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Linke wird in Frankreich bei Parlamentswahl stärkste Kraft - Regierung gefordert

Stern 
Linke wird in Frankreich bei Parlamentswahl stärkste Kraft - Regierung gefordert

Überraschung bei der Parlamentswahl in Frankreich: Das links-grüne Wahlbündnis ist Prognosen zufolge nach der zweiten Runde zur stärksten Kraft geworden. Die Rechtspopulisten von Marine Le Pen, die auf eine absolute Mehrheit gehofft hatten, rutschten demnach auf den dritten Platz - hinter das Regierungslager von Präsident Emmanuel Macron. Premierminister Gabriel Attal kündigte am Sonntagabend an, seinen Rücktritt einzureichen. Das Linksbündnis forderte die Regierungsführung für sich. 

Das links-grüne Wahlbündnis Neue Volksfront (NFP) kommt den Prognosen zufolge auf 171 bis 187 Sitze. Der rechtspopulistische Rassemblement National (RN) von Le Pen landete demnach lediglich bei 134 bis 152 Sitzen, kann aber dennoch deutlich zulegen. Zuletzt hatte der RN 88 Abgeordnete im Parlament.

Das Regierungslager verlor nach den ersten Prognosen seine relative Mehrheit. Es würde demnach mit 152 bis 163 Sitzen auf den zweiten Platz abrutschen. Bisher hatte das Macron-Lager eine relative Mehrheit von 250 Sitzen in der Nationalversammlung.

Keiner der drei Blöcke käme demnach auf eine absolute Mehrheit. Das links-grüne Bündnis und das Mitte-Lager von Macron hatten in mehr als 200 Wahlbezirken in der Stichwahl ihren Kandidaten jeweils zurückgezogen, um den Durchmarsch der Rechtspopulisten gemeinsam zu verhindern. Diese Strategie ging offensichtlich auf.

Premierminister Attal kündigte nach der Wahlschlappe des Regierungslagers  seinen Rücktritt an. "Gemäß der republikanischen Tradition und meinen Prinzipien entsprechend reiche ich morgen meinen Rücktritt beim Präsidenten ein", sagte er in Paris. Er fügte aber hinzu, dass er angesichts der anstehenden Olympischen Spiele in Frankreich bereit sei zu bleiben, "so lange die Pflicht es erfordert". Es steht Präsident Macron offen, den Rücktritt von Attal anzunehmen oder nicht. Macron könnte das Kabinett auch als geschäftsführende Regierung wegen der Olympischen Spiele vorläufig im Amt belassen, die am 11. August enden. 

Frankreich muss sich aber auf eine Zeit der politischen Instabilität einstellen: Die drei großen Blöcke in der Nationalversammlung könnten sich gegenseitig blockieren, die Regierung lähmen und das Land in eine politische Krise stürzen. Das links-grüne Bündnis ist mit dem Macron-Lager verfeindet und auch intern ist das Linksbündnis alles andere als auf einer Linie. 

Der frühere Parteichef der linkspopulistischen Partei La France Insoumise (LFI) Jean-Luc Mélenchon erhob noch am Sonntagabend Anspruch auf die Regierungsbildung für sein Wahlbündnis. "Die Neue Volksfront ist bereit zum Regieren", sagte er. Premier Attal müsse gehen. LFI bildet innerhalb des Bündnisses die größte Gruppe, Mélenchon ist bei den anderen beteiligten Parteien aber unerwünscht. "Wir haben gewonnen", skandierten die Unterstützer des links-grünen Bündnisses. 

Sozialisten-Chef Olivier Faure sprach sich ausdrücklich gegen eine mögliche "Koalition" mit dem Regierungslager aus. "Die Neue Volksfront muss diese neue Seite unserer Geschichte in die Hand nehmen", sagte Faure. Er betonte, dass die Rentenreform, die das Rentenalter auf 64 Jahre angehoben hatte, abgeschafft werden solle. "Es ist an der Zeit, die Superreichen und die Supergewinne zu besteuern", erklärte er. Der Linkspolitiker Raphaël Glucksmann forderte alle zum Dialog und zur Diskussion auf.

Linkspopulisten, Sozialisten, Kommunisten und Grüne hatten vor der ersten Runde der Parlamentswahl trotz vieler Differenzen überraschend ein Bündnis geschmiedet. Auf einen gemeinsamen Kandidaten für das Amt des Premierministers konnten sie sich aber nicht einigen.

Aus dem Regierungslager kamen bereits Absagen an einen Premierminister der Linken: Niemand könne vorerst sagen, dass er gewonnen hat, betonte Innenminister Gérald Darmanin - "vor allem nicht Monsieur Mélenchon". Macron will vorerst keine Entscheidungen treffen und die Zusammensetzung der neuen Nationalversammlung abwarten, wie es aus dem Elysée-Palast hieß. Noch sei "der Mitte-Block sehr lebendig".

Nach den Umfragen in den Tagen vor der Wahl war der rechtspopulistische RN als Favorit gesehen worden, es war auch nicht ausgeschlossen worden, dass er die absolute Mehrheit von 289 der 577 Sitze in der Nationalversammlung würde erreichen können. Nach dem guten Abschneiden bei der Europawahl hatten die Rechtspopulisten auch die erste Runde der Parlamentswahl gewonnen: Sie hatten 33 Prozent der Stimmen geholt, das links-grüne Wahlbündnis lag mit 28 Prozent auf dem zweiten Platz, gefolgt vom Regierungslager mit 20 Prozent. 

Daraufhin war gemutmaßt worden, dass Macron womöglich RN-Chef Jordan Bardella zum Regierungschef ernennen müsse. Macron hatte die vorgezogene Neuwahl überraschend nach dem RN-Triumph bei der Europawahl ausgerufen. Bardella zeigte sich nun erbost: Er prangerte mit Blick auf das Linksbündnis und das Regierungslager ein "Bündnis der Schande" an, das die Franzosen einer "Politik des Aufschwungs" beraubt habe. Der RN sei mehr denn je die "einzige Alternative". 

Le Pen betonte, der Sieg ihrer Partei sei "nur aufgeschoben". "Ich habe zu viel Erfahrung, um von einem Ergebnis enttäuscht zu sein, bei dem wir unsere Anzahl an Abgeordneten verdoppeln", sagte Le Pen, die bei der nächsten Präsidentschaftswahl erneut als Kandidatin antreten will. Die Konservativen, die sich teils für eine Unterstützung des RN ausgesprochen hatten, kamen auf 57 bis 67 Sitze.

Die politische Polarisierung in Frankreich führte auf jeden Fall zu einer ungewöhnlich hohen Wahlbeteiligung: Die lag bei rund 67 Prozent und war damit die höchste seit Jahrzehnten.

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