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Aufklärung von Kriminalfällen: Rechtsmediziner sieht seine Zunft als "Anwälte der Toten"

Stern 

Anti-RAF-Aktion bis NSU: Fred Zack hat als Rechtsmediziner viele Gewaltopfer obduziert. In den 1990er Jahren habe es in seiner Zuständigkeit mehr Mord- und Totschlag gegeben, berichtet er. Wieso?

Vor Gericht die Position von Gewaltopfern vertreten, die das nicht mehr können - das ist nach Aussage des Rechtsmediziners Fred Zack ein Stück weit Aufgabe seiner Zunft. "Irgendwo sind wir Rechtsmediziner ja so etwas wie die Anwälte der Toten, weil die ja nichts mehr über das Tatgeschehen berichten können", sagte Zack der Deutschen Presse-Agentur. "Sobald wir einen versuchten Mord haben, existiert ein überlebendes Opfer und das kann aussagen. Dann erlebte ich vor Gericht häufig Aussage gegen Aussage. Das ist für die Richter sehr viel vorteilhafter."

Wenn hingegen das Opfer tot sei und es keine Zeugen gebe, könne nur noch der Täter die Tat in seinen Worten darstellen. Rechtsmediziner dürften sich zwar nicht auf die Seite der Opfer schlagen, sondern müssten objektive Gutachter sein. Dennoch müsse man eine brutale Tötung auch als solche darstellen, ansonsten gelte möglicherweise "im Zweifel für den Angeklagten".

Zack verwies auf einen Fall aus seiner Laufbahn: Trotz zwölf Messerstichen in Herz und Lunge des Opfers und Abwehrverletzungen habe der Angeklagte Notwehr angegeben. Das passe nicht zusammen.

NSU- und RAF-Opfer obduziert

1987 hat Zack, der am 30. Dezember 66 Jahre alt wird, als Rechtsmediziner angefangen. 2022 ging er in den "aktiven Ruhestand", wie Zack es nennt. Er war nach eigener Aussage der dienstälteste Mitarbeiter der Rostocker Rechtsmedizin, die für die Landgerichtsbezirke Rostock und Schwerin zuständig ist. Seitdem arbeite er weiter wissenschaftlich, schreibe Bücher und habe auch immer noch ein Arbeitszimmer in der Rostocker Rechtsmedizin. Teils zögen ihn seine Kollegen noch zurate.

In den Jahrzehnten als Rechtsmediziner hat Zack einiges gesehen. So obduzierte er etwa den 1993 bei einer Anti-RAF-Aktion in Bad Kleinen erschossenen Polizisten Michael Newrzella oder auch Mehmet Turgut, das 2004 in Rostock ermordete Opfer der rechtsextremen Terrorgruppe NSU.

Vorsätzliche Fremdtötungen im Zuständigkeitsbereich der Rostocker Rechtsmedizin seien in den 1990er Jahren häufiger gewesen, sagte Zack unter Verweis auf wissenschaftliche Auswertungen. Demnach wurden zwischen 1992 und 2001 insgesamt 157 solcher Tötungen erfasst. Im zehn Jahre längeren Zeitraum zwischen 2002 und 2021 waren es weit weniger, nämlich 99.

Zack vermutet Dunkelfeld von Giftmorden

Die Gründe könnten unterschiedlich sein, etwa der Bevölkerungsrückgang, die Alterung der Gesellschaft, bessere medizinische Versorgung und deshalb mehr Überlebende. Zack sagte aber auch: "Es waren natürlich auch unruhige Zeiten nach der Wende." Wie diese im Zusammenspiel mit unsteten Lebensweisen und Alkohol auch zu Gewalt führten, beschreibt Zacks 2025 erschienenes Buch "Dreifachmord".

Eine Sache macht den erfahrenen Rechtsmediziner unterdessen stutzig: Laut Auswertungen der Tötungsdelikte gab es in den Landgerichtsbezirken Rostock und Schwerin von 1992 bis 2021 nicht einen klassischen Giftmord. "Und jetzt ist die Frage: Wer soll das glauben? Wo nahezu alle Medikamente ohne erheblichen Aufwand verfügbar sind." Viele davon seien potenziell tödlich, wenn man zu viel nehme oder verabreiche. "Das gibt mir dann schon sehr zu denken, dass wir da definitiv nicht auf dem richtigen Weg sind, die Giftmorde, die existieren, herauszufiltern." Er gehe von einem Dunkelfeld nicht entdeckter Tötungsdelikte aus.

"Tötungsdelikte gegen Kinder und gegen junge Frauen waren für mich immer das Schlimmste. Das habe ich dann auch mitgenommen in die Nacht. Da habe ich danach nicht gut geschlafen. Aber das ging ein, zwei Tage später wieder besser, weil ich mich dann nur auf meine Aufgaben konzentriert habe."

Auch aktuelle Fälle weiter im Blick

Die eigenen Gefühle müsse man aus der Arbeit raushalten. "Sobald man emotional wird, werden sachliche, inhaltliche Fehler gemacht, und dann empfehle ich auch immer, das Fach zu wechseln." Fälle wie zuletzt der getötete achtjährige Fabian oder auch der sechsjährige Joel seien keine Routine. "Definitiv nicht, aber man muss sich zwingen. Und wer das nicht kann, ist falsch in dem Beruf."

Aktuelle Fälle behält Zack weiterhin im Blick, auch weil er nach wie vor Kontakt zu den Kollegen hat. "Da bin ich nicht außen vor, sondern mitunter mittendrin und muss gegenüber Nichtkollegen schweigen."

Zur Frage, wie es sein kann, dass im Fall Fabian zunächst der Fundort untersucht, weiträumig abgesperrt, dann freigegeben und schließlich trotzdem wieder untersucht wurde, nachdem schon Pressevertreter vor Ort waren, sagt er: "Ich schließe daraus, dass bei der ersten Bearbeitung des Auffindungsortes irgendetwas nicht optimal gelaufen ist oder aber es danach einen wertvollen Hinweis gegeben hatte, der dazu führte, ein bestimmtes Areal genauer, möglicherweise mit Spezialtechnik, zu inspizieren. Mehr kann ich dazu nicht sagen."

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