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Bauernproteste: Agrarökonom Henning: Es geht weniger ums Geld, sondern um die Perspektiven

Stern 
Bauernproteste: Agrarökonom Henning: Es geht weniger ums Geld, sondern um die Perspektiven

Im ganzen Land protestieren Landwirte gegen die Abschaffung des vergünstigten Agrardiesels. Für Agrarökonom Christian Henning ist das aber nur der Aufhänger: Es gehe weniger um die Kürzungen, sondern um das große Ganze der Agrarpolitik.

Herr Henning, Landwirte protestieren in ganz Deutschland gegen die Sparmaßnahmen im Agrarsektor. Gemessen am Ausmaß könnte man meinen, es ginge um ihre Existenz. Aber: Wie schlimm steht es wirklich um Deutschlands Landwirte?
Sehr unterschiedlich. Wir haben Landwirte mit enormen Anpassungsproblemen, und solche, die sehr gut zurechtkommen: Die aktuellen Proteste sind eher angestauter Frust über eine kontinuierliche agrarpolitische Fehlsteuerung als Ärger über die Streichung des Agrardiesels bis 2026. Denn das ist ökonomisch eher zu vernachlässigen. 

Die Bundesregierung hat Teile der ursprünglichen Kürzungen schon zurückgenommen. Was bleibt, ist die Abschaffung des vergünstigten Agrardiesels. Von welchen Summen reden wir hier überhaupt?
Von etwa 25 Euro pro Hektar pro Jahr, also deutlich unter fünf Prozent der Gesamtkosten pro Hektar. Das ist weder für die Bundesregierung noch für die meisten Landwirte viel Geld. Die Ökonomie begründet die emotionalen Reaktionen also nicht. Vor allem nicht persönliche Angriffe wie gegen Robert Habeck, die grundsätzlich niemals zu rechtfertigen sind. Bei allem berechtigten Unmut ist es wichtig, einen konstruktiven politischen Diskurs zu suchen, um gemeinsame Lösungen zu finden. 

FS Bauernproteste: Der Aktionstag in Bildern13.07

Aber warum kämpfen die Landwirte dann so vehement gegen die Abschaffung?
Wie gesagt: Es geht zentral nicht nur um den Agrardiesel. Das ist nur der aktuelle Aufhänger, und für manche Landwirte sicher ärgerlich. Es geht darum, dass die Politik, konkret die alte und die neue Bundesregierung, es bislang versäumt haben, adäquate agrarpolitische Rahmenbedingungen zu schaffen, die eine effektive Transformation zu einer nachhaltigen Landwirtschaft ermöglichen. Dies ist umso bedauerlicher, da diese Transformation eine potenzielle Win-Win-Situation für Landwirte und Verbraucher darstellt. 

Wie meinen Sie das?
Ziel einer nachhaltigen Landwirtschaft ist es, bei den gegebenen natürlichen Ressourcen eine maximal mögliche Menge an Ökosystemleistungen zu erzielen. Das sind zum Beispiel klassische Agrarprodukte wie Getreide und Milch, aber auch ökologische Leistungen wie Biodiversität, Wasser- und Klimaschutz. Um das zu erreichen, müssen die richtigen Anreize für Unternehmen gesetzt werden. 

Bauern Kfz-Steuer Zoll 10.46

Und das funktioniert nicht?
Nein. Der Staat setzt bürokratische Vorgaben für spezielle Technologien, vor allem beim Ökolandbau. Solche Vorgaben sind immer ineffizient, weil sie Anreize blockieren, beziehungsweise falsch setzen. 

Anders gesagt: Der Markt muss liberalisiert werden … 
Nicht unbedingt. Der Markt allein führt auch zu falschen Anreizen, da wichtige Ökosystemleistungen wie Wasser- und Klimaschutz über den Markt nicht hinreichend honoriert werden können. Wir brauchen politische Steuerungsmechanismen, die gesellschaftliche Bedürfnisse in korrekte Anreize für die Landwirte übersetzen.

