Biden verzichtet auf Kandidatur: Die beste Nachricht des Jahres
Es hat lange gedauert, hoffentlich nicht zu lange: Endlich macht Joe Biden den Weg für einen neuen Kandidaten frei. Damit haben die US-Demokraten die Chance, Donald Trump doch noch zu verhindern.
Amerika ist die Heimat von Hollywood, dem kreativsten Flecken der Erde. Was gerade in der amerikanischen Politik passiert, übersteigt allerdings sogar die irrste Wendung jedes Hollywood-Drehbuchs. Um in Worte zu fassen, was wir gerade erleben, müssen wir deshalb auf einen uralten Wortschmied (und Macht-Theoretiker) zurückgreifen: William Shakespeare.
"Du hättest nicht alt werden sollen, eh Du klug geworden bist", schreibt er in "King Lear". In dem Stück ist der greise Herrscher so anfällig für die Schmeicheleien seiner Töchter, dass er den falschen das Königreich anvertraut. Alles endet im Desaster.
Auch für Joe Biden musste man in den vergangenen Wochen fürchten, er zeige Altersstarrsinn statt Altersklugheit. Doch nun hat er mit seiner Entscheidung, nicht noch einmal eine Präsidentschaftskandidatur anzustreben, die Möglichkeit eines glücklichen Ausgangs für seine Partei bei der Wahl im November eröffnet. Biden hat Klugheit im Alter bewiesen. Das ist mehr als nur eine gute Nachricht – und das verändert diesen US-Präsidentschaftswahlkampf dramatisch.
Donald Trump hat eine Chance vertan
Klar, Donald Trump liegt derzeit in fast allen Umfragen vorn. Der missglückte Attentatsversuch hat ihm nicht nur das Leben geschenkt, sondern auch TV-Bilder, von denen er nicht einmal selber zu träumen gewagt hätte. Trump begeisterte seine Anhänger mit blutverschmiertem Gesicht, erhobener Faust und "Fight Fight Fight"-Rufen.
Verändert hat er sich allerdings nicht. Bereits während des Parteitags der Republikaner vor wenigen Tagen hielt Trump die versprochene Einigkeits-Rede nur eine halbe Stunde lang durch. Bei seinem jüngsten Wahlkampfauftritt wirkte er schon wieder so wütend wie zuvor. Mit der Wahl von Senator J.D. Vance als seinem Vize, der in puncto Freihandel oder "America First" noch radikaler wirkt, hat Trump eine Chance vertan, moderatere Wählerinnen und Wähler anzusprechen. PAID Trump schweigt zum Biden-Chaos 09.17
Doch Amerika bleibt tief gespalten, viele Menschen werden niemals für Trump stimmen. Und die Demokraten haben Themen, mit denen sie punkten können, etwa die Sorge vieler Frauen vor zu strengen Abtreibungsregeln. Diese für viele so wichtigen Themen wurden zuletzt aber völlig von der Debatte über Bidens Alter überschattet. Nun werden die Demokraten versuchen, das Scheinwerferleicht darauf zu lenken, dass Trump mit 78 Jahren auch nicht gerade jung ist und darüber hinaus wohl eine Gefahr für die Demokratie ist. Immerhin hat er oft genug gesagt, das Wahlergebnis akzeptieren zu wollen – jedoch nur im Falle des eigenen Sieges.
Joe Biden hat sich selbst in diese Lage gebracht
Auf der demokratischen Seite läuft nun alles auf Kamala Harris hinaus, selbst wenn der Prozess noch dauern dürfte. Biden hat der 59-Jährigen seine Unterstützung zugesagt. Damit dürften ihr dessen Delegierte beim Parteitag sicher sein, ebenso wie seine millionenschwere Wahlkampfkasse. In der demokratischen Partei wird kaum jemand wagen, eine schwarze Vizepräsidentin herauszufordern. Sie wird sich vermutlich einen Gouverneur eines wichtigen "Swing State" an die Seite holen, vielleicht gar Gretchen Whitmer aus Michigan. Zwei starke Demokraten-Frauen gegen zwei republikanische Machos?
Joe Biden – sein Leben in Bildern
Man konnte bisweilen Mitleid haben mit Joe Biden und der Art und Weise, wie er zuletzt beschrieben wurde. Manche warfen der Presse Altersdiskriminierung vor – oder suggerierten, die Debatten um Biden verdrängten die über Trumps Schwächen.
Doch der Vorwurf ist falsch. Biden hat sich selbst in diese Lage gebracht, und es war wichtig, die Frage zu klären, ob er für den härtesten und wichtigsten Job der Welt noch geeignet ist. Wenn überhaupt, dann hatten die US-Medien diese Frage zu lange ignoriert. Wer Donald Trump ist, wissen die Amerikaner. Die Demokraten haben nun noch die Chance, genug Wählerinnen und Wähler zu überzeugen, dass er der Falsche für das Weiße Haus ist.