proprietärer Teile, die eine Reparatur sehr erschweren. Wird sich das ändern?
Die kurze Antwort: Nein. Aber ich erkläre das gerne, weil das natürlich erstmal frustrierend wirkt. In meinen Augen ist im Markt kein Platz mehr für E-Bikes, die lieblos aus beliebigen Komponenten bestehen, die bei den Zulieferern massenhaft vom Band fallen. Natürlich sind die Teile dann einfacher ersetzbar, die Räder aber eben auch. Wir wollen mit Vanmoof, so wie es immer war, einzigartige Fahrräder mit individuellen Lösungen anbieten. Das betrifft vor allem die Technik. Da wird sich auch nichts dran ändern, weil wir sonst unseren Vorsprung bei Innovationen wie zum Beispiel der Diebstahlsicherung und dem Kick-Lock verlieren würden, wenn wir immer erst auf den Massenmarkt warten. Bei anderen Teilen, ich denke da an Bremsen oder Reifen, setzen wir aber auf Branchenstandards. Das macht wirtschaftlich und technisch Sinn und senkt den Preis.

Gehören die Bike Hunter der Geschichte an? Schließlich war das Team, welches weltweit gestohlene Fahrräder ausfindig machte, ein wichtiger Teil der Vanmoof-Geschichte.
Das stimmt, die Bike Hunter waren wirklich großartig. Aktuell setzen wir das nur mit einer sehr kleinen Mannschaft in Amsterdam fort. Wir bieten aber weiterhin unsere Diebstahlversicherung an. Für 150 Euro sichert man sich das Versprechen, dass wir das Rad ersetzen, wenn wir es nicht finden können. Über die Hunter wird intern hart verhandelt – wir lieben das Konzept, müssen es aber wirtschaftlich sinnvoll gestalten. In den Niederlanden, Deutschland und Großbritannien werden wir das Programm aber fortsetzen.

Apropos wirtschaftlich sinnvoll: Wie laufen die Verkäufe?
Ziemlich gut sogar. Auch wenn das dieses Jahr nicht unser Fokus ist. Wir haben begrenzte Vorräte und können Bestellungen bedienen, sind aber nicht hauptsächlich darauf konzentriert, Bestellungen zu generieren. Vielmehr nutzen wir die aktuelle Phase, um unsere Abläufe zu optimieren und unser Produkt zu perfektionieren. Dazu gehören auch Neuerungen wie eine erweiterte Qualitätskontrolle aller E-Bikes, die wir aus Taiwan erhalten. Kein Kunde bekommt ein E--Bike, das wir vorher nicht auf Herz und Nieren geprüft haben.

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Aktuell verkaufen Sie nur das S5 und das X5. Was ist daran eigentlich neu?
Wir haben uns die Probleme angesehen, die Kunden mit dem Modell hatten. Wenn Sie mich fragen, hat Vanmoof ein tolles Produkt gebaut, aber viel zu schnell geliefert. Es war einfach noch nicht ganz ausgereift. Das haben wir jetzt übernommen und alle Kinderkrankheiten und Mängel beseitigt. Das neue 5er ist besser gegen Wasser geschützt, die Bremshebel sind neu und das ganze Bike deutlich robuster. Das Design haben wir nicht angefasst, aber technisch hat sich sehr viel getan. 

Aber eine Federung fehlt noch immer.
Dieser alte Vorwurf ist doch Unsinn, ganz ehrlich. Das E-Bike ist für die Stadt gebaut. Bei solchen Modellen macht es viel mehr Sinn, die Ergonomie so gut wie möglich zu optimieren und damit kleine Unebenheiten der Fahrbahn auszugleichen. Eine Federung in dieser Preisklasse ist doch maximal Zierde, die eine Menge Arbeit nach sich zieht, aber keinen Effekt hat. Möchte man eine effektive Stoßdämpfung, wird das Bike deutlich teurer. Ich schließe nicht aus, dass wir das für ein Gravel- oder Mountainbike in Zukunft mal umsetzen, aber das Cityfahrrad wird bleiben, wie es ist.

Sind günstige Versionen wie das S4 vom Tisch?
Wie gesagt: So günstig waren diese Modelle für Vanmoof gar nicht. Sie wurden nur mit wenig bis keinerlei Marge verkauft. Und das Ergebnis ist bekannt. Natürlich überlegen wir, ob und wie man eine günstigere Plattform schaffen kann, doch aktuell geht das einfach nicht, ohne direkt in den nächsten Schuldenberg zu crashen. 

Ihre Konkurrenz, sagen wir Cowboy, scheint es aber zu schaffen, E-Bikes unter dem Preis von derzeit 3300 Euro anzubieten.
Guter Punkt. Sie scheint es zu schaffen. Scheint. Aber schauen Sie mal genau auf die Modelle. Alles, was neuer ist, kostet gleich viel oder mehr als das Vanmoof S5. Die niedrigen Preise sind das Ergebnis eines bemerkenswerten Unterbietens, dass nicht zuletzt Vanmoof mit ständigen Rabatten angefeuert hat. Der Branche blieb keine andere Wahl. Leider haben wir die Kunden in dieser Zeit quasi zu günstigen Preisen erzogen. Wirtschaftlich sinnvoll war das nicht. 

Wie wollen Sie sicherstellen, dass Vanmoof nicht schon wieder scheitert?
Das ist die Eine-Milliarde-Euro-Frage. Ich glaube es zu wissen, deshalb hat man mir den Job gegeben. Wir brauchen das richtige Geschäftsmodell, gute Margen und eine starke Marke. Wir brauchen das Vertrauen der Leute zurück und ich glaube fest daran, dass Vanmoof trotz der Insolvenz als Marke eine echte Chance hat, zu bestehen. Unsere Vorgänger haben sehr viel richtig gemacht, waren aber vielleicht etwas zu schnell und hatten das Pech, in wirtschaftlich unsichere Gewässer zu kommen, aus denen sie sich ohne finanziellen Support nicht mehr retten konnten. Wir gehen das bedacht an und versuchen, uns nicht zu übernehmen, trotzdem aber eines der spannendsten E-Bikes zu verkaufen. Mal sehen, wie gut das klappt.

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