"Nachhaltige Landwirtschaft kann und soll lukrativ sein"

Es ist also mehr die Politik als das Geld, worüber sich Landwirte beschweren?
Ja, definitiv. Und trotzdem gibt es natürlich auch die Fälle, wo das Einkommen nicht ausreicht, und bei denen der Protest jetzt eher aus dieser Richtung kommt.

Was verdient denn ein Landwirt?
Auch das ist sehr unterschiedlich. Im Durchschnitt aller Betriebe haben wir ein Betriebseinkommen von rund 46.000 Euro pro Familienarbeitskraft. Man muss aber genau hinschauen: Das untere Viertel der landwirtschaftlichen Betriebe erwirtschaftet weniger als 14.000 Euro, während das obere Viertel mehr als 63.000 Euro pro Familienarbeitskraft erwirtschaftet. Hier ist aber wichtig, dass die Landwirtschaft für das untere Viertel meistens nur ein Nebenerwerb ist, während im oberen Viertel hoch innovative Unternehmen tätig sind. 

IV Wut Landwirt Bauernprotest 18.15

Das klingt doch trotzdem sehr auskömmlich …
Ja, die Landwirtschaft, und vor allem auch die nachhaltige Landwirtschaft, kann und soll lukrativ sein, und leidet in der Breite nicht an einem Einkommensdefizit. Das Problem, warum einige nicht auskommen, liegt eher in der Zukunft. Wir erleben einen dynamischen Strukturwandel und die Aussichten sind aktuell so, dass es sich häufig nicht mehr lohnt, den Hof dauerhaft weiterzuführen.

Warum? 
Das gilt vor allem in puncto Größe. Aktuell haben wir eine durchschnittliche Betriebsgröße von 68 Hektar. Das ist aber bei weitem nicht die Betriebsgröße, mit der unter den gegebenen Rahmenbedingungen dauerhaft eine solide Landwirtschaft vorstellbar ist. Die liegt eher bei 200 Hektar. Und dieser Trend zur Größe führt dazu, dass wir jährlich Abwanderungsraten von 2,5 bis 3 Prozent der Betriebe haben, weil Landwirte diese aufgeben. Das ist aber nur ein Punkt. Viel wichtiger ist: Wir brauchen innovative agrarpolitische Lösungen.

"Bauernproteste richten sich auch gegen Bürokratie"

Wie meinen Sie das?
Eines der am besten bestätigten Ergebnisse der Ökonomie ist, dass die am Markt realisierte Nachfrage nach öffentlichen Gütern – wie Klimaschutz und Biodiversität – nicht der tatsächlichen Präferenz entspricht. Wir brauchen politische Steuerungsmechanismen, die gesellschaftliche Bedürfnisse in korrekte Anreize für die Landwirte übersetzen.

CV Henning

Auch dafür protestieren die Landwirte. Wie sähe Ihre Lösung aus?
Vier Punkte: Effektivität, Effizienz, soziale Gerechtigkeit und politische Umsetzbarkeit. Vor allem in puncto Effektivität und Effizienz ist die Politik jetzt entscheidend, denn sie setzt den Rahmen für Treibhausgase und Nitratbelastung. Für die Biodiversität gibt es zurzeit noch keine solche unmittelbare technische Ansatzstelle.

Und hier muss etwas passieren?
Ja, die derzeitigen bürokratischen Vorgaben in diesem Bereich – wie zum Beispiel die Förderung des Ökolandbaus – sind eine ineffiziente und wenig effektive Ansatzstelle, da sie Unternehmeranreize blockieren und falsch setzen. Das ist eine berechtigte Kritik. Mir erscheinen neben ablaufpolitischen Maßnahmen wie Steuern, Subventionen und speziellen Umweltförderprogrammen vor allem handelbare Umweltzertifikate als innovativere politische Lösung. Diese könnten ähnlich wie das ETS-System für CO2-Emissionen aufgesetzt werden.

Dieses Interview erschien zuerst bei Capital, das wie der stern zu RTL Deutschland gehört

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