Verdächtiger Frachter: Hört die "Ruby" für Russland Unterseekabel ab?
Frachter "Ruby" aus Russland liegt vor der englischen Küste nahe an Unterseekabeln. Ein Experte für Cyber-Sicherheit schätzt das Spionagerisiko durch die Crew ein.
Seit zwei Wochen liegt die "Ruby" vor der englischen Küste vor Anker – immer noch beschädigt und immer noch mit 20.000 Tonnen Ammoniumnitrat an Bord. Nach Häfen in Norwegen, Schweden und Litauen hat auch Malta dem beschädigten Schiff mit der explosiven Fracht das Anlegen verboten. Nur ein Siebtel des Stoffes, den auch die "Ruby" transportiert, hatte zur verheerenden Explosion im Hafen von Beirut geführt. Und das Schiff meldete mehrfach Probleme – verdächtig oft in der Nähe von Orten mit Marinestützpunkten oder kritischer Infrastruktur (der stern berichtete).
Vom jetzigen Ankerplatz der "Ruby" im Englischen Kanal sind Unterseekabel nicht weit entfernt. Alle Internetdaten laufen zwischen den Kontinenten durch diese armdicken Glasfaserkabel – auch für Geheimdienste interessante Informationen sind darunter. Ist es also denkbar, dass Russland von der "Ruby" aus Daten aus europäischen Unterseekabeln abgreift?
Interview Hybride Kriegführung Oberst Schmid 9.30Ferdinand Gehringer, Experte für Cybersicherheit bei der Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS), hält das für grundsätzlich möglich, aber eher unwahrscheinlich. Drei Methoden würden Spionage ermöglichen, erklärt er im Telefongespräch mit dem stern:
- Man könnte das Kabel aufschneiden und aufbiegen, um die Lichtwellen abzufangen.
- Man könnte das Kabel durchtrennen und ein Gerät zwischen die Kabelenden bauen, das die Lichtsignale erfasst und abbildet.
- Mit Photodetektoren könnte man die Lichtsignale im Kabel ausspionieren, ohne das Kabel zu beschädigen.
Spionage an Unterseekabeln ist aufwendig
Doch alle drei Methoden sind laut Gehringer sehr aufwendig: "Man muss den Kabeln schon sehr nahe kommen", sagt er. Dann müssten Taucher mit einer Art Glocke zum Kabel tauchen, sie darüberlegen und leerpumpen, bevor sie das Kabel durchtrennen und Spionagegeräte installieren können – unwahrscheinlich, dass ein Frachter Ausrüstung und Spezialisten dafür an Bord hat. Außerdem bewegt sich für den Notfall ein Schlepper ständig in der Nähe des Frachters, sodass die Vorbereitungen eines Tauchgangs mit Spezialgerät kaum unbemerkt bleiben würden.
Gehringer hält es aber für gut möglich, dass die Schiffsbesatzung andere Informationen sammelt: Wie reagieren die EU-Staaten auf das Schiff? Wie sind die Zuständigkeiten verteilt? Wer kommt für Inspektionen an Bord und was für Ausrüstung haben sie dabei? "Ich kann mir auch vorstellen, dass die 'Ruby' sehr genau die Gebiete kartografiert, durch die sie fährt", so Gehringer. "Das wäre dann eher die Vorbereitung einer möglichen Sabotage."
"Ruby" wohl keine Bedrohung
Auch wenn die "Ruby" wohl keine Bedrohung für die Unterseekabel darstellt, hält Gehringer die Datenverbindungen für kritische Infrastruktur. "Das Transatlantik-Kabel AC1 ist mehr als 14.000 Kilometer lang, das lässt sich nicht zu 100 Prozent schützen", sagt Gehringer. Dennoch wünscht er sich, dass mehr für die Sicherheit dieser Verbindungen getan wird – etwa mit Patrouillen, die Angreifer abschrecken. Oder mit mehr Sensoren, die Manipulationen an den Kabeln registrieren.
Ein Problem dabei: Für welche Bereiche sind die Netzbetreiber zuständig, für welche Kosten kommt der Staat auf? Bei Schäden an einem Kabel müssen Spezialschiffe eingesetzt werden, von denen es nur wenige auf der Welt gibt. So dauert es aktuell Monate von der Beschädigung bis zur Reparatur eines Unterseekabels.
"Das Problembewusstsein für die Verletzbarkeit der Unterseekabel ist gewachsen", sagt Gehringer. "Aber was zu ihrem Schutz getan wird – das ist deutlich ausbaufähig."
Quellen: "Ruby" auf vesselfinder.com, "Unterseekabel als Kritische Infrastruktur und geopolitisches Machtinstrument" (PDF) von Ferdinand Gehringer und Telefoninterview mit ihm, "Statista" zu Unterseekabeln, "Submarinecablemap.com".