E-Autos: Bis zu 38 Prozent teurer: EU-Strafzölle gegen China treten in Kraft
Die EU beschließt Strafzölle für E-Autos aus China, in der Nacht treten sie in Kraft. Eigentlich. Warum die Verhandlungen trotzdem weiter gehen – und China nicht direkt zahlen muss.
Die EU-Kommission macht Ernst: In der Nacht zu Freitag führt sie vorläufige Strafzölle für Exporte von Elektrofahrzeugen "made in China" ein. Das geht aus dem EU-Amtsblatt hervor. Damit bestätigt die Europäische Union (EU) ihre Entscheidung vom Juni: Demnach müssen Hersteller in der Volksrepublik bis zu 37,6 Prozent vorläufige Extra-Abgaben entrichten, wenn bis zum 4. Juli keine Verhandlungslösung erzielt wurde. Peking und die EU-Kommission waren zuletzt in Gesprächen über die Zölle, mit denen Brüssel heimische Wettbewerber vor einer Flut subventionierter Fahrzeuge schützen will.
China weist den Vorwurf der Beihilfen von sich und droht mit umfangreichen Gegenmaßnahmen. Regierungskreisen zufolge ist Deutschland gegen die EU-Pläne. Deutsche Autobauer haben im vergangenen Jahr ein Drittel ihrer Umsätze in der Volksrepublik gemacht. Frankreich gehört dagegen zu den Unterstützern, ebenso wie Italien und Spanien.
Warum sind die Zölle vorläufig?
Die Zölle werden ab Freitag um Mitternacht durch eine Sicherheitsleistung erhoben – vorstellbar wie eine Kaution. Ob die EU diese tatsächlich einbehält, wird davon abhängen, ob in den nächsten Monaten mit der Regierung in Peking eine andere Lösung gefunden werden kann. Diese zweite Frist läuft spätestens im November ab. Bis dahin muss von den EU-Staaten entschieden werden, ob auch dauerhaft Zölle eingeführt werden – womit dann gegebenenfalls rückwirkend die vorläufigen Aufschläge einkassiert würden.
Was genau hat Brüssel im Juni beschlossen?
Brüssel nimmt sich nach internationalen Handelsregeln das Recht, die EU-Einfuhrzölle für chinesische E-Autos zu erhöhen, weil Chinas Regierung einheimische Autohersteller ungebührlich unterstütze. Damit will die EU die hiesige Autoindustrie vor künstlich verbilligten Importen schützen, bleibt aber damit weit hinter US-Zöllen von mehr als 100 Prozent zurück, weil sie sich an die Regeln der Welthandelsorganisation WTO halten will. Mögliche Gegenmaßnahmen hält Brüssel für unakzeptabel.
Haben China und die EU ernsthaft verhandelt?
Die EU-Kommission und chinesische Unterhändler haben Berichten zufolge seit vergangener Woche Gespräche geführt. Brüssel hatte als Voraussetzung für eine Verhandlungslösung deutlich gemacht, dass es bis zum 4. Juli einen Beitrag von Peking zu solchen technischen Gesprächen erwarte, der einen Fahrplan zum Abbau der kritisierten schädlichen Subventionspraxis für den Bau von E-Autos aufzeige.
Die Nachrichtenagentur Reuters berichtete von einem vertraulichen Treffen zwischen dem chinesischen Staatskonzern SAIC und dem Marktführer BYD sowie BMW und Volkswagen. Eine einvernehmliche Lösung war aber offenbar nicht in Sicht.
Welche Autofirma muss wie viel Strafzoll zahlen?
Je nach Hersteller und Kooperationsbereitschaft in dem formalen EU-Verfahren sollen unterschiedliche Aufschläge zusätzlich zu den bisher geltenden zehn Prozent gelten: Für den BYD-Konzern gilt wegen guter Kooperation und geringerer Beihilfen gemäß der EU-Untersuchung der günstigste Satz von 17,4 Prozent, die Geely-Gruppe muss 19,9 Prozent Extrazoll zahlen. SAIC aus Schanghai, in Europa mit der Marke MG bekannt, wird wegen mangelnder Kooperation mit 37,6 Prozent extra belegt. Tesla, dessen Model 3 für Europa in Shanghai vom Band läuft, drohten zuletzt voraussichtlich 21 Prozent Zusatzzoll.
Betroffen sind auch westliche Hersteller, die in China fertigen, darunter Volvo mit dem Kompakt-SUV EX30. Der schwedische Autobauer Volvo gehört seit 2010 zum chinesischen Autokonglomerat Geely. Vom kommenden Jahr an will Volvo das Auto in seinem belgischen Werk in Gent bauen. Für Volvos Importe in die EU kommt nun der Geely-Satz obendrauf.
Warum gibt es eine zweite Frist bis November?
Weil das heikle Thema der Zollkonfrontation mit China unter den Regierungen und Autobauern hoch umstritten ist, sollen die EU-Mitglieder in den nächsten Wochen eine erste Empfehlung aussprechen – und der EU-Kommission einen Richtungstrend aufweisen. Wie Reuters nach einer Umfrage vom Mittwoch berichtet, sind zahlreiche EU-Staaten noch unentschlossen, ob sie die Sonderzölle auf chinesische Elektroautos unterstützen sollen. Die Mehrheit wäge noch die Vor- und Nachteile eines eskalierenden Handelsstreits mit der zweitgrößten Volkswirtschaft der Welt ab, heißt es. Zu dieser Gruppe gehören Griechenland, Tschechien, Irland und Polen sowie Belgiens Übergangsregierung und die Niederlande. Zu den Zollbefürwortern zählen erklärtermaßen Frankreich und Spanien.
