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Nach Tötung von Hanija: Sinwar wird neuer Hamas-Chef

Stern 
Nach Tötung von Hanija: Sinwar wird neuer Hamas-Chef

Rund eine Woche nach der Tötung von Hamas-Chef Ismail Hanija hat die radikalislamische Palästinenserorganisation Jahja Sinwar zu dessen Nachfolger ernannt. Der Anführer der Palästinenserorganisation im Gazastreifen werde nun "Leiter des Politbüros", erklärte die Hamas am Dienstag. Die Entscheidung sende eine "starke Botschaft" an Israel, dass die Hamas "ihren Weg des Widerstands weitergeht", hieß es aus Kreisen der Islamisten. Israel erklärte dagegen, Sinwar schnell "eliminieren" zu wollen.

Die Ermordung von Hanija, "der an ein Waffenstillstandsabkommen und einen Gefangenenaustausch glaubte", habe die Hamas nun dazu veranlasst, "einen Anführer zu wählen, der den Kampf und den Widerstand gegen den Feind leitet", hieß es weiter. Minuten nach der Ankündigung feuerte der bewaffnete Arm der Hamas, die Essedin-al-Kassam-Brigade, laut eigenen Angaben eine Salve von Raketen aus dem Gazastreifen auf Israel ab.

Die mit der Hamas verbündete libanesische Hisbollah-Miliz gratulierte Sinwar zur Ernennung. Sie zeige, dass "der Feind (...) seine Ziele nicht erreicht hat", teilte sie mit.

Der israelische Außenminister Israel Katz erklärte im Onlinedienst X, die Ernennung Sinwars sei "ein weiterer zwingender Grund, ihn schnell zu eliminieren und diese abscheuliche Organisation von der Landkarte zu tilgen". Experten zufolge könnte Sinwar einem Abkommen über eine Waffenruhe im Gazastreifen abweisender gegenüberstehen als sein Vorgänger Hanija.

US-Außenminister Antony Blinken forderte Sinwar am Dienstag auf, eine Waffenruhe im Gazastreifen zu akzeptieren. Sinwar sei der Hauptentscheider, wenn es um den Abschluss der Waffenruhe gehe.

Sinwar gilt als Drahtzieher des brutalen Angriffs der Hamas auf Israel am 7. Oktober, was ihn zu einem der meistgesuchten Köpfe der Palästinenserorganisation macht. Bei dem Angriff waren israelischen Angaben zufolge 1198 Menschen getötet und 251 weitere als Geiseln in den Gazastreifen verschleppt worden.

Als Reaktion auf den Überfall geht Israel seither massiv militärisch gegen Ziele im Gazastreifen vor. Nach Angaben des von der Hamas kontrollierten Gesundheitsministeriums, die sich nicht unabhängig überprüfen lassen, wurden dabei bislang mehr als 39.650 Menschen getötet. Ob es sich dabei um Zivilisten oder Hamas-Kämpfer handelt, wird nicht angegeben.

Seit dem 7. Oktober ist Sinwar nicht mehr öffentlich aufgetreten. Er wird in einem Tunnelsystem unter dem Gazastreifen vermutet. Israels Verteidigungsminister Joav Gallant hatte Anfang November beteuert: "Wir werden Sinwar finden und ihn eliminieren."

Der aus dem Flüchtlingslager Chan Junis stammende Sinwar schloss sich der Hamas bei ihrer Gründung 1987 zu Zeiten der ersten Intifada an - dem palästinensischen Aufstand gegen die israelische Besatzung. Seine Karriere in der radikalen Palästinenserorganisation verlief lange im Verborgenen. Mit 25 Jahren leitete er bereits jene Hamas-Einheit, die Palästinenser bestrafte, die mit den Israelis zusammenarbeiteten.

Wegen der Tötung zweier israelischer Soldaten wurde er viermal zu lebenslanger Haft verurteilt. Insgesamt saß Sinwar 23 Jahre in Israel im Gefängnis. 2011 kam er im Rahmen eines Gefangenenaustauschs frei. Bereits seit Jahren steht Sinwar auf der US-Terrorliste.

2017 wählte die Hamas Sinwar zu ihrem Anführer im Gazastreifen, nachdem sein Vorgänger Hanija Chef der Organisation wurde und den Gazastreifen verließ.

Hanija war in der vergangenen Woche in Teheran getötet worden. Die Hamas und der Iran machten Israel für die Tötung verantwortlich, Irans geistlicher Führer Ayatollah Ali Chamenei drohte mit einer "harschen Bestrafung". Israel hatte die Tötung von Hanija nicht kommentiert.

Wenige Stunden vor der Tötung Hanijas hatte Israel Fuad Schukr und damit den ranghöchsten Kommandeur der von Teheran unterstützten Hisbollah-Miliz im Libanon getötet. Der Chef der pro-iranischen Hisbollah, Hassan Nasrallah, drohte ebenfalls mit Vergeltung.

Mit einem Vergeltungsschlag des Iran und seiner Verbündeten auf Israel wird seit Tagen gerechnet. International laufen die diplomatischen Bemühungen um eine Deeskalation auf Hochtouren. US-Außenminister Blinken sagte, sein Land arbeite "rund um die Uhr" an einer Beruhigung der Lage. Er rief den Iran und Israel am Dienstag auf, eine Eskalation des Konflikts zu vermeiden.

Vor fast fünf Monaten hatte der Iran Israel erstmals direkt von seinem Staatsgebiet aus mit mehr als 300 Raketen und Drohnen attackiert. Der Iran spricht Israel seit der islamischen Revolution im Jahr 1979 das Existenzrecht ab und unterstützt eine von ihm erklärte "Achse des Widerstands". Dazu gehören sowohl die radikalislamische Hamas im Gazastreifen als auch mit ihr verbündete Milizen, darunter die Hisbollah im Libanon, die Huthis im Jemen und Gruppierungen im Irak und Syrien.

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