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Im Herbst soll nach dem EU-Fahrplan endgültig – das heißt für zunächst fünf Jahre – über die neuen Einfuhrbeschränkungen entschieden werden. Sie könnten blockiert werden, wenn eine "qualifizierte Mehrheit" von mindestens 15 Mitgliedstaaten und 65 Prozent der EU-Bevölkerung dagegen stimmt. Immerhin zählt die Kfz-Branche etwa 15 Millionen Beschäftigte in Europa.
Welche Position vertritt die deutsche Autoindustrie?
Die heimische Autoindustrie lehnt die Strafzölle als schädlichen Protektionismus ab, der weder für die EU noch für Deutschland zielführend sei. China ist der größte Automarkt der Welt und war laut Verband VDA im Jahr 2023 für Autos aus Deutschland der drittgrößte Exportmarkt nach den USA und Großbritannien. Ein Drittel der exportierten Fahrzeuge fallen demnach in die Kategorie von mehr als 2,5 Litern Hubraum, die für mögliche chinesische Einfuhrzölle in Frage kämen.
Zur Antisubventions-Untersuchung erklärte der Vorstandsvorsitzende der BMW Group Oliver Zipse: "Die Einführung zusätzlicher Importzölle führt in eine Sackgasse." Statt die Wettbewerbsfähigkeit europäischer Hersteller zu stärken, schade sie dem Geschäftsmodell global agierender Unternehmen, schränke das Angebot von E-Autos für europäische Kunden ein und könne damit sogar die Dekarbonisierung im Verkehrssektor verlangsamen. "Solche Maßnahmen sind ein schwerer Eingriff in das auch von der EU propagierte Prinzip des Freihandels." Volkswagen und Mercedes positionierten sich in den vergangenen Wochen ähnlich.
Warum geben sich BMW, Mercedes und Co. so zahm?
Gegenmaßnahmen aus Peking würden der deutschen Kfz-Industrie aus eigener Warte viel mehr schaden, als die Zölle ihnen helfen würden. Befürchtet wird, dass mit den Zöllen ein wechselseitiges Hochschaukeln mit gegenseitigen Handelsbeschränkungen beginnt. Das könnte dann eine Spirale in Gang setzen und letztlich auch andere Branchen betreffen.
Hintergrund ist zudem eine starke Abhängigkeit: Laut VDA wurden aus Deutschland 2023 Pkw im Wert von 15,1 Mrd. Euro nach China exportiert; die Importe hatten einen Wert von 4 Mrd. Euro. Die Autozulieferer exportierten Teile im Wert von 11,2 Mrd. Euro nach China, viermal so viel wie aus China eingeführt wurde.
Die von China angedrohte Erhöhung von Einfuhrzöllen auf deutsche Oberklassewagen mit mehr als 2,5 Litern Hubraum würde die deutschen Autobauer empfindlich treffen. Rund 120.000 der aus Europa nach China ausgeführten Autos gehörten zu diesem Segment.
Wie verhält sich die Bundesregierung?
Die Bundesregierung hält wenig von den Strafzöllen auf E-Autos aus China, dürfte selbst mit Verbündeten wie Schweden und Ungarn, vielleicht auch Tschechien und der Slowakei, kaum Möglichkeiten haben, das Brüsseler Votum noch zu kippen. Nach Berichten soll Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) einen Deal zwischen China und der EU vorgeschlagen haben, wonach auf chinesische wie europäische Autoexporte ein einheitlicher Zoll von 15 Prozent gelten könnte. Die EU-Kommission soll abgewunken haben: "keine Option".
Wird China mit Gegenzöllen kontern?
Einige Hoffnungen richten sich darauf, dass Peking mit begrenzten Gegenmaßnahmen reagieren könnte, die hauptsächlich Luxusgüter aus Frankreich und Italien im Visier hätten. Dann würde die Gegenwehr hauptsächlich die Länder treffen, die sich am meisten für die Zölle starkgemacht hätten. Peking zweifelt die Ergebnisse der Subventionsuntersuchung grundsätzlich an und beschreibt die Ausfuhroffensive für E-Autos im Kontext einer gereiften Industrie, die nun ihre Exportchancen nutze, so wie es die westliche Industrie schon Jahrzehnte in China tue. Bis auf den Start einer Anti-Dumping-Untersuchung von importiertem Schweinefleisch aus der EU blieb es bisher bei Drohgebärden.
Laut dem chinesischem Handelsministerium ist eine Bewertung durch Peking, die zu weiteren Gegenmaßnahmen führen könnte, aber in vollem Gang. Einzelheiten würden zu gegebener Zeit folgen, hieß es dieser Tage.
Droht überhaupt wirklich eine Schwemme chinesischer E-Autos in Europa?
Es war Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, die davon sprach, China werde Europa "mit billigen Elektroautos überschwemmen". Europaweit lag der Anteil von Autos "Made in China" am E-Automarkt 2023 bei 19 Prozent, in Deutschland bei 15 Prozent. Mehr als die Hälfte kam von westlichen Herstellern wie Tesla, BMW oder der Renault-Tochter Dacia, die alle Autos für Europa in China fertigen.
Gegenwärtige Exporterwartungen chinesischer Hersteller erfüllen sich nicht. Die große Exportwelle, glauben Branchenexperten, werde erst 2026 anlaufen. Die deutsche Autoindustrie schätzt, dass sich der Anteil chinesischer E-Autos am europäischen Pkw-Markt bis 2030 bei etwa fünf bis zehn Prozent einpendeln wird.